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Berufsmusiker und Gesellschaft

Reinhard Strohm

Musizieren in der Stadt kann, wie jede kulturelle Aktivität, aus drei Perspektiven beschrieben werden: Es gibt erstens die “etische”, auch einem Ortsfremden mögliche, Schilderung der akustisch-musikalischen Umwelt – des soundscape oder der Klang-Aura (» E. Klang-Aura); zweitens das “historische” Erzählen der Ereignisse und Entwicklungen, fokussiert auf bestimmte Institutionen und Zeitabschnitte (» E. Städtisches Musikleben), und drittens das “emische” Nachvollziehen des Lebens von seinen kollektiven Bedingungen her. Die letztgenannte Perspektive, die hier soweit wie möglich eingenommen werden soll, erfasst die Stadtmusiker als eine durch ihre Tätigkeit identifizierte Gruppe. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt mit Musik, übten also diese Kunst als “Beruf” aus und identifizierten sich selbst damit.

“Musiker in der Stadt” des 14. bis 16. Jahrhunderts waren nicht nur die Musiker in städtischen Diensten, sondern auch viele andere, die in einer Stadt lebten, jedoch Adligen oder Fürsten dienten oder keine feste Anstellung hatten und jedenfalls viel auf Reisen waren. Schon in früheren Jahrhunderten hatte das Wandern der Spielleute – das ihre gesellschaftliche Diskriminierung mit motivierte – keineswegs immer mangelnde Ortsbindung bedeutet. Im Spätmittelalter waren wohl die meisten Berufsmusiker in Städten ansässig. Sie bewohnten eigene oder gemietete Häuser mit ihren Familien, wo sie ihre Kinder musikalisch ausbildeten; sie besuchten Gottesdienste in ihrer Pfarre und waren Mitglieder geistlicher Bruderschaften, die für das Seelenheil verstorbener Familienmitglieder beteten (» Kap. Musikergenossenschaften). Der städtische Rahmen bot ihnen Verdienstmöglichkeiten auf vielen verschiedenen Rangstufen, von der offiziellen Repräsentation weltlicher und kirchlicher Macht bis hin zum Aufspielen bei Jahrmärkten und Tanzfesten von “arm und reych”, wie es in den Stadtrechnungen von Hall i.T. heißt.[4] Die Orte, an denen Musiker auftreten konnten, waren zwar gewöhnlich offiziell reglementiert (» E. Kap. Klang-Aura und soziale Strukturen), jedoch sehr vielfältig. Berufsmusiker spielten nicht nur auf Straße und Marktplatz, sondern auch (unter bestimmten Umständen) in der Kirche, auf dem Kirchturm, in der Burg, auf dem Wasser, im Rathaus, im Stadtgarten, auf Stadttürmen und -mauern, in Tavernen oder gar im Pfarrhaus – wie Paolo Santonino aus Gonobitz/Slovenske Konjice (Slowenien) berichtet.[5] Stadtmusik selbst war ein Gemisch einheimischer und fremder Darbietungen, was die Mentalität der Musiker ebenso beeinflusst haben dürfte wie die ihrer Hörer.

Wir sollten jedoch – historisch gesehen – deutlich unterscheiden zwischen dem hochmittelalterlichen Typus des fahrenden, rechtlosen, moralisch verachteten “Spielmanns” und dem seit dem 14. Jahrhundert entstehenden Typus des städtischen, steuerzahlenden Berufsmusikers, der bürgerlichen Status erwerben oder diesen von vornherein besitzen konnte.[6] Besonders Stadttrompeter konnten bisweilen das volle Bürgerrecht erwerben, wie z.B. in Salzburg 1501.[7] Die „Trompeterprivilegien“, die König Sigismund im frühen 15. Jahrhundert mehreren Städten verlieh, wurden als eine Art Nobilitierung der Kommunen verstanden (weshalb sie auch Widerspruch hervorriefen),[8] parallel etwa zu den Wappen- und Privilegienverleihungen durch die Herrscher. Für die Musiker der so privilegierten Städte – nicht überall gab es ja Trompeterprivilegien – entstanden hier neue wirtschaftliche und soziale Chancen, die außer den Trompetern auch anderen Berufen zugute kamen, vor allem den Stadtpfeifern, deren Aufgaben oft mit denen der Trompeter verschränkt waren. Rangunterschiede zwischen diesen zwei wichtigsten städtischen Berufsgruppen kommen gelegentlich zur Sprache; zahlreicher sind jedoch die Nachrichten über friedliche Zusammenarbeit (» Kap. Musikergenossenschaften). Auch zwischen städtischen und höfischen Musikern gab es viele Verbindungen.[9]

Musiker in der Stadt, die ihren Lebensunterhalt durch musikalische Praxis verdienten, waren selbstverständlich auch Kirchenmusiker wie Organisten, Kantoren und Kapellsänger. Persönlichkeiten wie der Organist und Komponist Paul Hofhaimer, der Beamte und Kantor Hermann Edlerawer oder der fürstliche Herold, Dichter und Spruchsänger Michel Beheim waren zwar im Sozialstatus vielen ihrer Kunstgenossen weit überlegen, sie illustrieren jedoch unseren Zusammenhang ebenfalls. Ihre Karrieren zeigen nämlich, wie weit nach oben auf der sozialen Leiter Frau Musica jemanden führen konnte (vorausgesetzt, er war ein Mann).

[4] » Abb. Haller Raitbuch von 1451.

[5] Dort spielten zwei Pfeifer “mit verschieden großen Pfeifen” während des Mahles: Vale 1943, 228; Federhofer 1996, 302; vgl.  » D. Advenisti: Fürsten und Diplomaten.

[6] Diese übergreifende Entwicklung ist Hauptthema von Schwab 1982.

[7] Kramml 2003, 605.

[8] Zak 1979, 149; Green 2011, 4.

[9] Zu Hofmusikern vgl.  » D. Hofmusik» Nicolaus Krombsdorfer, » G. Schubinger,  » Life as an Emperor’s Musician, und » Instrumentalkünstler.