Humanistische Herrscherhuldigung
Der im Bildprogramm der Melopoiæ abgebildete Lorbeer ist ebenso wie die Darstellungen des Apolls bezeichnend. Der Dichtergott Apoll trug als Zeichen seines Kummers über die unerwiderte Liebe zu Daphne einen Lorbeerkranz oder schmückte seine Leier damit. Der Lorbeerkranz Apolls – seit der Antike Symbol des Ruhmes und des Sieges – kennzeichnet auch die poetae laureati. Die Dichterkrönung war Ehre und Pflicht zugleich, denn nicht nur der Poet erhielt damit Ruhm, auch der die Krönung vornehmende Herrscher wollte daran teilhaben: Im Gegenzug sollte der Gekrönte mit seinem Werk den Machthaber rühmen.
Auch der Initiator des Druckes – Conrad Celtis – trägt den Lorbeer des poeta laureatus (des lorbeergekrönten Dichters), den er als erster Deutscher 1487 von Kaiser Friedrich III. empfing. 1501 ernannte der damalige König Maximilian I. Celtis zum Vorstand des an der Universität Wien neu gegründeten Collegium poetarum et mathematicorum.[11] Das Collegium unterstand direkt dem Landesfürsten bzw. dem Kaiser. Nach dem Vorbild der italienischen Akademien[12] sollten die humanistischen Studien an der Universität Wien – die durch ihren Gründer Rudolf IV. den Habsburgern besonders verbunden war – verankert werden. Diese „moderne“ Einrichtung sollte das Ansehen der Universität weiter erhöhen.[13] Zudem bestand einer der Grundgedanken des von Celtis geführten Wiener Poetenkollegs darin, die Dichterkrönung – und damit zugleich das Herrscherlob[14] – zu institutionalisieren. Mit dem erfolgreichen Abschluss des Lehrprogramms sollte der Absolvent die Dichterkrone erhalten.[15] Daher umfassten die für das Kolleg stehenden Symbole auch einen Lorbeerkranz (» Abb. Insignien des Collegium poetarum et mathematicorum).
Hand in Hand gingen also die Glorifizierung des Herrschers und das humanistisch-gelehrte Bestreben, das antike Erbe zu erneuern und zu bewahren. Auch die von Celtis mit der Melopoiæ vorgelegte Lösung, wie eine musikalische Präsentation antiker Lyrik ausgesehen haben mag, ist nicht allein von gelehrtem Interesse. Denn der Vortrag metrischer Dichtung war auch ein Mittel, den Herrscher zu rühmen – und was konnte attraktiver sein, als den von der Antike ererbten Machtanspruch mit einem ebenfalls für antik befundenen Vortragsstil zu verkünden?[16] Der Odengesang erhielt in Verbindung mit der Herrscherwürdigung eine überaus praktische Komponente.
Celtis erweiterte die performative Funktion des musikalischen Odenvortrags, indem er ihn in Bühnenstücke einsetzte. Die Rezeption der antiken Dramentheorie, einschließlich der philologischen Erschließung, insbesondere der Dramen Senecas, sowie die Aufführung antiker Bühnenwerke,[17] beispielsweise von Terenzkomödien, waren Celtis ein Anliegen, aber offenbar auch Anregung für eigenes Schaffen. In seinen zwei erhaltenen Bühnenstücken steht das Herrscherlob im Mittelpunkt. Musik ist in diesen beiden Stücken auch vorgesehen. Der Odengesang kommt bei der Nachgestaltung eines antiken Chores zum Einsatz.
[11] Einen kurzen Überblick über Conrad Celtis’ Leben bietet beispielsweise Robert 2008. Vgl. auch Plieger 2012, 184 ff. Plieger kann zeigen, wie sehr Celtis auch im Totengedenken noch den Leiter der römischen Akademie, den dem Platonismus verbundenen Pomponius Laetus, nachahmt.
[12] Insbesondere war die römische Akademie unter Pomponius Laetus Vorbild. Siehe Mühlberger 2004, 766.
