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Tandernaken

Ian Harrison (Schalmei), Hanna Geisel (Pommer), Nathaniel Wood (Zugtrompete)
ca. 1442
I-TRbc 87, fol. 198v-199r
eingespielt im Auftrag des FWF-Projekts ,Musikleben’
Gesine Bänfer

T’Andernaken al op den Rijn (Zu Andernach am Rhein) ist ein volkstümliches Lied in Balladenform. Es schildert einen tränenreichen Dialog zweier Mädchen um einen verlorenen Geliebten, den die böse Mutter verjagt hat. Die Melodie erlebte eine vom Text unabhängige Karriere. Sie wurde als basse danse gespielt und war offenbar als „tenor“ für instrumentale Improvisation beliebt; eine Aufzeichnung findet sich in einer Maastrichter Handschrift (um 1480), die Spielleuten gedient haben muss. Von T’Andernaken gibt es einige mehrstimmige Sätze, die die Melodie nach cantus-firmus-Art behandeln. Lange vor Jacob Obrecht, Erasmus Lapicida und Alexander Agricola vertonte den Tenor ein gewisser Tyling (Tijling), vermutlich ein Niederländer. Seine Melodiefassung, die von den späteren am Anfang abweicht, ist der Tenor eines ihm zugeschriebenen dreistimmigen Satzes, dessen Außenstimmen deutlich improvisatorisch gestaltet sind. Das Stück ist um 1442 als Unikat im Codex Trient 87 (fol. 198v-199r) überliefert, und zwar ebenso wie vier ähnliche Stücke (fol. 117v-119r) mit der Stimmbezeichnung „trebulus“ für die Oberstimme (» Hörbsp.♫ Auxci bon jour; » Hörbsp.♫ T (Tyling?)). Die Notenwerte der Außenstimmen müssen diminuiert (auf ein Drittel reduziert) gespielt werden. Der Schreiber und Besitzer von Codex Trient 87, Johannes Lupi, könnte Musik von westeuropäischen Spielleuten erhalten haben (» F. Musiker aus anderen Ländern).

Reinhard Strohm