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Neidhart Fuchs: Vom Neidhartlied zum Neidharttanz

Marc Lewon

Sollte es ihn tatsächlich gegeben haben, dann war es wohl hauptsächlich Neidhart Fuchs, der durch seine Neuerungen das Überleben des Neidhart-Genres bis in die Neuzeit hinein gewährleistete.[48] (Sein Familien- oder Beiname „Fuchs“ ist erstmals in Heinrich Wittenwilers „Ring“ (vgl. Kap. Vom Minnesänger zum Bauernfeind und Anm. 18) belegt.[49] Er soll zur gleichen Zeit am Hof Herzog Ottos des Fröhlichen angestellt gewesen sein wie ein anderer Schwankdichter, der „Pfarrer von Kahlenberg“ – „eine historisch greifbare Persönlichkeit, nämlich Gundacker von Thernberg, der die ihm von Herzog Otto (gest. 1339) verschaffte Pfarre Kahlenberg (heute Wien 19., Kahlenbergerdorf) noch 1355 innehatte, dann Pfarrer von Prigglitz (Niederösterreich, Bezirk Neunkirchen) wurde und im Stift Lilienfeld ein Epitaph erhielt.“[50]. Mit der unter anderem im Veilchenschwank zitierten „Herzogin von Bayern“ ist wohl die Prinzessin Elisabeth von Bayern (1306–1334) und Ehefrau Ottos des Fröhlichen gemeint. Aus den verschiedenen Indizien lässt sich auf eine Wirkungszeit von Neidhart Fuchs am Wiener Hof zwischen ca. 1325 bis spätestens 1339 schließen. Vermutlich stammte er ursprünglich aus Franken. Ein anlässlich einer Restaurierung des Neidhartgrabes kurz vor 1504 verfasstes Epigramm lässt den Schluss zu, dass Neidhart Fuchs 1334 verstarb und dieses Datum auf dem ursprünglichen Grabmal zu lesen war.[51] Aufgrund der Untersuchungen an den Skelettresten, die auf ein Alter zwischen 35–45 Jahren schließen lassen könnte man seine Lebensdaten grob auf ca. 1289/99–1334 eingrenzen.[52]

Die Schwanklieder, die das Neidhartbild des Spätmittelalters prägten, sollten schon bald nach ihrer Verbreitung im frühen 14. Jahrhundert als Keimzellen für die Neidhartspiele fungieren (» H. Musik und Tanz in Spielen): Das St. Pauler Neidhartspiel – eine knappe szenische Darstellung des Veilchenschwanks und nur unwesentlich länger als das zugrundeliegende Schwanklied – ist sogar der früheste Text eines deutschsprachigen, weltlichen Spiels überhaupt.[53] Dabei stellte die Geschichte des Veilchenschwanks gewissermaßen die „Ursünde“ dar, auf der die meisten nachfolgenden Schwänke und die Spiele aufbauten. Außerdem wird sie in praktisch jeder archivalischen Quelle, die von Neidhart als Teil der Wiener „Folklore“ berichtet, als erstes nacherzählt. Der zweite zentrale Schwank des 14. und 15. Jahrhunderts ist der Fassschwank, in dem das Motiv des „Spiegelraubs“, das gleich einem Schemen bereits die frühe Neidhartüberlieferung durchzieht, aber nirgends eingehend erklärt wird, schließlich (und gewissermaßen nachträglich) stattfindet. Der Fassschwank ist schon in der Weingartner Liederhandschrift (» D-Sl HB XIII 1, 1. Viertel 14. Jahrhundert, Konstanz) enthalten und damit der früheste erhaltene Schwank in der Neidhartüberlieferung. Motive aus beiden Schwänken finden sich auch häufig in Abbildungen nebeneinander, so z. B. in der Wiener Tuschezeichnung (» Abb. Dörpertanz der Wiener Tuschezeichnung), in den Fresken der Burg Trautson am Brenner (» Abb. Der Veilchenschwank in Burg Trautson, » Abb. Der Fassschwank in Burg Trautson) und als Skulpturengruppen an der Albrechtsburg im weit entfernten Meißen (» Abb. Veilchenschwank an der Albrechtsburg, » Abb. Fassschwank an der Albrechtsburg).

 

Abb. Der Veilchenschwank in Burg Trautson

Abb. Der Veilchenschwank in Burg Trautson

Neidhartfresko aus dem Palas der Burg Trautson, Erdgeschoss, Ostwand, zw. 1450–1475 (heute in Burg Sprechenstein). Neidhart hebt den Hut vor der Herzogin und offenbart – wie das Spruchband bedeutet – „ein schones veioll“. (Bildzitat nach Blaschitz 2000, CD-ROM.)

