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Instrumentalisten und ihre Kunden

Reinhard Strohm

Über 100 in Wien lebende Instrumentalmusiker des 14. bis frühen 16. Jahrhunderts sind heute namentlich bekannt. Die umfangreichste Liste, die auch Instrumentenbauer und Glockengießer einbezieht (Czernin 2011, 97-103), beruht hauptsächlich auf Wiener Grundbüchern im Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie auf Veröffentlichungen von Anton Malecek und Richard Perger.[57] Wir erfahren hier die Namen von 8 Pfeifern, 10 Fidelspielern und Lautenmachern (darunter einem Saitenmacher), 13 Lautenisten, 31 Trompetern, 4 Paukern, 6 Orgelbauern, 8 Organisten und 9 Glockengießern. Malecek zählt weitere 25 Namen von Musikern auf, die im 14. Jahrhundert in der Neuluke vor dem Widmertor wohnten und Hofdiener waren; es waren Pfeifer, fistulatores (Flötisten), Trompeter, Posauner und vier Pauker.[58] Weitere Namen aus der Nikolausbruderschaft an St. Michael hat Richard Perger ermittelt,[59] und zusätzliche Namen erscheinen in Urkunden und Stadtrechnungen. Allein die Zahlen legen nahe, dass in Wien Musiker aller möglichen Dienstherren wohnten: 28 der genannten Trompeter sind in den Jahren 1440–1470 belegt, während die Stadtverwaltung damals nur zwei offizielle Stadttrompeter beschäftigte. Namentlich genannte Stadttrompeter sind ein Oberndorffer, abgelöst 1444 von Hanns Peugker; Mathes Preuss, 1443–1450; Hans von Aichstat, 1456, Niclas Vorster und sein Geselle Wilpolt, 1456, und Peter Auernhaimer, 1458–1468.[60] Zwei der Organisten (M. Jodocus und Her Ott) wirkten im Stift Klosterneuburg; der Wiener “Orgelmeister” Perchtold Mörly errichtete ebendort 1437 eine große Orgel.[61] Von Trompetern und Pfeifern ist bis 1438 öfters erwähnt, dass sie im Dienst der Landesfürsten (Albrecht IV. bzw. Albrecht V.) standen; Simon Salat diente 1437 Königin Elisabeth von Ungarn und Böhmen; zwei Wiener Trompeter waren um 1452–1462 Gefolgsleute der Grafen von Schaunberg ().[62] Mit Ausnahme des Trompeters Kunz (1444) ist keiner der Instrumentalisten König Friedrichs III. (ab 1440) in den Wiener Grundbüchern als solcher identifiziert, vielleicht aus politischen Rücksichten. Die Stadt Wien beschäftigte auch Lautenisten in offizieller Funktion, z.B. Steffan Scherer, der 1438 beim Festzug zur Königskrönung Albrechts II. als städtischer Musiker teilnahm; für einige Jahre erließ ihm der Stadtrat die Pachtschuld für sein Haus auf dem Graben vor dem Widmertor.[63]

Mehrere Lautenschlager mit Namen Hans lebten um die Jahrhundertmitte in Wien, darunter der Lautenist und Sänger Hans Schüstl (oder Hans der Schüchtlein), der gegen Ende seines Lebens mehrere Weingärten besaß, jedoch zeitweise nicht einmal ein Haus hatte und möglicherweise einige Jahre im Gefängnis zubrachte; freilich kommen dafür auch zwei andere “Hans Lautenschlager” in Frage, deren einer 1453 von seinem Vater Andre Pfeifer einen Weingarten erbte.[64]

