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Schalmei

Abb. Schalmei
Abb. Schalmei

St. Andreas zu Thörl/Kärnten, Meister Thomas von Villach, um 1475.
© Carmen und Heinz Gaggl.

Ian Harrison
Gesine Bänfer
Questa fanciull'amor
Die Schalmei ist ein konisch-gebortes Rohrblattinstrument, das in der europäischen Kunstmusik vom Mittelalter bis in den Frühbarock gespielt wurde und in der Kunst- und traditionellen Musik auf der ganzen Welt von der Antike bis zum heutigen Tage verwendet wird.
 
Genau wie die » Busine wurde die Schalmei offenbar zur Zeit der Kreuzzüge in Westeuropa (wieder-) eingeführt. In Bezug auf ihre Form und Größe sind aus dem Mittelalter nur ikonographische Belege vorhanden, da keine vollständig erhaltenen Schalmeien vor dem 16. Jahrhundert bekannt sind. Frühe Abbildungen zeigen kurze Instrumente, in denen der Abstand zwischen dem untersten Griffloch und dem Schalltrichter deutlich kürzer ist als der Abstand zwischen dem untersten Griffloch und dem Rohblatt. Im 13. und 14. Jahrhundert wurde dieses Instrument oft im Zusammenspiel mit Businen, Dudelsäcken, Einhandflöte & Trommel, Päuklein und anderer Perkussion abgebildet. In der Mehrzahl der Volkstraditionen wird heute noch die kurze Schalmeiform verwendet, häufig in Verbindung mit den gleichen begleitenden Instrumenten.
 
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts fand ein Umbruch in der Blasensemblebesetzung statt: Dudelsäcke, Perkussion und Businen wurden seltener mit Schalmeien eingesetzt, die » Zugtrompete wurde erfunden und die Schalmei wurde grundlegend verändert. Das Instrumente wurde länger, wobei besonders der Schalltrichter so erweitert wurde, dass der Abstand zwischen dem untersten Griffloch und dem Trichter länger wurde als der zwischen dem untersten Griffloch und dem Rohrblatt. Durch diesen langen Schalltrichter wurde pure Lautstärke und schnelle Ansprache (Charakteristika der meisten traditionellen Schalmeien) zugunsten der Möglichkeit geopfert, chromatische Töne hervorzubringen, sowie für einen größeren Tonumfang und eine größere dynamische Bandbreite. All diese Veränderungen sind in Einklang mit dem Wunsch, so zu spielen „wie Sänger singen“ – nach Art kunstvoll komponierter Mehrstimmigkeit. Von den vorsichtig vorantastenden Anfängen im späten 14. Jahrhundert an, ist die Geschichte der „lauten“ Bläserbesetzung des 15. Jahrhunderts geprägt von einer zunehmenden Zahl an Spielern, die diesen Stil erlernen, bis gegen Ende des Jahrhunderts einzelne Bläser zu den führenden Komponisten zählen (darunter Bartolomeo Tromboncino, Nicolo Pifaro) und Söhne von Blasinstrumentalisten zur absoluten Elite der Polyphonisten gehören (Jacob Obrecht).
 

Die „lange“ Schalmei wurde vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gespielt und war somit eines der langlebigsten Instrumente in der Geschichte der abendländischen Musik sowie eines der wichtigsten europäischen Holzblasinstrumente des 15. Jahrhunderts – sollte die bloße Anzahl von Abbildungen und schriftlichen Referenzen repräsentativ für ihren Einsatz sein. In mehreren Sprachen bezog sich das Wort „Pfeife“ („piffaro“ auf italienisch, „pipe“ auf Englisch, etc.) faktisch auf die Schalmei, obwohl es im Prinzip auf jedes Blasinstrument hätte angewandt werden können. Der Musiktheoretiker Johannes Tinctoris schrieb in den 1480er Jahren, dass die Schalmei ein „perfektes“ Instrument sei, da auf ihr „sämtliche Musik“ gespielt werden könne. Sie war das erste Instrument, das regulär als „Familie“ gespielt wurde, d.h. mit zwei oder mehr Instrumenten des selben Typs und in verschiedenen Größen gleichzeitig, und setzte somit eine Bewegung in Gang, die die Entwicklung des Renaissance Consorts und später des Orchesters ermöglichte.
Ian Harrison & Marc Lewon

Referenzen

Texte

Hörbeispiele