[13] Vgl. hierzu und u. a. zur Rolle Celtis’ bei der Gründung: Mühlberger 2004, 766.
[14] Müller 1987, 208 f., gibt einige wichtige Stichpunkte zum Gedechtnuswerk Maximilians.
[15] Siehe dazu Mühlberger 2004, 772.
[16] Jan-Dirk Müller formuliert das Paradox der höfischen Renaissancekultur folgendermaßen: „Nur die Antike, ihre Mythologie und ihr Formenkanon verleihen dem Hof und an seiner Spitze dem Herrscher Glanz und Ruhm, aber die Adaptation muss stets das Adaptierte zu überbieten behaupten.“ (Müller 2009, 5).
[17] Siehe Dietl 2005, 188 ff.
[1] Birgit Lodes entthronte die » Melopoiæ als ersten Druck mit beweglichen Typen. Siehe Lodes 2001 sowie Lodes 2002.
[2] Siehe zum Kolophon der » Melopoiæ: Lodes 2010, 36 f.
[4] Zum Verhältnis von » Melopoiæ und » Harmoniæ vgl. Lodes 2010, 56 ff.
[5] Zur Deutung siehe Lodes 2010, 50 ff. sowie Luh 2001, insbesondere 210 ff.
[8] Siehe hierzu ausführlich Robert 2003, 38–40 sowie 85–92.
[9] Celtis 1507, Titelseite (» Abb. Melopoiæ 1507 Titelblatt).
[10] Siehe auch Lodes 2010, 50.
[11] Einen kurzen Überblick über Conrad Celtis’ Leben bietet beispielsweise Robert 2008. Vgl. auch Plieger 2012, 184 ff. Plieger kann zeigen, wie sehr Celtis auch im Totengedenken noch den Leiter der römischen Akademie, den dem Platonismus verbundenen Pomponius Laetus, nachahmt.
[12] Insbesondere war die römische Akademie unter Pomponius Laetus Vorbild. Siehe Mühlberger 2004, 766.
[13] Vgl. hierzu und u. a. zur Rolle Celtis’ bei der Gründung: Mühlberger 2004, 766.
[14] Müller 1987, 208 f., gibt einige wichtige Stichpunkte zum Gedechtnuswerk Maximilians.
[15] Siehe dazu Mühlberger 2004, 772.
[16] Jan-Dirk Müller formuliert das Paradox der höfischen Renaissancekultur folgendermaßen: „Nur die Antike, ihre Mythologie und ihr Formenkanon verleihen dem Hof und an seiner Spitze dem Herrscher Glanz und Ruhm, aber die Adaptation muss stets das Adaptierte zu überbieten behaupten.“ (Müller 2009, 5).
[17] Siehe Dietl 2005, 188 ff.
[18] Zur Verbindung des Ludus Dianæ (Celtis 1501) mit dem Parnass-Holzschnitt der Melopoiæ vgl. Luh 2001, 231 ff.
[19] Siehe die Edition und den Kommentar zur Musik in Gingerick 1940, 167ff.
[20] Schütz 1948, 112.
[21] Dietl 2005, 188 ff.
[22] Siehe zu diesem Aspekt Dietl 2005, 192 ff. sowie Müller 2009.
[23] Schütz 1948, 114 ff., sieht enge Verbindungen zwischen der Götterdarstellung in den Holzschnitten von Celtis’ Druckwerken und der Beschreibung der Darstellerkostüme im Spiel.
[24] Dietl 2005, 192. Zum Druck auch Müller 2009, 11 f.
[25] Frühere Übertragung: Liliencron 1890, 316.
[26] Siehe hierzu auch Müller 2009, insbesondere 7 f. Hier ist auch die Übersetzung der entsprechenden Stelle zu finden sowie eine Zusammenfassung des Dankgesanges.
[27] Übertragung aus Liliencron 1890, 359. Weitere Ausführungen finden sich ebd. 316.
[28] Zu den italienischen Festspielen als Konglomerat von Darstellung mythologischer Themen, Herrscherlob und Festbankett u. ä. siehe auch Dietl 2005, 188.