Das Geflecht der Musikernamen ist jedoch nicht völlig unentwirrbar. Viele Musiker hatten andere Musiker zu Nachbarn oder erbten bzw. kauften deren Häuser, so dass zumindest temporäre Beziehungen zwischen ihnen ermittelbar sind. Einige Familiengruppen treten zutage, z.B. die Lautenmacher-Dynastie der Volrat, mit Peter (Lebensdaten ca. 1380–1441), Hans (aktiv 1435–1458) und dessen Sohn Erhart (aktiv 1435–1459), wobei die Zeitgleichheit des Wirkens von Vater und Sohn auffällt. Auch die Trompeter Erhart und Frank Lindner (1476) waren Vater und Sohn.[65] Ein Pfeifer Michael Murr (1436) und ein Trompeter Hans Murr (1424–1449) können Verwandte gewesen sein. Leonhard Haberland, Pfeifer (nachweisbar 1423–1438), war mit der Tochter des (auswärtigen) Pfeifers Andreas von Linz verheiratet. Mehrere Träger des Namens Egkenfelder, unter ihnen der Lautenmacher Friedrich (1456, 1460) können einen Familienclan gebildet haben: Malecek zählt nicht weniger als sieben Egkenfelder auf.[66] Diesen Daten zufolge übte Friedrich als einziger einen musikalischen Beruf aus; die anderen waren bürgerliche Handwerker (Fasszieher, Zimmermann) oder Intellektuelle, wobei der Schulmeister Liebhard Egkenvelder (» C. Kap. Eine studentische Neidhartsammlung) noch nicht einmal berücksichtigt ist.

Musikalisch bedeutsame Beziehungen waren Lehrverhältnisse, die freilich nur mit Vorsicht rekonstruierbar sind. Sie setzten immerhin Ortsbindung voraus. Hans Schüstl soll Singen und Lautenspiel bei Steffan Scherer dem Lautenschlager erlernt haben. Der Lautenmacher und -spieler Heinrich der Zinczendorfer hatte den Lautenmacher Peter Volrat zum “Gesellen”, was bedeuten mag, dass er seine Instrumente zum eigenen Spiel und vielleicht Weiterverkauf von diesem bestellte. Solche Geschäftsbeziehungen konnten überregional sein. Heinrich hinterließ ein Testament (1423) mit Angabe des Wertes seiner Lauten; einer seiner Erben war der Lautenschlager Albrecht, der damals Herzog Ernst von Bayern diente; zu seinen Schuldnern gehörten Philipp Lautenmacher von München und “Jörg des Zinzendorfer” Fidler.[67]

Die früheste Namensnennung eines Wiener Orgelbauers ist wahrscheinlich eine Zahlung von 25 lb. an “petro organiste” in der Stadtrechnung von 1369, da das lateinische Wort “organista” sowohl “Organist” als auch “Orgelmeister” (d.h. Orgelbauer) bedeutet. 1379 erscheint wohl derselbe als “petrein orgelmaister” und erhält 15 lb.[68] Die Beträge erscheinen für Organistendienste zu hoch, während Orgelbauer stattlich verdienten. Trotzdem geriet der Orgelbauer Hanns im Jahre 1417 in Schulden gegenüber dem Kirchmeister von St. Stephan.[69] Jörg Behaim, der aus Böhmen stammte, wird 1391 erstmalig als Orgelbauer am Stephansdom erwähnt; er blieb in Wien ansässig. Orgelbauaufträge wurden oft überregional vergeben; die berühmtesten “Orgelmeister” wirkten in vielen verschiedenen Städten.[70]

Anton Malecek schließt zu Recht aus Testamenten von Wiener Stadtbewohnern, dass der Besitz und das Vererben von Musikinstrumenten auf privates Musizieren deutet. So hinterließ 1397 ein Johannes Wächerl (dessen Beruf unbekannt ist) der Witwe des Lautenmachers Konrad eine Summe Geld und ihrem Wirt, “dem Eberharde”, eine “cyprezzein lawten”.[71]  Ebenfalls 1397 konnte ein Johannes von Zwikkau seinen Erben gleich drei Musikinstrumente hinterlassen, nämlich “ain clavichordium, ayn lawten und ein quintern”.[72] Besaitete Tasteninstrumente waren, noch mehr als Lauten, typische Hausinstrumente, die privat gespielt oder zur Musiklehre verwendet wurden. Aber sie dienten auch professionellen Organisten, z.B. als Instrumente zum Üben.[73] Ein akademisch gebildeter Musiker war Magister Hermann Poll, der 1396 von Wien nach Pavia zur Fortsetzung seines Medizinstudiums ging; er hatte offenbar in seinen Wiener Jahren das Clavicembalo erfunden (» G. Hermann Poll).

