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Der neue Tropus Flos de spina procreatur in Seckau

Reinhard Strohm

Der neue Tropus Flos de spina procreatur ist aus dem Augustiner-Chorherrenstift Seckau gleich dreimal überliefert: in der 1320 datierten Handschrift » A-Gu Cod. 469, in dem um 1339 geschriebenen Missale » A-Gu Cod. 456 und im hier behandelten Cantionarius » A-Gu Cod. 756 von 1345.[17] Wolfgang Irtenkauf schließt aus Textabweichungen zwischen der Fassung von 1320, die später anderswo auftaucht, und den beiden späteren Seckauer Fassungen, dass der Tropus überhaupt anderswo entstanden ist, vermutlich im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian. Rudolf Flotzinger hingegen nimmt eine viel ältere Seckauer Vorlage für den Cantionarius an:[18] Könnte auch dieses Stück darin schon existiert haben? Sicher scheint, dass es in Seckau zwischen 1320 und 1345 noch umgearbeitet wurde. In A-Gu Cod. 456 ist es nicht dem Weihnachtsfest, sondern Marienfesten zugewiesen und als Tropus zum Introitus Gaudeamus omnes in domino behandelt (fol. 92r). Jedoch steht es hier ohne praktische Verbindung zu diesem Introitus und ist nicht wie im Cantionarius zwischen dessen Teile eingeschoben, sondern in einfache Strophen gegliedert.

Leider sind die beiden älteren Niederschriften nicht mit Noten versehen, doch belegen sie, dass eine Melodie spätestens 1320 in Seckau existierte. Die Melodie im Cantionarius hat mit dem Notre-Dame-Conductus nichts zu tun. Sie bewegt sich mit dem Umfang A-c’ in einem kombinierten 1. und 2. Modus, passt also zu vielen Choralmelodien, worauf übrigens eine spätere Aufzeichnung hinzuweisen scheint („Tropus primi vel secundi toni“).[19] Die Melodie wurde sicher einstimmig und von vornherein auf Verwendung im kirchlichen Ritus hin konzipiert. Die aus dem späten 14. Jahrhundert bekannten zweistimmigen Fassungen (die ältere ist wohl » A-Iu Cod. 457) benutzen den großen Tonumfang dazu, die zweite Stimme – die denselben Tonumfang hat – eng mit der ersten zu verflechten.

[17] Vgl. Irtenkauf 1956a, besonders 131.

[18] Vgl. Flotzinger 1977, 79.

[19] Vgl. Dömling 1972, Nr. 1.