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Das Neidhartlied Do man den gumpel gampel sank in der Egkenvelder-Liedersammlung

Marc Lewon

Ein „Neidhart“ in der Egkenvelder-Liedersammlung enthält Hinweise auf den 6. Kreuzzug von Friedrich II. (1228/29) und geht daher wahrscheinlich auf den originalen Minnesänger zurück: Do man den gumpel gampel sank (» Abb. Inhalt der Egkenvelder-Liedersammlung: Egh 16 = w7; » Hörbsp. ♫ Do man den gumpel gampel sank). Der Liedtext ist eine Tour de Force durch fast alle Themen, die in der Neidhartüberlieferung anzutreffen sind, teilweise mit starken Brüchen in der Handlung. Was als Kreuzlied beginnt (Str. 1–4), wandelt sich zum Dörperlied (Str. 5–7), weist in der Mitte des Textes einen neuen Frühlingseingang auf (Str. 8–9), um dann in ein Mutter-Tochter-Streitgespräch zu münden (Str. 10–13); fast als Nachgedanke wird in der letzten Strophe (14) noch der Topos von der „tanzwütigen Alten“ zitiert. Patricia Harant spricht dabei von „Erzählkernen“, „die sich aber nie zu einem kausal verbundenen und zeitlich sukzessiven Handlungsablauf entwickeln.“[30]

 

Text des Neidhartlieds Do man den gumpel gampel sank

1.

Do man den gumpel gampel sank
do stund so hach der mein gedank
der ist nu so gar verdorben
verfluhet müsse sein die weil
mir hat ein haidinischer pfeil
vil grosse sorg erbarben
Wie gern ich freuden pflëge
ob mir nicht nahen lege
ein schrancz die ist vnwëge

1.

Als man den ‚Hüftschwinger’ sang,
da war ich bei so guter Laune.
Die ist mir nun gänzlich vergangen.
Verflucht sei der Augenblick,
als mich ein Sarazenen-Pfeil
in so große Gefahr brachte.
Ich wäre so gerne lebensfroh,
wäre mir nicht so nahe gegangen,
eine äußerst unangenehme Verletzung.

2.

Ich chom gefaren uber mer
da cham ein vngefuges her
mit chaiser fridreichen
wir zogten in der haiden lanndt
ich wart geschossen so ze hannt
von dem muest ich entweichen
do wir seu an geriten
wie uast wir mit in striten
ir swert uil sere sniten

2.

Ich kam über das Meer gefahren.
Es war ein riesengroßes Heer
unter Kaiser Friedrich.
Wir zogen in das Sarazenen-Land.
Unversehens traf mich der Schuss:
daher musste ich zurückweichen.
Als wir gegen sie anritten:
wie heftig schlugen wir uns mit ihnen.
Doch ihre Schwerter schnitten sehr!

3.

Do ich so gar verczagt was
vnd auch des schuss vil chaum genas
von dann muest man mich tragen
Ich nie mer in grosser not
mir wart so nahen nie der tod
bey allen meinen tagen
Ich lag in dem ellende
got meinen chumer wende
vnd mich ze lande sende

3.

Da hatte ich allen Mut verloren,
und erholte mich auch kaum vom Schuss:
man musste mich wegtragen.
In solche Not kam ich nie mehr.
Niemals war mir der Tod so nahe
mein ganzes Leben lang.
Ich lag dort in der Fremde.
Wende Gott mein Leid
und bringe mich nach Hause!

4.

Mit chaiser fridreichs her
mit geuar ich nymmer mer
in salhen vngelingen
Als mir wart auf der uert chund
chem ich noch haim ze land gesund
so wolt ich aber singen
von manigem torpere
vnd westen si mein swere
wie fro ettleicher were

4.

Im Heer von Kaiser Friedrich
fahre ich niemals wieder
in solch ein Debakel,
wie ich das auf dieser Fahrt erlebte.
Käme ich noch gesund zurück,
dann wollte ich erneut
von vielen Bauernburschen dichten –
und wüssten die von meinem Unheil,
wie froh wäre da so mancher.

5.

Der erst wer der engelmar
der ist so vnuerswigen gar
das im der crump sein snallen
das ers acht saget hie
vnd dennoch maniger der sein were fro
das er vor in allen
wurd an der gschraÿ erslagen
vnd das sein oder chragen
múst noch die secke tragen

5.

Der erste wäre der Engelmar.
Der kann nichts für sich behalten.
Würde ihm das Maul bloß schief,
dass er nur noch „Ach!“ herausbringt!
Sicher wären viele froh,
wenn er vor aller Welt
am Keifen würde verhindert,
und sein verschlagenes Genick
die Säcke schleppen müsste.

6.

Doch wais ich zwen dorff chnaben
die enruchten das ich wer begraben
so ziment sich so wähe
das ist limmenzaun vnd irrenfrid
der in die oren paide ab snit
wie gern ich das sëhe
So hiet mein sorg ein ende
prant man seu durch die zende
so seu der teufel schende

6.

Dazu kenne ich zwei Dorfburschen,
die pfiffen drauf, wäre ich begraben.
Die sind dermaßen eingebildet,
der Leimenzaun und der Irrenfried.
Schnitt wer den zweien die Ohren ab,
das sähe ich mit Genuss.
Zur Ruhe käme ich,
würden sie gebranntmarkt,
als zeichnete sie der Teufel.

7.

Do ich cham aus der hereuart
ich want seu hieten sich verchert
von irem vngelimphen
do vandt ich den perenreutt
der steckt noch inder alten heut
vnd wolt mir slahen schrimphenn
Lass wir die torschen layen
in iren dicken troyen
enphahen wir den mayen

7.

