Eine kunstvolle Aufführungsfassung von Resonet in laudibus
Das Vorkommen der Cantio Resonet in laudibus im Seckauer Cantionarius deutet auf populäre Wurzeln dieser Sammlung, da es Tanz, Spiel und Laienbeteiligung implizieren kann. Was hier vorgeschrieben wird, ist jedoch ein äußerst komplexes Gebilde. Der Trägertext ist Simeons Lobgesang (Canticum) Nunc dimittis mit der Antiphon Magnum nomen domini Emanuel. Diese hat elfsilbige Verse und ungewöhnlicherweise einen eigenen Refrain, Sunt impleta, der ebenfalls elfsilbig ist. Zwischen die Teile des Canticum und die Wiederholungen der Antiphon mit Refrain (Textabschnitte A-I) sind nun die Einzelstrophen von zwei Cantionen eingeschoben, jede mit ihrer eigenen Refrainzeile („Repetenda“). Nove lucis hodie hat drei Strophen, Resonet in laudibus acht. Das Nunc dimittis ist in sechs Teile zerlegt, einschließlich Gloria patri und Sicut erat. Zu den späteren Strophen von Resonet in laudibus werden jeweils Strophen von Nove lucis hodiewiederholt; auch Magnum nomen mit Refrain kehrt jedesmal wieder, nur vom Nunc dimittis wird nichts wiederholt.
In dieser umfangreichen Anordnung wird gleichsam die Verantwortung für die Gesamtstruktur einem Strophenlied übertragen, nämlich der Cantio Resonet in laudibus, die am Ende allein noch neue Worte vorträgt. Man hat gewissermaßen nicht das Nunc dimittis tropiert, sondern das Resonet in laudibus inszeniert. Der seltene Text Nove lucis hodie wurde vielleicht hier erst erfunden, um in die schon traditionelle Kombination Nunc dimittis, Magnum nomen und Resonet in laudibus eingelegt zu werden. Für beide Cantionen ist der Cantionarius die älteste bekannte Quelle. Die zweitälteste ist das „Moosburger Graduale“ (» D-Mu Hs. 2°156), das 1360 in der Kollegiatkirche Moosburg (Diözese Freising) vollendet wurde.[28] Dort sind beide Lieder in einer explizit „Cantiones“ betitelten Gruppe notiert. Die textlich-musikalische Form von Resonet in laudibus ist jedoch umgestellt.
Magnum nomen domini: Cantionen zur Weihnachtskomplet Textedition nach » A-Gu Cod. 756, fol. 187r–188r. Elemente in [ ] hinzugefügt.
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[28] Vgl. Hiley 1996.
[1] Vgl. Husmann 1962. Husmanns Unterscheidung zwischen Benediktiner- und Augustinertraditionen ist freilich in der Region nicht so klar konturiert (Hinweis von Dr. Robert Klugseder).
[2] Vgl. Praßl 1998a und Praßl 1998b als Beispiele der neueren Erforschung von libri ordinarii im Gegensatz zur Erfassung liturgischer Gattungscorpora.
[3] Vgl. Graus 1994.
[4] Vgl. Spechtshart 1958; Bruggisser-Lanker 2010, 231–255.
[7] Zum Vorgang in der Geschichte des Kirchenlieds vgl. Strohm 2009.
[8] Vgl. auch die Textedition in AH 49, S. 46, Nr. 67.
[9] A-Gu Ms. 756. Zur Handschrift vgl. Lipphardt 1974; Irtenkauf 1956a; Irtenkauf 1956b; Flotzinger 1977, 79.
[10] Edition: Dömling 1972.
[11] Vgl. Irtenkauf 1956a. Das Datum und die Angabe, das Buch insgesamt heiße „Breviarium“, stehen auf der Schlussseite des originalen Gesamtcodex (fol. 228v).
[12] Vgl. Behrendt 2009, S. 42–46.
[13] Vgl. das kommentierte Inhaltsverzeichnis des Cantionarius bei Behrendt 2009, S. 47–58.
[14] Irtenkauf 1956b, 261 und Anm. 23.
[15] Eine Auflistung der Quellen dieses Conductus bei Stenzl 2000, 155.
[16] Vgl. Lipphardt 1974. Eine andere Ableitung aus dem Notre-Dame-Repertoire ist der Tropus De Stephani roseo (fol. 185r): Vgl. Irtenkauf 1956a, 135–136, und Flotzinger 1977, 85.
[17] Vgl. Irtenkauf 1956a, besonders 131.
[18] Vgl. Flotzinger 1977, 79.
[19] Vgl. Dömling 1972, Nr. 1.
[21] Im Cantionarius selbst, fol. 179r–179v, sind die zwei Solistenpaare als „Recto“ und „Pls“ („Rectores“ und „Populus“?) rubriziert. Zur Überlieferung von Hodie cantandus vgl. Haug 1995.
[23] Vgl. Harrison 1965; Strohm 2007.
[24] Näheres zu diesem Stück bei Celestini 1995.
[26] Zu beiden Fassungen vgl. Behrendt 2009, S. 417–421, mit Textedition der Fassung des Liber ordinarius.
[27] Zum Kindelwiegen vgl. » A. Laienfrömmigkeit: Die Rolle der Kirche; zu den Liedern ausführlich Ameln 1970, 65–91; Tanz von Maria und Joseph ist in einem der Spiele erwähnt (vgl. S. 75).
[28] Vgl. Hiley 1996.
[29] Diesem Refrain geht eine Zeile „Apparuit quem genuit Maria“ voraus, die dem Refrain der Cantio Nove lucis fast gleicht. Die Zeile ist im Resonet in laudibus jedoch Teil der Strophe, deren Struktur ohne sie unbalanciert wäre. Wahrscheinlich ist dies ein Anzeichen dafür, dass die Cantio Nove lucis selbst in Anlehnung an Resonet in laudibus entstanden ist.
[30] Ameln 1970, 54, Anm. 7, bezieht die reichere Neumierung irrig auf das „Eya“ im Refrain des Magnum nomen.
[31] Vgl. Petzsch 1966.
[32] D-Sl HB I 109, fol.122r (freundliche Mitteilung von Dr. Robert Klugseder). Vgl. Klugseder 2013.
[34] Die sieben deutschen Lieder im Liber ordinarius sind beschrieben bei Behrendt 2009, S. 422–436.
[35] Dies betont Irtenkauf 1956a, S. 131–132.
[36] D-Mu Cod. Hs. 2° 156, fol. 230v (vgl. Hiley 1996).
[37] Deutlichere Belege für populäre Vorlagen gibt es im katalanischen Llibre Vermell und im irischen Red Book of Ossory : vgl. Strohm 1993, 62–63.
[38] Vgl. Plocek 1985; Böse/Schäfer 1988; Strohm 2007.
[39] Schmitz 1936, 409.