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Kriegsdienste

Reinhard Strohm

Stadtmusiker leisteten im 15. Jahrhundert oft Kriegsdienste, jedenfalls insoweit ihre Stadt kriegführende Mitverantwortung hatte. Dies war z.B. 1438 der Fall, als sich die Stadt Wien an Herzog Albrechts V. letzten Kampagnen gegen die Hussiten beteiligen bzw. diese subventionieren musste. Städtische Trompeter und “Hofierer” (Spieler leiser Instrumente), Lautenschlager und sogar “Schüler” zogen nach Laa a.d. Thaya, Znaym, Iglau, Drosendorf, Eggenburg und anderen Orten, um die Kriegsleute dort zu unterstützen. “Als man sich für den Thabor gelegt hat” (OKAR 1438, fol. 85r) – wohl bei Jihlava/Iglau – dienten neben diesen Stadtmusikern auch die Trompeter der Herrn von Liechtenstein, des Obersten Marschalls von Österreich (Reinprecht von Wallsee), die Trompeter und Lautenschlager der Herzöge von Meißen und Braunschweig, der Grafen von Schwarzburg, Cilli, Herzog Friedrichs IV. von Tirol und viele andere, die dann ebenfalls von der Wiener Stadtverwaltung entlohnt wurden. Die umfangreiche Kampagne kostete die Stadt 333 lb. 5 s. 10 d.[118]

Eine kleinere Expedition führte städtische Musiker 1441 nach Jedenspeigen im Marchfeld (» E. Kap. Stadt- und Hoftrompeter). Sehr bald begannen auch Feldzüge und diplomatische Kontakte nach Ungarn, bei denen berittene Stadttrompeter dienten. Die erfolglose erste Belagerung Wiens durch König Matthias Corvinus von Ungarn (14. August-20. Dezember 1477) erforderte verstärkte Besatzung auf Mauern und Toren, bei der zahlreiche Musiker verbündeter Fürsten mithalfen.[119]

Bei einem Angriff auf eine damalige Stadt wurden Glocken und Blasinstrumente zur Warnung eingesetzt. Die Turner von Hall i.T. hatten bei Kriegshandlungen zunächst das bürgerliche Aufgebot in der Stadt akustisch zu unterstützen, die “Werbetrommel zu schlagen”; anschließend zogen sie öfters mit ins Feld und spielten die Marschmusik.[120] Bei solchen Gelegenheiten wurden nicht nur Trompeten, sondern vor allem Trommel und Schwegelpfeife benutzt (» vgl. Instrumentenmuseum Einhandflöte & Trommel). Die Stadt Bozen bezahlte 1512 “den trummenschlagern so den knechtn umb geschlagn habn als die knecht in das Pustertal sein hin und her gezogn in herbergn zu bleibn”, 3 lb. als Übernachtungskosten während des Hin- und Rückweges mit den Kriegsknechten.[121]

Oswald von Wolkenstein war einer der Adligen, die sich aus Geldnot oder Ehrgeiz Kriegszügen anschlossen und dabei musikalisch aktiv waren. So ist bemerkt worden, dass sich in seiner Burg Hauenstein zwei Pauken und eine Trompete befanden, die er auf nähere und weitere Kriegszüge mitgenommen haben dürfte.[122] Diese Instrumente wurden von ihm sicher nach Art der adligen Kavallerie zu Ross gespielt (» D. Advenisti. Fürsten).

Es ist nicht ganz klar, inwieweit Turner (Trompeter) und Stadtpfeifer beim Kriegsdienst  unterschieden wurden. Normalerweise dienten Spielleute als Trommler und Pfeifer dem Fußvolk, berittene Feldtrompeter dagegen der Kavallerie, waren also oft Hofdiener, jedoch wurden auch Stadtmusiker als berittene Feldtrompeter ausgesandt, wenn die Stadt selbst als Kriegsherr auftrat (» E. Kap. Verschiedene Aufgaben). Diese Einteilung kann je nach Stadt und Kriegsschauplatz verschieden gewesen sein. Haller Stadträte reisten bisweilen sogar mit ins Feld und entlohnten die dort rekrutierten Stadtmusiker; in einem anderen Fall wurden kriegsdienende Haller “pheifer und trummer” vom Ratsmitglied Hanns Pircher in der Stadt selbst beherbergt.[123] In der Tat waren musikalische Kriegsdienste sehr wohl innerhalb der Stadtmauern erforderlich. Aus dem Krieg der Stadt Nürnberg gegen Albrecht Achilles von Brandenburg (1449-50) verlautet, dass beim Alarmsignal “Feind” der Turmwächter die vier Stadttrompeter durch alle Gassen liefen und die Reiterei zusammen trompeteten, während Sackpfeifer und Trommler das Fußvolk riefen.[124]

Im Hochmittelalter wurden “fahrende Spielleute” nicht zum Kriegsdienst bestellt.[125] Dies änderte sich später, da für die Marsch- und Feldmusik Berufsmusiker erfordert wurden. Kriegsdienst befähigte manche Stadtmusiker, das Bürgerrecht zu erwerben, z.B. in Basel gegen Ende des 15. Jahrhunderts.[126] Das Sesshaftwerden der Musiker und die Entstehung der frühneuzeitlichen Kriegsmusik waren offenbar miteinander verknüpfte Entwicklungen.[127]

[118] A-Wsa OKAR 1438, fol. 82v–85v.

[119] A-Wsa OKAR, 1477, fol. 114v–115r.

[120] Senn 1938, 80–81.

[121] Bolzano/ Bozen, Archivio Istorico/Historisches Archiv (I-BZac), ABZ. 1.3 Hs. 182, 1512, fol. 40v.

[122] Schwob 1999, Bd. 1, 284-301: 301.

[123] Stadtarchiv Hall i.T. (A-HALs), Raitbuch 9, 1504, fol. 103v bzw. fol. 91r; vgl. auch Senn 1938, 80–81.

[124] Żak 1979, 134; Green 2011, 16.

[125] Salmen 1983, 25.

[126] Wenzel 2018, 61.

[127] Zum sozialen Status und Dienst der „Musiksöldner“ vgl. Wenzel 2018, 53–83.