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Schubinger, Lorenzo de’ Medici und Isaac

Markus Grassl

Die Florentiner piffari nahmen die typischen Aufgaben städtischer Bläserensembles wahr: Sie hatten für Musik bei zeremoniellen bzw. repräsentativen Anlässen der Kommune (wie Umzügen oder Empfängen hochrangiger Gäste), bei Banketten und bei öffentlichen Tanzfesten zu sorgen (was wie erwähnt nicht ausschloss, dass die Musiker daneben private Engagements annahmen). Ein Spezifikum war freilich die Einbindung in das für Florenz unter den Medici charakteristische Patronage-System. Die Medici selbst unterhielten keine eigenen Hofensembles, nutzten aber ihre wirtschaftlich und politisch dominierende Stellung zur Förderung der städtischen Instrumentalisten und der Sängerkapellen an kirchlichen Institutionen, vor allem indem sie sich intensiv um die Rekrutierung von (erstklassigen) Musikern für diese Einrichtungen bemühten.[31] Daraus resultierten Patron-Klientel-artige Beziehungen zwischen den Medici und den von ihnen protegierten Sängern und Instrumentalisten, die im Gegenzug über ihre offiziellen kirchlichen bzw. städtischen Dienstpflichten hinaus von den Medici de facto als deren Hofmusiker herangezogen wurden.[32]

Auch für die Berufung Augustin Schubingers auf die 1489 vakant gewordene Posaunistenstelle war Lorenzo de’ Medici – im Zusammenspiel mit dem familiären Netzwerk der Schubingers – ausschlaggebend. Lorenzo bzw. sein in dieser Angelegenheit ausgesandter Agent, der Florentiner piffaro Jacopo di Giovanni, hatten für den Posten zunächst zwei Personen im Auge: den jungen und anscheinend bereits renommierten Bartolomeo Tromboncino, der aber letztlich mit Verweis auf seine Verpflichtungen gegenüber Francesco Gonzaga absagte und in Mantua blieb;[33] und Augustin Schubinger, der offenbar während eines Aufenthalts in Mailand im Februar 1489 die Aufmerksamkeit der Florentiner auf sich gezogen hatte. Als Jacopo auf der Suche nach Augustin im Juni zu dessen Bruder Michel reiste, der aktuelle Aufenthaltsort von Augustin sich jedoch als unbekannt herausstellte, richtete Michel sozusagen zur Sicherheit ein Schreiben an Lorenzo de’ Medici, in dem er die Bereitschaft seines Bruders zu einem Wechsel nach Florenz bekräftigte.[34]

Eine weitere, sozial- wie musikhistorisch bemerkenswerte Spur der Netzwerke, in die Augustin Schubinger eingebunden war, hat sich in Gestalt der Protokollierung eines Mietvertrags erhalten, den der Musiker im Dezember 1489 für ein Haus auf der Via Argenti in der Pfarre San Lorenzo abschloss.[35]

Abb. Schubingers Florentiner Mietvertrag

Schubingers Florentiner Mietvertrag

[ 4. Zeile links:] Locatio

Item postea et cetera eisdem anno et indictione die II decembris 1489. Actum in dicto / palatio presentibus Francisco Nicole Simonis et / ser Ioanne Baptista Pierantonii de Paganuccis testibus.
Iohannes … de Tondinis olim capsonarius florentinus pro se et suis / heredibus locavit ad pensionem
Augustino Ulrighi de Almania tromboni ad presens dominationis / Florentie presenti et conducenti et cetera
Vnam domum cum sala et cameris et curia, puteo interno et aliis suis
habituris positam Florentiae in populo Sancti Laurentii de Florentia in via / Argenti nuncupata cui a primo dicta via, a secundo bona Gerozii de Medicis a tertio / bona sotietatis del Bigallo a quarto dicti locatoris in predictis confinis / pro tempore undecim mensium proximorum futurorum initiatorum die primo presentis mensis infrascripti / dexembris pro pensione dicti temporis XI mensium florenorum septem largorum de grossis et / solvendorum per hos menses per totum mensem aprilis florenos quattuor similes residuos videlicet florenos 3 1/3 per totum mensem octobris / mensibus infrascriptis;
promictens dictus locator conductori predicto dicta bona alteri non locare et cetera et e / converso dictus conductor et visis presentibus et mandatis.
Cornelius Laurentii de Alamania et                         cantores et ipsius quilibet se
Arrigus Ugonis de Alamania                                       principaliter et in solidum et cetera obligando
promiserunt dicto locatori petere et cetera excipere et cetera quod dicta bona […] dictus conductor / adhibere boni, loci et cetera sive temporis denuntiet et cetera et solvere pensionem et cetera ad / pretium alias predictum proprio de sermone et cetera promiserunt […]

Florenz, Archivio di Stato, Notarile Antecosimiano 1972 (1489), fol. 147. Edition und Transkription in: Schwindt/Zanovello 2019, 3–4.

