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Namen und Wohnorte städtischer Musiker

Reinhard Strohm

Familiennamen entstanden im späteren Mittelalter oft aus Berufsbezeichnungen, auch bei Musikern. In Archivalien werden öfters Musikberufe als Zusätze zum Vornamen zitiert – Pfeifer, Singer, Fidelspieler, Lautenschlager usw. – wobei nicht immer klar ist, ob die betreffende Person diese Tätigkeit selbst ausübte oder den Zunamen bereits ererbt hatte. Anscheinend erwiesen sich musikalische Fähigkeiten oder Tätigkeiten zur Identifizierung von Personen als besonders geeignet und setzten sich deshalb relativ oft als Namen fest. In Villach wird in den Jahren 1386 und 1393 ein “Herwort der Turner” mit seiner Schwester Perchte als Hausbesitzer genannt, ohne dass bekannt ist, ob Herwort tatsächlich Turner (Türmer) war oder den Namen bereits ererbt hatte.[45] In Wiener Quellen des 14. Jahrhunderts werden ein Wolfhard, ein Henricus und ein Chunrat als “lawttenslaher” (Lautenschlager) identifiziert: sei es, dass der Registrator den Beruf zur Identifizierung einsetzte, sei es, dass die Berufsbezeichnung schon zum Namen geworden war; jedenfalls übten alle drei den Musikberuf tatsächlich aus. Viele weitere Bezeichnungen dieser Art finden sich in Archivalien bis zum 16. Jahrhundert.[46]

Dass es im spätmittelalterlichen Wien eine “Trompetergasse” gab, die vor dem Widmertor im Süden der Stadt lag ( » E. Kap. Klang-Aura und soziale Strukturen), war keine Besonderheit. “Spielmannsgassen” oder ähnlich benannte Adressen sind aus vielen damaligen Städten bekannt: aus Köln (schon 1231), Halle/Saale (1300), Amiens, Schwäbisch Gmünd, Basel, Mainz, Leipzig, Strassburg, Salzburg, Sevilla und anderen Orten.[47] In Salzburg wohnte Paul Hofhaimer in der Pfeifergasse 18 (» Abb. Hofhaimers Gedenktafel); der Ankauf seines Hauses am 26. November 1529 ist urkundlich belegt.[48] In Wien gab es vor dem Widmertor (heutiger 7. Bezirk) nicht nur eine einzelne Musikergasse. Die Grundbücher nennen häufig die Adressen Neulucke und Fudluke. [49] Bei Musikern bürgerlichen und geistlichen Standes war eigener Haus- und Grundbesitz die Norm.[50]

Häusliches, privates und zunehmend bürgerliches Musizieren gab es mancherorts in Europa seit dem 14. Jahrhundert. Christopher Page illustrierte das stattliche Haus des Spielmanns Nicholas aus Geoffrey Chaucers Canterbury Tales, in dem selbstverständlich viel musiziert worden sein muss.[51] In den Haushaltsrechnungen des englischen Hofs zählt Richard Rastall sechs Citolenspieler, die im frühen 14. Jahrhundert dort angestellt waren und teils reiche Entlohnungen erhielten. Mindestens einer von ihnen, Thomas Citoler, konnte ein Haus in London unterhalten.[52]

Die Wohnungen der Wiener Stadtmusiker dürften nicht allzu laut gewesen sein: Abgesehen von der Ausbildung der Kinder hatten sie ihren Beruf anderswo in der Stadt auszuüben, wohin die älteren Knaben oft mitgenommen wurden. Stadtmusiker besaßen auch kollektive Niederlassungen oder Grundbesitz. Die Wiener Spielleutebruderschaft besaß 1387–1389 ein Haus in der Wipplingerstraße und von 1445 bis mindestens 1451 einen Gutshof in Schwechat.[53] In Hamburg gab es spätestens seit 1466 ein “Pfeiferhaus”, das die Ratsmusiker vermutlich wie ein Kontor oder eine Burse benutzten.[54]

