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Repräsentation und Unterhaltung: Turmbläser und Stadtpfeifer

Reinhard Strohm

So wie die Trompeter zugleich dem Signalwesen und der Repräsentation dienten, so umfasste die Funktion der Stadtpfeifer Repräsentation und Unterhaltung. Besonders bei öffentlichem Musizieren waren Repräsentation und Unterhaltung (“Kurtzweil”) weitgehend dasselbe. Martin L. Fiala sieht in Steyr einen historischen Zusammenhang zwischen Stadtpfeiferei und Stadtturnermeister:

“Bei Festveranstaltungen der Bürgerschaft und auch bei offiziellen Anlässen spielte bereits im 15. Jahrhundert eine eigene Stadtkapelle auf, die vermutlich aus der im Mittelalter vorhandenen Stadtpfeiferei hervorgegangen ist. Diesen Verband der Musiker leitete der Stadtturnermeister, dem drei bis vier Gesellen und einige Lehrlinge unterstellt waren.”[35]

Die Entwicklung der Stadtmusik war kein geradliniger Fortschritt von Signalfunktion zu musikalischer Unterhaltung. Die Aufgaben der Turmbläser und der Stadtpfeifer entwickelten sich nebeneinander, wobei (jedenfalls in Wien und Hall i.T.) die Letzteren eine Art Junior-Gruppe ohne ganzjährige Besoldung bildeten. Die Türmer durften sich wegen ihrer besonders verantwortlichen Funktion anderen Stadtmusikern überlegen fühlen, waren aber durch vielseitigen Einsatz für Sicherheit und Repräsentation oft an musikalischer Entfaltung gehindert, wie sie vor allem von den Stadtpfeifern geleistet werden konnte, so etwa beim Aufspielen in Rat- und Bürgerhäusern. Doch passten sich die Türmer musikalisch den Zeiten an.[36] Zweistimmiges Turmblasen ist erstmals 1497 in Basel nachgewiesen; die Rolle der Stadtpfeiferei übernahmen dort allmählich die Turmbläser.[37] Auch in Österreich beginnt die Geschichte der polyphonen Turmmusik etwa um 1500. In Brügge waren schon 1486 die Stadtmusiker (“menestruels vander stede”) vom Stadtturm mit einer “Motette” zu hören.[38]

Während die Zusammensetzung der Stadtpfeiferensembles in süddeutschen Städten relativ genau bekannt ist (auch in ihrer Variabilität),[39] lässt sich in österreichischen Archivalien bisher kaum Entsprechendes nachweisen. Offiziell werden z.B. in Wien nur “Trummeter” durchgehend besoldet, obwohl bei zahlreichen Anlässen Instrumentalisten der alta capella auf Schalmeien, Blech- und Schlaginstrumenten zur Unterhaltung musizierten und dafür entlohnt wurden (» E. Städtisches Musikleben). Das rot-weiße städtische “Hofgewand” wurde auch “Pfeifern” verabreicht, vor allem damit sie bei Zeremonien sichtbar waren; nur sind die Ausgaben dafür in den Stadtrechnungen nicht eigens spezifiziert. Das Ensemble, das bei Festen in Bürgerhäusern und Adelssitzen zum Tanz aufspielte, umfasste andererseits in Wien und Hall i.T. auch Posaunisten und Trompeter; dasselbe war die Praxis in Nürnberg, 1490.[40]

In der Stadt lebende Musiker waren regelmäßig an geistlichen und weltlichen Spielaufführungen beteiligt. Wir erfahren dies öfters aus den Spielanweisungen selbst, wenn z.B. Instrumentalmusik einen szenisch-akustischen Rahmen für die Auftritte der Hauptdarsteller bilden soll: 

“Ibi tanguntur Instrumenta musicalia. Post hoc Saluator cantat” (Hier werden Musikinstrumente gespielt. Danach singt der Erlöser.),

oder wenn gegen Ende einer Aufführung “Spiel­leute” zum Einsatz kommen:

“Rex dicit: Nue schlat uff ir spellute,/ und pauck frolichen hute,/ und czyn wir alle hen mit salden,/ daz ez got von hymmel muz walden” (Der König sagt: Nun schlagt auf, ihr Spielleute, und paukt heute fröhlich, und ziehen wir alle von hinnen mit Segen, dass Gott vom Himmel es beschütze).[41]
 

Dies noch ganz abgesehen von den zahlreichen vokalen und tänzerischen Musikeinlagen der Hauptdarsteller und den Chören der Engel, Grabwächter, Soldaten und Teufel. Im kirchlichen Umfeld einer Stadt wie Bozen wurden sicher Chorsänger der Schule herangezogen; gern würde man wissen, ob die singenden, tanzenden oder schreienden Teufel geistlicher wie weltlicher Spiele von Berufsmusikern verkörpert wurden.[42] Öffentliche Aufzüge theatralischen Charakters, z.B. Oster- und Fronleichnamsprozessionen, wurden typischerweise von Spielleuten (“Pfeifern”) begleitet, was ebenso wie das Zimmern und Malen von Requisiten von den Stadtverwaltungen vergütet wurde (» Abb. Ausgaben zum Osterspiel).

Es scheint, dass das Repertoire städtischer Berufsmusiker in Österreich schon seit dem 15. Jahrhundert anspruchsvolle und z.T. polyphone Musik umfasste.[43] Dieses Panorama entspricht durchaus den Verhältnissen in anderen Städten und Regionen des römischen Reiches.[44] Und ebenso wie dort sind viele Musiker der österreichischen Region auch namentlich bekannt.

[35] Fiala 2013, 175–176.

[36] Green 2011, 16: “Despite the fact that the performances of the watchmen generally demanded lesser musical skill than those of their Stadtpfeifer peers,” […] “the array of instruments at their disposal would nonetheless have allowed the performance of more challenging and elaborate signals in their day-to-day duties, suggesting that these were often musicians of notable ability.”

[37] Żak 1979, 146–147.

[38] Strohm 1985, 87. Allerdings geschah dies zu einem besonderen Anlass, nämlich der Einweihung des fertiggebauten Obergeschosses des Stadtturms (Beffroi); musikalisch anspruchsvolle Aufführungen der Stadtpfeifer fanden öfter auf Straßen und Plätzen statt, auch auf eigens errichteten Podien.

[39] Vgl. Polk 1987Polk 1992.

[40] Green 2011, 21. Vgl. auch » Kap. Musik im Dienst des städtischen Bürgertums.

[41] » H. Kap. Die geistliche Spieltradition (Andrea Grafetstätter).

[42] » H. Kap. Musik und Tanz in der Neidhartsspieltradition (Andrea Grafetstätter).

[43] Brown-Polk 2001, 124-131; Strohm 1992.

[44] Green 2011, 26-30.