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Musik im Dienst des städtischen Bürgertums

Reinhard Strohm

Die Mitwirkung von Musikern am städtischen Festkalender ist in der Region Österreich ebenso reich belegt wie anderswo. Immer wiederkehrende, typische Anlässe waren städtisch-kirchliche (Prozessionen mit Reliquien, usw.), städtisch-höfische (politische Feiern, Fürstenempfänge, Freudenfeste),[115] und private oder korporative (Hochzeiten, Zunftfeste, Fastnachtstänze und -umzüge, Universitätsfeste). Für die städtisch-höfischen und städtisch-kirchlichen Anlässe war die Stadtverwaltung administrativ und finanziell verantwortlich, teilweise in Zusammenarbeit mit Hof und Kirche (» Kap. Musiker zwischen Stadt, Kirche und Hofgesellschaft). Viele andere Anlässe jedoch wurden von den privaten oder korporativen Veranstaltern – also den Bürgerfamilien selbst – veranstaltet und bezahlt, weshalb ihre Details heute schwieriger nachweisbar sind.[116]  Ein beredtes Bildzeugnis vom Musizieren bei einem stadtbürgerlichen Fest ist Wilhelm Zieglers Gemälde einer Patrizierhochzeit in Rothenburg ob der Tauber, 1538, heute im Schlossmuseum Linz (» Abb. Patrizierfest mit Musik, Tanz und Turnier). Diese Darstellung ist mit ihrer simultanen Zusammenstellung verschiedenster Aktivitäten zwar nicht realistisch,[117] sie demonstriert jedoch die seit etwa 1490 eingetretene Privatisierung, Vielfalt und Vermischung ständischer Unterhaltungsformen auf anschauliche Weise. Ziegler war als Schüler Hans Burgkmairs wahrscheinlich mit den narrativen Bildprogrammen des maximilianeischen Hofes vertraut.

 

 

Vor einem weiten Panorama mit Stadt, Burg bzw. Rathaus, Fluss, Brücke und Berg (das fast ebensogut die Stadt Linz, von Osten gesehen, darstellen könnte) findet im freien Gelände außerhalb der Stadtmauern ein Festgelage statt; an einem gedeckten runden Tisch sitzen sechs Damen und Herren. Davor befindet sich ein vom Liebesgott überwachtes quadratisches Brunnenbecken. Im Hintergrund vergnügen sich vermutliche Festgäste mit Hirschjagd, Fischen, Baden, Ballspielen, Schwertkampf, Akrobatik, Steinstoßen und anderer Kurzweil; es werden zwei Turniere zu Pferd mit Trompeter und Herolden veranstaltet. Nahe der Stadtmauer sind tanzende oder haschende Mädchen in Konviktkleidung zu sehen. Unter den vielen heraldischen Symbolen, die auf Wappen an den Häusern und auf Kleidern erkennbar sind, ist auch der kaiserliche Doppeladler (der freien Reichsstadt Rothenburg angemessen), jedoch sonst keines, das Fürsten oder Hochadel gehören könnte. Zwei andere Wappen treten mehrmals auf, vor allem als Embleme des ganzen Gemäldes links und rechts vorne. Nach Angaben des Museums sind es die Familienwappen der Rothenburger Familien Wernitzer und Berler. Sie sind auch an zwei Häusern sichtbar, koordiniert mit den Initialen  “KW” und “BW” bzw. “B”. Viele Leute betrachten die Ergötzlichkeiten vom Balkon und den Fenstern aus.

Im Mittelgrund und Vordergrund wird Musik gemacht. Links blasen vier Männer einer alta capella auf Zugtrompeten, begleitet von einem Kesselpauker – alle in schwerem roten “Hofgewand”. Rechts tanzt man einen Reigen, ohne eigene Tanzmusik, die wahrscheinlich von der alta capella beigesteuert wird (» Abb. Patrizierfest, Detail: Blasmusik zu Bankett und Reigentanz).

 

 

Davor sind drei kleinere Szenen privaten Musizierens zu erkennen: Links singt ein Liebespaar aus einem gemeinsamen Musikbuch, von einem Harfner begleitet (zwei Knaben sehen erstaunt zu); in der Mitte spielen Dame und Herr ein Blockflötenduett; rechts versucht sich ein Paar auf Laute und Gambe (» Abb. Patrizierfest, Detail: leise Musik). Der Harfner ist wohl der einzige Berufsmusiker in diesen drei Szenen.

 

 

Den vorderen Rand nimmt eine Kette von sieben vornehmen Paaren im Paartanz ein; ihre Tanzmusik wird überraschenderweise von den Kriegsinstrumenten Schwegelpfeife (Querpfeife) und Trommel gespielt. Das Patrizierwappen auf der Trommel und die steinerne Plattform mit der eingemeißelten oder aufgemalten Jahreszahl “1538”, auf der die Musiker stehen, betonen ihre offizielle Funktion (» Abb. Patrizierfest, Detail: Paartanz zu Querpfeife und Trommel). Die soziale Elite der Stadt ist hier öffentlicher Veranstalter und tritt als städtische Autorität und Kriegsmacht auf, der städtische Militärmusiker für private “Kurtzweil” zur Verfügung stehen.

 

 

[115] » E. Kap. Freudenempfänge.

[116] Vgl. weiterhin » I. Musik für die Familie Fugger in Augsburg.

[117] Als Bildtypus entspricht ihr schon um 1430/31 Jan van Eycks (?) verschollenes Gemälde “Jagdfest einer Hofgesellschaft Philipps des Guten”, vgl. Bowles 1977, 91; das Bildthema der Unterhaltungsformen wurde später berühmt in Pieter Brueghels dörflichen Panoramen.