Die Kunden der Berufsmusiker und Instrumentenmacher müssen zahlreich gewesen sein, vor allem zum Ankauf privater Instrumente und zur Spielunterweisung.[74] In dem Maße, in dem sich das Stadtbürgertum zunehmend zum Erlernen von Instrumenten bereitfand, wurde Privatunterricht eine neue Einkommensquelle für Berufsmusiker. In Wien dürfte die Anwesenheit von Universität, Kaufmannschaft und Herzogshof solche Verdienstmöglichkeiten gefördert haben. In Nürnberg notierte sich der Patrizierssohn Johannes Schedel, Bruder von Hartmann Schedel, den Beginn seiner Unterweisung auf der Harfe: „acht tag an sant kathrein tag oder acht tag noch sant merten tag 1463 Vnn an dem selbigen tag“ [18. November] “lernt ich auff der harpffen zum aller ersten mein traut geselle.”[75] Spezifische Mitteilungen von anderswo betreffen den jüdischen Musiker Mosse von Lissabon, der 1449 in Avignon einen Universitätsstudenten in explizit genannten Tanzmelodien auf Laute oder Harfe unterwies, und den Minstrel Thomas Rede, der 1474 in Calais einem englischen Kaufmann mehr als 40 Melodien auf Harfe und Laute und dazu die entsprechenden Tanzschritte beibrachte.[76]

[57] Malecek 1947Malecek 1957/58Perger 1988Schusser 1986, 120–122 (Richard Perger).

[58] Malecek 1947, 7–8. Zur Geschichte der Pauke und des Paukenspiels im höfisch-städtischen Rahmen vgl. Żak 1979, 298–300.

[59] Perger 1988, 29–30.

[60] Die ersten drei in A-Wsa OKAR 1444, fol. 135v; Aichstat, Vorster und Wilpot in OKAR 1456, fol. 31v.

[61] Flotzinger 1995, Bd. 1, 90.

[62] » E. Kap. Festlichkeiten für Ladislaus.

[63] Malecek 1957/58, 80–82; OKAR 1441, fol. 13v (Steffan zahlt der Stadt 45 d. Mietzins oder Pacht).

[64] Ausführliche biographische Angaben bei Malecek 1957/58, 76–80.

[65] » E. Kap. Verschiedene Aufgaben.

[66] Malecek 1947, 20–21.

[67] Malecek 1957/58, 73–75.

[68] A-Wn Cod. 14324, fol. 15v bzw. 39r.

[69] Uhlirz 1902, 345

[70] » C. Kap. Orgelbauer. Um 1480-1500 war Burkhard Distlinger aus Ingolstadt in ganz Österreich und Oberitalien tätig; » E. Bozen/Bolzano, Kap. Orgelbau.

[71] Malecek 1947, 9.

[72] Malecek 1947, 10. Zu den Instrumenten vgl. Instrumentenmuseum ClavicytheriumLauteQuinterne.

[73] » G. Kap. Lupis Umwelt.

[74] Zur Verbreitung des Instrumentenspiels im Bürgertum vgl. Żak 1979, 292–293.

[75] Kirnbauer 2001, 79, nach D-Mbs cgm 409, fol. 1r; vgl. Lewon 2018, 147. Das Lied „Mein traut geselle“, überliefert im Lochamer-Liederbuch, im Buxheimer Orgelbuch und in der Wolfenbütteler Lautentabulatur (Lewon 2018, 146-151), verwendet einen Text des Mönchs von Salzburg, aber nicht dessen Melodie.

[76] Schriftlich belegt durch Verträge zwischen Musikern und Kunden: Strohm 1993, 348 bzw. 393.