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Vorbilder und Intentionen des Ludus Dianæ

Andrea Horz

Celtis konnte mit seinem Spiel an Vorbilder und Praktiken in Italien und im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation anknüpfen. Der vor italienischer Gesandtschaft zu Ehren Maximilians und seiner Frau Bianca Maria Sforza aufgeführte Ludus Dianæ erinnert an die italienische Art zu feiern.[28] An italienischen Höfen[29] – u. a. in Mailand, der Heimatstadt von Bianca Maria – waren Spiele sehr verbreitet. Aufführungsanlässe waren Feste, wie Karneval oder Hochzeiten; mit den Spielen wurden mitunter bestimmte Personen geehrt. Dabei konnten in ähnlicher Weise wie bei Celtis die Gefeierten Teil des Spieles sein.[30] Anders als Celtis’ lateinisches Bühnenstück sind die italienischen Spiele häufig in der Volkssprache gehalten. Doch lassen sich ebenfalls wie bei Celtis‘ Spiel, dessen fünfteiliger Aufbau und der Auftritt mythologischer Figuren an die Antike gemahnt, Anklänge an das antike Drama erkennen.[31]

Auch in Italien bevorzugte man im Spiel einen einfachen musikalischen Satz. Es konnte zudem einstimmig gesungen oder auch improvisiert werden – ein berühmtes Beispiel hierfür ist Angelo Polizianos Orfeo (Mantua 1480, gedruckt » 1494). Vor diesem Hintergrund erscheint die zweite, nicht metrisch gehaltene Notenbeigabe des Ludus Dianæ wie eine Hommage an die italienische Praxis.[32] Die saphhische Strophe entspricht rhythmisch den Vertonungen dieses Versmaßes im römischen Eklogengesang, wie zum Beispiel in Michele Pesentis Frottolavertonung des Horaz’schen Integer vitae.[33]

Innerhalb des Heiligen Römischen Reichs war Celtis ebenfalls bereits Teil einer Bewegung, deren Bestreben es war, Spiele mit humanistischen Zügen aufzuführen, d. h. in Anlehnungen an antike Theorien und Praktiken. Peter Luder, Johannes Reuchlin, Jacob Locher, alle wie Celtis humanistisch gebildet, dem Kaiserhof verbunden und durch einen Italienaufenthalt geprägt, bemühten sich um die antiken Dramen und brachten diese oder neu verfasste Werke auf die Bühne. Luder, einer der ersten deutschen Humanisten, strich den Wert von Terenz‘ Komödien hervor.[34] Auch Reuchlin – von Zeitgenossen als erster deutscher Komödienschreiber betitelt – machte sich um die Komödie verdient. Sein ebenfalls mit Musikeinlagen versehener Henno erlebte zahlreiche Auflagen.[35] Celtis machte seinen Schüler Locher mit der Idee vertraut, dass das Theaterspiel, insbesondere die Tragödie, für die Staatspolitik von Nutzen sei.[36] In seinen (noch vor Celtis’ eigenen Bühnenentwürfen aufgeführten) äußerst historisch-politisch gehaltenen Dramen bedachte Locher von Anfang an die musikalische Umsetzung: Im Druck der » Historia de Rege Frantie (1495) sind einfach gehaltene dreistimmige Stücke gesetzt.[37]

Die Überlegungen zur metrischen Odenvertonung waren für Celtis nicht allein gelehrtes Wissen und nicht allein auf die pädagogische Funktion beschränkt, die Metren in den Köpfen der Schüler zu verankern. Bereits in den Melopoiæ ist mit dem Verweis auf die eigenen, den Metren des Horaz entsprechenden Gedichte der Anspruch angezeigt, auch aktuell von Belang zu sein. Im theatralisch ausgestalteten Herrscherlob war der metrische, vierstimmig-homophone Odenvortrag ein Mittel, die Wirkung zu steigern. Doch waren für Celtis – das zeigt etwa das dreistimmige Beispiel im Ludus Dianæ – auch andere musikalische Vortragsformen lateinischer Lyrik denkbar.[38]

[28] Zu den italienischen Festspielen als Konglomerat von Darstellung mythologischer Themen, Herrscherlob und Festbankett u. ä. siehe auch Dietl 2005, 188.

[29] Siehe das Inhaltsverzeichnis von Osthoff 1969, 5 f.

[30] Beispielsweise eine zu Ehren des Prinzen Federigo D’Aragona in Urbino 1474 aufgeführte dramatische Darstellung bezieht den gefeierten Prinzen mit ein. (Osthoff 1969, 3 ff.).

[31] Insbesondere Pomponius Laetus in Rom, dessen Schüler Celtis während seines Italienaufenthaltes war, bemühte sich um die Aufführung von antiken Dramen von Seneca und Terenz, inszenierte aber auch zeitgenössische Spiele. Dietl 2005,  189.

[32] Ausführlicher zum „italienischen Erbe“ in Conrad Celtis‘ musikalischem Odenverständnis sowie zur Kritik an der Idee, die vierstimmig-homophone, metrisch gesetzte Humanistenode sei eine eigene und abgeschlossene Gattung, siehe Andrea Horz, Lyra und Ode. Musik und Metrik in Wien um 1500 (Druckfassung des Vortrags in Vorbereitung).

[33] Osthoff 1969, 168 f.

[34] Dietl 2005, 20 ff.

[35] Dietl 2005, 160 f.

[36] Dietl 2005, 35 ff.

[37] Siehe den Hinweis in der Edition von Dietl 2005, 384 ff.

[38] Selbst die in Wien gedruckten Lautentabulaturen dieser Sätze von Hans Judenkünig dürfen nicht als Widerspruch zu Celtis‘ Idee gesehen werden. Vgl. die Sätze in folgenden Lautentabulaturen: » Hans Judenkünig, Utilis & compendiaria introductio, Wien: Johann Singriener? ca. 1515–1519» Hans Judenkünig, Ain schone kunstlich underweisung, Wien: Johann Singriener 1523. Im Vorwort der Melopoiæ vermerkt Celtis explizit die Möglichkeit, den einstimmigen Gesang auf der Lyra zu begleiten. Darauf verweist auch Lodes 2010, 54.