Die Wiener Grundbucheinträge vermitteln nicht den Eindruck, zwischen städtischen Türmern, Stadttrompetern, Stadtpfeifern und weiteren Musikern habe es besondere soziale oder wirtschaftliche Abstufungen gegeben. Musiker aller Art wohnten nebeneinander, vor allem vor dem Widmertor, und waren auch Nachbarn vermögender Bürgerfamilien. Ansässige Musiker waren ebenso oft in Geldnot wie andere Stadtbewohner; einen vielleicht typischen Fall registriert 1445 die Kirchenrechnung von St. Michael:

“Item so hab ich auch widerumb ausgelihen Kristoffen Schurffeysen dem trummeter und seiner hausfrawn auf Ir haus vor Widmertor, das gelt das ich von des pharrer gruntbuch von hof hab Ingenomen, davon man zu des Kyenast Jartag dienen sol, alle jar 2 tl.d. ut litera…16 tl.d.”[55]

Der Kirchmeister von St. Michael stundete also dem Trompeter und seiner Frau die jährliche Pachtsumme für das Haus vor dem Widmertor, die sie dem Pfarrer vom Hof schuldeten und die für einen von diesem Pfarrer gestifteten Jahrtagsgottesdienst bestimmt war. Ein Grund für solche Liberalität könnte gewesen sein, dass sich Schurffeysen für die Kirche verdient gemacht hatte – natürlich war er Mitglied der Nikolausbruderschaft an St. Michael. 1445 wurde das Haus allerdings an den königlichen Trompeter Kunz verkauft.[56] Noch 1448 war es mit dem jährlichen Pachtzins von 2 tl. belastet; wir wissen nicht, ob er dann bezahlt wurde.

[45] Federhofer 1996, 373 (nach A-Wn Cod. 1417, fol. 29r), der ersteres vermutet.

[46] Malecek 1957/58» H. Lautenisten und Lautenspiel (Kateryna Schöning).

[47] Vgl. Salmen 1983, 59; Schwab 1982, 33–37, mit weiteren Angaben zur Sesshaftigkeit der Musiker; Busch-Salmen 1992. Die Spelmansstraat in Brügge befindet sich an der Stätte hinter dem ehemaligen Karmeliterkloster, wo schon 1318 Spielmanssschulen gehalten wurden: Strohm 1985, 67 und 78.

[48] Archiv der Stadt Salzburg (A-Ss), SLU I, 1529 XI 26 (Original im Salzburger Museum); Älteres Städtisches Archiv, Urkundenreihe I, 1522-03-07. Vorbesitzer waren u.a. der erzbischöfliche Jäger Jörg Dörr und ab 1522 der Notar und Chorherr Leonhard Khumer; das Burgrecht gehörte den Erben des Ritters Jörg Wissbecker. Dass weitere Musiker dort (noch) ansässig waren, scheint somit zweifelhaft. Vgl. auch Busch-Salmen 1992, 59, 65f.

[49] Malecek 1957/58, 72–84; Czernin 2011, 97–104.

[50] Eine Stadtplanabbildung des verstreuten Londoner Grundbesitzes von John Dunstaple (ca. 1390–1453) bieten Clive Burgess and Andrew Wathey, Mapping the Soundscape: Church Music in English Towns, 1450–1550, in: Early Music History 19 (2000), 1–46: 23, fig. 3.

[51] Page 1995, 133.

[52] Rastall, Richard: ‘Citolers in the Household of the King of England’, The British Museum Citole: New Perspectives, London: The British Museum, 2015 (Research Publication 186), S. 45–50, hier S. 49.

[53] Schusser 1986, 121 und 142–144, Nr. 123 (Richard Perger).

[54] Koppmann 1869–1951, Bd. 2, 285, Bd. 3, LXX.

[55] St. Michael Kollegsarchiv, Kirchmeisterraittungen Abt. XI, 1445, fol. 30v.

[56] Czernin 2011, 100.