 

Miete

Item nachfolgend etc. in diesem Jahr und dieser Indiktion am 2. Dezember 1489. Aufgesetzt im genannten Palast in Anwesenheit von Francesco von Nicola Simone und Ser Giovanni Battista von Pierantonio de Paganucci als Zeugen. Giovanni de Tondonis, vormals Florentiner capsonarius, vermietet in eigenem und im Namen seiner Erben Augustin [Sohn] von Ulrich aus Deutschland, Posaunist, derzeit in Florenz anwesend und wohnhaft etc., ein Haus mit Sala, Zimmern und Hof, einem inneren Brunnen und anderem Zubehör, das in Florenz in der Pfarre San Lorenzo in der Via Argenti gelegen ist, angrenzend erstens an diese Straße, zweitens an das Gut von Gerozio de’ Medici, drittens an die Gemeinschaft von Bigallo, viertens an den Besitz des genannten Vermieters, für die Zeit von elf Monaten, beginnend am ersten Tag dieses Monats Dezember für einen Zins für die genannte Zeit von elf Monaten in der Höhe von sieben Gulden Grosso, zu zahlen für diese Monate, für den ganzen April vier derselben Gulden, freilich 3 ½ für den ganzen Monat Oktober. Der genannte Vermieter verspricht dem genannten Mieter, den genannten Gegenstand nicht jemand Anderem  zu vermieten etc. Umgekehrt hat der genannte Mieter das hier Dargelegte zur Kenntnis genommen.

Cornelio di Lorenzo aus Deutschland und Arrigo Ugonis aus Deutschland, Sänger, in dauerhafter usw. und jeweiliger Verpflichtung, versprechen dem genannten Vermieter, dafür Sorge zu tragen etc. und sich dafür zu verbürgen etc., dass der genannte Mieter den genannten Gegenstand ordnungsgemäß unter Einhaltung des Orts und der Zeit zu nutzen zusagt etc., den Mietzins bezahlt etc., und versprechen einen gemäß einer eigenen Erklärung ansonsten bestimmten Betrag […]

Florenz, Archivio di Stato, Notarile Antecosimiano 1972 (1489), fol. 147. Edition und Transkription in: Schwindt/Zanovello 2019, 3–4.

Als Bürgen für „Augustinus Ulrighi de Almania trombone“ firmierten dabei – wie in der rechtsgeschäftlichen Praxis des spätmittelalterlichen Florenz üblich – zwei ‚Landsleute‘ aus demselben beruflichen Milieu, nämlich Cornelio di Lorenzo „de Alemania“, ein aus Antwerpen stammender Sänger an der Kirche Santissima Annunziata und am Baptisterium San Giovanni,[36] und „Arrigus Ugonis de Alemania“, i. e. Heinrich Isaac. Dass zwischen Schubinger und Isaac eine engere, sich sogar im Solidaritätsakt einer Bürgschaftserklärung bekundende persönliche Verbindung bestand, legt nicht nur Rückschlüsse auf eine auch musikalisch produktive Beziehung nahe (» H. Kap. Textlose Kompositionen). Vielmehr war ihre Bekanntschaft möglicherweise auch ein wesentlicher Faktor für den 1496 erfolgten Eintritt Isaacs in habsburgische Dienste. Wie Nicole Schwindt und Giovanni Zanovello plausibel gemacht haben, dürfte es der damals bereits am Hof Maximilians I. wirkende Schubinger gewesen sein, der das Augenmerk seines Dienstherrn auf den noch in Florenz weilenden, aber eine neue Beschäftigung suchenden Komponisten gelenkt hat.[37]

[31] D’Accone 1993; Zanovello 2005, 35–45.

[32] McGee 1999, 740–743; vgl. auch McGee 2005, 145–149; McGee 2008, 178–189.

[33] Siehe den Brief Bartolomeo Tromboncinos an Lorenzo de’ Medici vom 10. 6. 1489; ediert in: Becherini 1941, 108–109.

[34] Brief Michel Schubingers an Lorenzo de’ Medici vom 7. 6. 1489, in: Becherini 1941, 107–108. Vgl. auch McGee 2008, 185–186. Der Aufenthalt in Mailand stand möglicherweise in Zusammenhang mit der dort am 2. Februar gefeierten Hochzeit Gian Galeazzo Maria Sforzas mit Isabella von Aragon. Näheres ist unbekannt. Feststeht lediglich, dass sich Schubinger nicht im Gefolge Friedrichs III. befand, da sich dieser damals in den Niederlanden aufhielt.

[35] Auf dieses Dokument hat erstmals Böninger 2006, 127, aufmerksam gemacht. Eine eingehende Analyse auch der historischen Implikationen bei Schwindt/Zanovello 2019.

[36] Zu Cornelio di Lorenzo: D’Accone 1961, 334, 337 und 341–343.

[37] Schwindt/Zanovello 2019. Vgl. zuvor schon Schwindt 2018c, 259–260.