[29] Siehe das Inhaltsverzeichnis von Osthoff 1969, 5 f.
[30] Beispielsweise eine zu Ehren des Prinzen Federigo D’Aragona in Urbino 1474 aufgeführte dramatische Darstellung bezieht den gefeierten Prinzen mit ein. (Osthoff 1969, 3 ff.).
[31] Insbesondere Pomponius Laetus in Rom, dessen Schüler Celtis während seines Italienaufenthaltes war, bemühte sich um die Aufführung von antiken Dramen von Seneca und Terenz, inszenierte aber auch zeitgenössische Spiele. Dietl 2005, 189.
[32] Ausführlicher zum „italienischen Erbe“ in Conrad Celtis‘ musikalischem Odenverständnis sowie zur Kritik an der Idee, die vierstimmig-homophone, metrisch gesetzte Humanistenode sei eine eigene und abgeschlossene Gattung, siehe Andrea Horz, Lyra und Ode. Musik und Metrik in Wien um 1500 (Druckfassung des Vortrags in Vorbereitung).
[33] Osthoff 1969, 168 f.
[34] Dietl 2005, 20 ff.
[35] Dietl 2005, 160 f.
[36] Dietl 2005, 35 ff.
[37] Siehe den Hinweis in der Edition von Dietl 2005, 384 ff.
[38] Selbst die in Wien gedruckten Lautentabulaturen dieser Sätze von Hans Judenkünig dürfen nicht als Widerspruch zu Celtis‘ Idee gesehen werden. Vgl. die Sätze in folgenden Lautentabulaturen: » Hans Judenkünig, Utilis & compendiaria introductio, Wien: Johann Singriener? ca. 1515–1519; » Hans Judenkünig, Ain schone kunstlich underweisung, Wien: Johann Singriener 1523. Im Vorwort der Melopoiæ vermerkt Celtis explizit die Möglichkeit, den einstimmigen Gesang auf der Lyra zu begleiten. Darauf verweist auch Lodes 2010, 54.
[39] Vgl. Wälli 2002; Bobeth 2013; Barrett 2013.
[40] » I-TRbc 89, fol. 168v. Zu zwei Beispielen metrischer Umsetzung lateinischer Distichen (vor 1480) im „Glogauer Liederbuch“ (Saganer Stimmbücher, » PL-Kj Berol. Mus. ms. 40098) und im Strahov-Codex (» F. Bohemian Sources) vgl. Strohm 1993, 538, und Strohm 2015.
[41] Der Anhang (sowie der Boethius-Druck) liegt heute in der Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., Handschrift 450. Weiteres siehe auch Brinzing 2001, 534 ff.
[42] Brinzing 2001, 531, relativiert bereits die Vorrangstellung von Tritonius, dem gemeinhin die Sätze der Melopoiæ zugeschrieben werden. Das Beispiel aus Irrsee ist ausführlich behandelt bei Bobeth 2010.
[43] Siehe hierzu Strohm 2015 sowie Strohm 1993, 538–539.
[44] Vgl. McDonald 2012, 72. Wahrscheinlich ist auch ein Horaz-Satz von Gräfinger überliefert, der bezeichnenderweise in Vadians Horaz-Ausgabe an den Rändern notiert ist. (Müller 2012, 149–160).
[45] Celtis 1507, fol. 144v.
[46] Siehe hierzu McDonald 2012, besonders 84 ff.
[47] Liliencron 1890, 314 ff.
[48] Celtis 1507, Inhaltsverzeichnis auf der zweiten Druckseite.
[49] Zum Spiel von Chelidonius (Chelidonius 1515) vgl. Dietrich 1959.
[50] Zur Übertragung: Liliencron 1890, 360. Weitere Ausführungen hierzu ebd., 317.
[51] Cochläus 1512, Cap. X.
[52] Zu Glareans Position siehe Horz 2012.
Empfohlene Zitierweise:
Andrea Horz: „Odengesang bei den Humanisten“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/odengesang-bei-den-humanisten> (2016).