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Das Neidhartlied Der sunnen glanst in der Egkenvelder-Liedersammlung

Marc Lewon

 

 

Text des Neidhartlieds Der sunnen glanst

1.

Der sunnen glanst vns von dem himel scheinet.
man siecht schon gefeinet
haid anger grúnet wis vnd alle tal.
Der may wil vns winters chraft ergeczen
neues laub an seczen
es gruenent este die ee warden val.
Haid anger vnd das geuilde.
bechlait mit neuem plúd.
da fur lob ich ains rainen weibes pilde.
die macht mir traueren wilde.
ir lieblich gutlich lachen mir sanft tuet

1.

Der Sonnenglanz leuchtet uns vom Himmel,
man sieht schön verfeinert
Heide und Anger grünen, Wiesen und alle Täler.
Der Mai will uns nach des Winters Macht ergötzen,
neues Laub aufsetzen.
Es grünen Äste, die vorher so fahl waren.
Heide, Anger und die Fluren
sind mit frischen Blüten bekleidet.
Über all dies aber lobe ich ein Bild von einer Frau.
Die schlägt meine Trauer in die Flucht.
Ihr freundliches Lächeln tut mir gut.

2.

Wol mocht mich die fraue mein gefreyen.
Gamillen pluemen stráuen
wenn so lieblich lachen wil ir mund
Irer schon der mócht ain landt gar wol geniessen.
plicke stral die schiessen.
liebleich czeschauen meins herczen grunt
Ein engel in dem trone
der czarten ist geleich.
Si treit ob allen frauen wol die chrone.
die stet ir so schone.
nu wer gesach ye weib so mynnichleich

2.

Meine Dame könnte mich wahrlich froh stimmen,
Kamillen mir streuen,
wenn nur ihr Mund so lieblich lächeln will.
Ihre Schönheit könnte ein ganzes Land genesen.
Die Augen Blitze schießen, um lieblich
bis auf den Grund meines Herzens zu blicken.
Ein Engel auf dem höchsten Thron
gleicht der Lieblichen;
Sie trägt wohl die Krone über allen Frauen,
die steht ihr so wunderbar!
Wer hat nur je so liebenswerte Frau gesehen?

3.

Der meinen frauen wil ich furbas singen.
ich hoffe mir gelingen.
die oden goch die huben ainen tancz.
Ekkerúd der czimbte sich so résse.
ein offen tier er frésse.
der trueg cze schauen ainen rosen chrancz.
den nam er frideraune /
darumb czurnt engelmar.
sich hub ein fliehen da uon limmenzaune.
sein pruder der hiess haune.
der muest da lan die hauben czu dem hare.

3.

Für meine Dame will ich allzeit singen!
Ich hoffe auf Erfüllung. –
Die blöden Kerle trafen sich zum Tanz.
Eckenrüde hielt sich für so flink;
– ein Kamel soll er fressen! –
der trug einen Rosenkranz zur Schau,
den er zuvor der Friederun geklaut.
Drum tobt vor Wut der Engelmar.
Ein Reißaus nahm da Leimenzaun.
Sein Bruder, der hieß Hune,
der musste da die Mütze lassen samt dem Haar.

4.

Premenkint der deucht sich chukken.
vnd wolt auch chrenczel czucken.
dem wart ein straich mit einem cholben gross.
darczu so sach man gnapelraus den frechen.
ich wil dirs helfen rechen.
er sprach wo sind vnser streit genos.
Der wurden mer dann hundert
die sprungen an den tancz
der wurden ettweuil da besundert.
ich main die óden chunder.
der streit czergie vmb ainen rosen chrancz

4.

Bremekind hielt sich für so gewandt
und wollte sich auch Kränzlein reißen,
der kriegte einen Schlag mit einer Riesenkeule.
Dabei sah man auch den frechen Schnabelflink:
„Ich will dirs rächen helfen“,
er rief, „Wo sind unsere Kampfgenossen?“
Da kamen mehr als hundert,
die „sprangen“ mit am „Tanz“.
Von denen wurden etliche da abgesondert,
ich meine die dummen Bestien.
Der Streit erhob sich nur um einen Rosenkranz!

5.

Das frideraun ir spiegel ward czebrochen
das ward also gerochen.
darumb ir czwen vnd dreissick beliben tod.
vechten sach man von in auf der haide.
mir wart nie mer so laide.
der fridman kam. cze hant man fride pot.
der uoyt von osterreich
tet meinem herczen czoren.
si musten all von ein ander weichen.
recht als die pfaben sleichen.
seu sprungen nicht ir fuess waren halb verloren[29]

5.

Dass Friederuns Spiegel zerbrochen wurde,
das wurde folgendermaßen gerächt:
dafür blieben zweiunddreißig tot zurück.
Ihren Schwertkampf sah man auf der Heide.
Doch habe ich nichts mehr bedauert, als dass
der Schlichter kam. Sofort befahl man Frieden.
Der Vogt von Österreich
hat damit mich im Herz erzürnt.
Sie mussten alle von einander lassen,
wie Pfauen sich davonschleichen.
Springen ging nicht mehr: die Hälfte ihre Beine fehlten ihnen.

Übersetzung: Marc Lewon

Die markante phrygische Melodie ist im Aufgesang eventuell um eine Sekunde nach oben verschrieben, denn die Parallelüberlieferung in der Nürnberger Neidhart-Handschrift (c33, D-B Ms. germ. 779, fol. 163r–164r) steht dort konsequent eine Sekunde tiefer. Da beide Versionen aber modal möglich und plausibel sind, wurde für Edition und Einspielung (» Hörbsp. ♫ Der sunnen glanst) der Wortlaut der Eghenvelder Fassung beibehalten und nur die Kadenzzeile der Tonart angepasst. Der E-Modus (phrygisch) ist in der mitteleuropäischen Einstimmigkeit des Mittelalters deutlich häufiger anzutreffen als in den umliegenden Sprachräumen, so etwa im Œuvre Oswalds (» B. Oswalds Lieder, » G. Oswald von Wolkenstein) von Wolkenstein und auffällig oft in der Neidhartüberlieferung. Hier steht ca. ein Viertel der Melodien im E-Modus und in der Hauptquelle, der Nürnberger Neidhart-Handschrift, kommt er nach dem D-Modus (23 von 45 Melodien) mit 13 Melodien am häufigsten vor. Diese Vorliebe für das Phrygische, das sich stärker als andere Modi gegen eine mehrstimmige Behandlung sträubt, bestätigt die im 15. Jahrhundert immer noch starke Verwurzelung deutschsprachiger Musik in der Einstimmigkeit.

[29] » A-Wn Cod. S.n. 3344, Hs. w (Wien/Hainburg, ca. 1431–1434), fol. 107r–v.