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Nachwirkungen der Melopoiæ

Andrea Horz

Die in den Melopoiæ propagierte Art des Gedichtvortrags ist im Wiener Kolleg auch nach dem Tod von Celtis 1508 weiter gepflegt und imitiert worden. Bis in die 1530er Jahre hinein hielten ehemalige Musiker aus Maximilians Kreis an dieser Odenpraxis fest. Paul Hofhaimer (» I. Memorialkultur. Remembering Paul Hofhaimer) und Ludwig Senfl (» G. Ludwig Senfl) gaben den Tenorstimmen der Sätze aus der Melopoiæ ein neues Gewand; Senfl lieferte sogar weitere Sätze in diesem Stil.[46]

Auch der Einsatz des Gesangsmodells im Theaterspiel (vgl. Kap. Vorbilder und Intentionen des Ludus Dianæ) blieb weiterhin populär. In den weiteren Auflagen von Reuchlins Spielen wurden die einstimmigen Gesänge durch mehrstimmige Sätze ersetzt.[47] Der von Maximilian zum Historiographen ernannte, humanistisch gebildete Mönch Benedictus Chelidonius, der am Wiener Schottenstift wirkte, verfasste nicht nur ein Gedicht für Celtis‘ Melopoiæ.[48] Darüber hinaus beinhaltet sein 1515 aufgeführtes Huldigungsspiel » Voluptatis cum virtute disceptatio zu Ehren der zehnjährigen Erzherzogin Maria von Österreich und des Kardinaldiakons Matthäus Lang drei Chorpartien, die das metrische Schema in der Musik klar durchführen. Die kleinen rhythmischen Durchbrechungen in Alt und Bass lassen jedoch erkennen, dass er auch um musikalische Gefälligkeit bestrebt war – ohne jedoch das Metrum zu verdecken.[49] Das zeigt exemplarisch folgendes in moderne Notenschrift übertragenes Beispiel der Ode Veritas summo residens Olympo aus Chelidonius‘ Spiel (» Notenbsp. Ode Veritas summo). [50]

 

 

Diese kleinen Abweichungen vom starren, durch die Metrik vorgegebenen Rhythmus verweisen auf die Diskussionen um das Modell von Celtis und den Status, den diese Art des Odengesangs einnahm. Zwar legen die prominenten Nachahmer Ludwig Senfl und Paul Hofhaimer nahe, dass der einfache homophone, strikt am Metrum orientierte Satz als unbestrittene Ideallösung für den Vortrag antiker Oden galt (vgl. » Hörbsp. ♫ Maecenas atavis und » Hörbsp. ♫ Jam satis terris). Doch gab es auch mehr oder minder harsche Kritik. Der in Nürnberg tätige Johannes Cochläus beispielsweise bemängelte die gar zu strikte metrische Umsetzung und ließ in seinen Modellen leichte Abweichungen zu.[51] Schärfer setzte sich Heinrich Glarean vom Modell Celtis’ab. Zwar spielte bei ihm die Umsetzung des Metrums eine wichtige Rolle, doch propagierte er die einstimmige, im Rahmen eines tonartlichen Modus improvisatorische Odenvertonung, die auch affektiv in der Melodie am Text orientiert ist.[52] Diese Einwände vermochten es jedoch nicht gänzlich, die autoritative Vorbildfunktion der Melopoiæ zu erschüttern.

[46] Siehe hierzu McDonald 2012, besonders 84 ff.

[47] Liliencron 1890, 314 ff.

[48] Celtis 1507, Inhaltsverzeichnis auf der zweiten Druckseite.

[49] Zum Spiel von Chelidonius (Chelidonius 1515) vgl. Dietrich 1959.

[50] Zur Übertragung: Liliencron 1890, 360. Weitere Ausführungen hierzu ebd., 317.

[51] Cochläus 1512, Cap. X.

[52] Zu Glareans Position siehe Horz 2012.