Als ich vom Kriegszug kam nach Haus,
glaubte ich, es wäre jetzt Schluss
mit ihrem Schandbenehmen.
Da traf ich den Bärenreut.
Der stak noch in der alten Haut:
er wollte sogleich Wunden schlagen!
Na – lassen wir die Narren
in ihren Polsterjacken. –
begrüßen wir den Mai!

8.

Do ich ersach der pluemen schein
secht do zergie dew swere mein
deu wis het schone chlaide
das was des lieben mayen plued
des freud sich do mein gemüet
mir was uil luczel laide
wol auff ir stolczen maide
vnd springent von der haide
dem winter allze laide

8.

Als ich den Blumenschimmer sah,
seht, da war verging mein Leid.
Die Wiese ist im schönsten Kleid.
Das war die Blütenpracht des lieblichen Mai.
Wie freute sich mein Herz daran,
fort war alle Schwermut!
Auf, ihr hübschen Mädchen,
zum Tanz im Gefilde!
Mag sich der Winter ärgern.

9.

Wol auff iungen es ist an der zeit
deu haid in liechter uarbe lait
zergangen sind die reuffen
verswunden ist der chalte sne
der walt hat gruenes laub als ee
wir sollen zu freuden greiffen
vnd rayen wol ze preyse
in hofenleicher weise
ze gangen sind die eyse

9.

Wohl auf, ihr Jungen, jetzt ist’s so weit!
Die Flur, sie strahlt in heller Farbe,
hinweg ist jeder Reif.
Verschwunden ist der kalte Schnee.
Der Wald ist grünbelaubt wie je.
So lasst uns fröhlich sein,
und tanzen, dass man’s rühmt,
nach höfischer Art;
geschmolzen sind Eis und Schnee.

10.

Ich freu mich sprach ein magedein
ich wil den sumer froleich sein
des hab ich guet gedingen
Mein hercz das ist freuden uol
zwar ich mich gehaben wol
mit einem edelinge
den han ich mir erchoren
ich enrüch wem es tüt zoren
vergult sind sein sporen

10.

„Ich freue mich,“ sprach ein Mädchen,
„ich will den Sommer mich vergnügen;
ich habe die beste Aussicht.
Mein Herz, das freut sich schon darauf.
Jawohl, ich will mich amüsieren
mit einem adligen Herrn.
Ich habe mir ihn ausgesucht,
egal, wen es auch ärgert.
Vergoldet sind seine Sporen.“

11.

Tochter des hab meinen rat
ein chnappe sich vermessen hat
er leg sich dir wol nachen
der ist genant von rabental
wil er dir werfen seinen pal
den soltu nicht enphahen
du solt nicht mit ym chosen
ia chan ich sein wol losen
wol dan mit mir nach rosen

11.

„Tochter, höre auf meinen Rat!
Ein Junker hat damit geprahlt,
er werde bei dir schlafen.
Es ist der von Reuental.
Will er dir den Ball zuwerfen,
dann fang ihn ja nicht auf!
Du darfst nicht mit ihm schmusen!
Ja, bei dem kenne ich mich aus!
Auf mit dir zum Rosenpflücken!“

12.

Der tachter was deu red vnwert
ir welt mir heuer tuen sam vert
des lat mich nu genugen
frau muter euch wart nie so zoren
ist er ze fridel mir geporen
es mag sich wol gefuegen
Muter das ist ein wunder
verpiut ir mirs besunder
ich lig dem chnaben vnder

12.

Die Tochter hörte nicht auf diese Worte:
„Ihr macht mir’s heuer wie voriges Jahr.
Jetzt aber reicht es mir.
Mutter, bist du noch so wütend,
ist er zum Liebsten mir bestimmt,
dann wird’s auch was damit.
Mutter, das wäre ein Wunder,
wenn ihr mir das wirklich verbieten könntet:
Ich schlaf einfach mit ihm.

13.

Vnd wil die rosen lassen stan
sein will der muess an mir began
ich wil im nicht enliegen
chind das soltu nicht entüen
ich rat du nembst des mayers sun
der ritter wil dich triegen
was sagt ir mir von paueren
ia muest ich nit dann traueren
ee liess ich mich vermauern

13.

Und will die Rosen dafür stehen lassen.
Sein Wille geschehe an mir.
Was ich versprochen, halte ich!“
„Kind, lass unbedingt das bleiben!
Ich rate dir, den Sohn des Meiers zu nehmen;
Der Ritter wird dich betrügen!“
„Von Bauern will ich nichts hören.
Soll ich mein Leben versauern?
Dann steckt mich gleich ins Kloster.“

14.

Seind das ich ye gewan den leib
so gesach ich nie chain altes weib
dew pas den rayen sunge
den chinden auf der strassen vor
si vert recht als ein vogel enpor
wie geren ich mit ir sprunge
Sie springent sprunge weitte
si vnd ir sweister aitte
sind paid an ainem streyte[31]

14.

Seit ich geboren bin, sah ich
nie ein altes Weib, das besser
den Mädchen auf der Straße
das Tanzlied vorgesungen hätte.
Wie ein Vogel schnellt sie empor.
Wie gern spräng ich mir ihr!
Sie macht weite Sprünge,
auch ihre Schwester Eite,
beide um die Wette.

Transkription: Marc Lewon; Übersetzung: Marc Lewon frei nach Beyschlag/Brunner 1989, 327–333.

Solche abrupten Themenwechsel (wenngleich in der Regel nicht in dieser Dichte) sind ein Markenzeichen Neidharts, besonders in der Wendung vom Natureingang, der sich bei Neidhart kaum vom Mainstream des Minnesangs unterscheidet, hin zur Dörperthematik.

[30] Harant 2000, 221, siehe auch 222.

[31] » A-Wn s.n. 3344, Hs. w (Wien/Hainburg, ca. 1431–1434), fol. 107v–108r.