 

Abb. Der Fassschwank in Burg Trautson

Abb. Der Fassschwank in Burg Trautson

Neidhartfresko aus dem Palas der Burg Trautson, Erdgeschoss, Ostwand, zw. 1450–1475 (heute in Burg Sprechenstein). Das Fresko vereint mehrere Szenen aus dem Fassschwank in einer Darstellung. (Bildzitat nach Blaschitz 2000, CD-ROM.)

 

Abb. Veilchenschwank an der Albrechtsburg

Abb. Veilchenschwank an der Albrechtsburg

Schlüsselszene aus dem Veilchenschwank an der Südseite der Balustrade im 3. Stock des Großen Wendelsteins der Albrechtsburg Meissen (1485). Neidhart hebt seinen Hut vor der Herzogin auf und offenbart den darunter liegenden Haufen. (Bildzitat nach Blaschitz 2000, CD-ROM.)

 

Abb. Fassschwank an der Albrechtsburg

Abb. Fassschwank an der Albrechtsburg

Spiegelraub-Szene aus dem Fassschwank an der Südseite der Balustrade im 3. Stock des Großen Wendelsteins der Albrechtsburg Meissen (1485). Engelmars Spiegelraub an Friederun ist ein häufiges Motiv in den Liedern Neidharts, wird aber nur im Fassschwank tatsächlich erzählt. (Bildzitat nach Blaschitz 2000, CD-ROM.)

 

Der Veilchenschwank war sogar so verbreitet, dass er als geflügeltes Wort und Euphemismus für „Scheiße“ im Lochamer-Liederbuch (» D-B Mus. ms. 40613) als sarkastische Reaktion auf die Liedzeile „Dw erfreuest mich zwar vnd enczündest mir mein mut recht als der may den plumlein tut“ (du erfreust mich wahrlich und entflammst mir das Gemüt, genauso wie der Mai es mit den Blümlein tut) aufscheint. Der Schreiber notierte dazu die Anmerkung: „als des neytharts veyol“ (genauso sehr wie Neidharts ‚Veilchen‘).[54] Im Veilchenschwank selbst wird das Wort tunlichst vermieden und in der Sterzinger Miszellaneen-Handschrift (» I-VIP o. Sign.) als „sorge“ umschrieben. Der Schwankbuch-Druck latinisiert den Ausdruck zu „merdum“.

Der Veilchenschwank ist auch für die teils generisch anmutenden Tanzdarstellungen innerhalb der Neidhart-Ikonographie der eigentliche Ausgangspunkt. Wenn also ein Neidharttanz dargestellt ist, dann kann man davon ausgehen, dass es sich dabei um den Bauern-/Dörpertanz gegen Ende des Veilchenschwanks handeln soll, selbst wenn Tanzerwähnungen in den Neidhartliedern und -schwänken häufig anzutreffen sind.[55] Die Darstellung des Fassschwanks in den Fresken der Burg Trautson macht aber auch deutlich, dass offenbar vor allem Aufführungen von Neidhartspielen zahlreiche der Abbildungen inspiriert haben müssen, denn hier kommen auch Szenen aus Spieltexten vor, die in den ursprünglichen Liedern nicht enthalten sind.[56] Zwar gibt es eine enge Verbindung der Lieder zu den Neidhartspielen, denn beide sind in der Überlieferung in unmittelbarer Nähe zueinander zu finden, was besonders auf die Sterzinger Miszellaneen-Handschrift in Verbindung mit dem Sterzinger Neidhartspiel und -szenar zutrifft.[57] Dennoch enthalten die Spieltexte der Neidhartspiele (oder nach zeitgenössischem Sprachgebrauch, der „Neidharttänze“) keine Hinweise darauf, dass in deren Verlauf Neidhartlieder erklungen wären, weder als Gesangseinschub, noch zur Tanzbegleitung. Kurzum: Was in den Liedern erzählt wird, wird in den Spielen ausagiert, inklusive der Tanzszenen. Sie wurden dort aber eben wohl zu „normaler“ Tanzmusik der Zeit aufgeführt.

Mithin sind also die Abbildungen der Neidhart-Ikonographie und insbesondere die Fresken in den Tanz- und Festsälen des Spätmittelalters nicht als Aufführungshinweise für die Interpretation von Neidhartliedern als Tanzlieder misszuverstehen. Sie stehen vielmehr als bildliche Repräsentation der Neidhartspiele für die Neidhartthematik als Ganzes und damit allgemein für Unterhaltung, anekdotische Geschichten und Tanz.

[48] Für eine Gegendarstellung vgl. Knapp 1999 und 2004 (Anm. 11).

[49] Blaschitz 2000, 178.

[50] Perger 2000, 114.

[51] Siehe Perger 2000, 114–117.

[52] Siehe Anm. 39.

[53] Eine Motivgeschichte der Spiele und Hierarchisierung der Schwankmotive findet sich bei Harant 2000.

[54] D-B Mus. ms. 40613, S. 29.

[55] Siehe Jöst 2000, 192.

[56] Harant 2000, 236; Simon 1969, 13.

[57] Siehe Harant 2000, 224f.