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Musiker in Tavernen

Reinhard Strohm

Dass Musiker in Wirtshäusern aufspielten, war schon deshalb sinnvoll, weil sie selbst auf Reisen dort unterkamen und zum Geldverdienen auf Kontakt mit anderen Reisenden angewiesen waren. Nach Wolfgang Hartung versichert eine deutsche Zech- und Spielrede des 14. Jahrhunderts: “wer parat welle lernen, der uar in diese tauernen”, d.h. man konnte in Tavernen musikalische und rhetorische Kunstgriffe (parat) von den Spielleuten erlernen.[128]

Es mangelt nicht an Tatsachenberichten. Felix Faber erzählt in seinem Evagatorium  (Reisebericht seiner Reisen ins Heilige Land) aus Trient, 21. April 1483 (» J. SL Singen und Pilgern):

“Als es Abend geworden war und wir uns alle zum Mahl niedergesetzt hatten, kam ein gewisser Spielmann [joculator] mit seiner Flöte [fistula], und mit ihm seine Frau, die zum Flötenspiel sang, mit guter Melodie. Der Mann jedoch, obwohl er klug war, machte während des Spiels närrische Gesten [gesticulationes fatuorum], durch deren Ungeschicklichkeit er zum musikalischen Vergnügen großes Gelächter hervorrief. Als das Spiel beendet war, diskutierten die Barone und Adligen untereinander nach Herrenart über den Lohn, der dem Spielmann gegeben werden sollte.”[129]

In der Tat gab es anschließend eine theologisch-moralische Debatte darüber, ob man gottlosen Menschen wie Spielleuten Trinkgeld geben dürfe, die aber zu deren Gunsten entschieden wurde.

Die venezianischen Gesandten Contarini und Pisano in Trient, 1492 (» D. Advenisti. Fürsten):

“Am 17. des Monats kamen die Gesandten nach Trient, einer Bischofsstadt, von Rovereto 12 Meilen entfernt. … Der Stadthauptmann empfing sie am Eingang der Stadt … und begleitete sie bis zur Hosteria della Rosa. Dort stiegen sie vom Pferd ab und speisten; mitten während des Mahles erschien ein Narr [buffone], der seltsame Instrumente spielte, und mit ihm eine Frau, eine Saitenspielerin [cythareda], die viele deutsche Lieder sang, wobei sie zugleich ganz sicher ihre Rebec [Rubeba] spielte. Der Narr spielte zusammen mit ihr verschiedene, sehr phantastische Blasinstrumente [sibioti: wohl Hirtenflöten], und zwischen ihnen war wunderbare Konsonanz. Der Narr war komödienhaft gekleidet, und seinem närrischen Brauch entsprechend hatte er gewisse Ohren aus Schaffell [panno euside] auf dem Kopf, von denen er einmal das eine, dann das andere bewegte, und manchmal beide zusammen, was wirklich sehr zum Lachen war. Nachdem sie gespielt hatten, wurden sie reichlich belohnt und beschenkt.”[130]

Vielleicht sah das Narrenkleid des Mannes ungefähr so aus wie im Wiener „Hofämterspiel“ aus dem Umkreis König Lasslas, 1455: » Abb. Musizierender Narr.[131]

 

Abb. Musizierender Narr

Musizierender Narr
Musizierender Narr mit Einhandflöte und Trommel.  Kolorierte Spielkarte aus dem „Hofämterspiel“ (Kartenspiel, Wien um 1455). 
© Kunsthistorisches Museum, KHM Museumsverband Wien, Inv-Nr. KK 5113. Mit Genehmigung.

 

Man darf vermuten, dass das von Faber 1483 und von den Venezianern 1492 beobachtete Musikerpaar dasselbe war. Das würde bedeuten, dass die Spielfrau in der Zwischenzeit zusätzlich zu ihrem Gesang auch gelernt hatte, sich selbst auf der Rebec zu begleiten, während ihr Mann immerhin das Manipulieren langer Narrenohren einstudiert hatte. Es dürfte auch bedeuten, dass das Paar in der Stadt Trient sesshaft war. Sollten es verschiedene Personen gewesen sein, dann müsste es sich um individuelle Nachahmung oder eine allgemeinere Tradition bestimmter Tricks (lazzi) handeln. Beide Reisegesellschaften logierten vermutlich im selben Gasthaus (1492 “della Rosa” genannt).

Die Frage, wie verbreitet das Musizieren in Tavernen insgesamt gewesen ist, wer daran beteiligt war und welche Gebräuche es gab, wird besonders vom venezianischen Reisebericht aufgeworfen, der mehrere solche Darbietungen erzählt. In den Tiroler Städten Klausen, Brixen und Sterzing wurde den Gesandten von Schulknaben vorgesungen. Die Orte waren jedenfalls Gasthäuser: Dasjenige in Klausen hieß “zum Agnus Dei” (» D. Advenisti. Fürsten). Das oben erwähnte Musizieren für den reisenden Herzog Albrecht VI. (» Kap. Mäzenatentum der Fürsten) muss zum Teil im Freien, zum Teil aber auch in Tavernen stattgefunden haben. Hier waren auch nicht-professionelle Musiker beteiligt.

[128] Hartung 2003, 282, leider ohne Beleg, und 295–299 für weitere Angaben.

[129] Hassler 1848/1849, Bd. 3 (1849), 75; Übersetzung R.S.

[130] Simonsfeld 1903, 284; Übersetzung R.S.

[131] Vgl. auch » E. Kap. Stadt- und Hoftrompeter.