Sie sind hier

Instrumentalisten, Geistliche und Sänger im status von 1524

Markus Grassl

Der status von 1524 bestätigt den anhand der Rechnungsbücher gewonnenen Befund, wonach bereits in den frühen 1520er Jahren ein vollständiges Bläserensemble vorhanden war. So wird in einer eigenen, „tibicines“ (Bläser) betitelten Rubrik eine neunköpfige Truppe erwähnt. Deren Mitglieder werden zwar nicht namentlich genannt, aber es findet sich stattdessen wie bei zahlreichen anderen niedrigen Chargen der Hinweis auf einen weiterhin gültigen „status antiquus“ (was nicht weniger als die Existenz einer älteren, verlorenen oder bislang nicht aufgefundenen Hofstaatsliste bezeugt).

Abb. Bläser im Status 1524

Bläser im Status 1524
Tibicines: Novem sunt illi, quorum status antiquus servari debet.
(Bläser: Diese sind neun, deren früherer Status erhalten werden muss.)

Hofordnung Ferdinands I., März - August 1524. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Reichskanzlei, Reichstagsakten 2, Konvolut A I 5, fol. 55r (Ausschnitt)

Vor allem aber werden Vorkehrungen für eine komplette „capella ac cantoria“ getroffen, deren Grundstruktur und personelle Stärke weitestgehend den Verhältnissen des Jahres 1527 gleicht. So ist 1524 als oberster Vorgesetzter ein „capelle magister“ vorgesehen, der zugleich die „officia confessoris et elemosinarii“ ausübt und als welcher Jean de Revelles genannt ist. Die zweithöchste Position nimmt ein „proto sive primus capellanus“ ein, gefolgt von drei weiteren (ebenfalls namentlich aufgeführten) Kaplänen, acht (erwachsenen) Sängern, vier Kapellknaben sowie einem Organisten und einem Mesner („sacrista“) samt jeweils einem Gehilfen („puer“). Analog dazu wird 1527 die Spitze von einem „obersten caplan“, der zugleich als Elemosinarius fungiert, und (nunmehr) ein oder zwei Predigern gebildet. Ihnen unterstehen vier Kapläne, neun Sänger (die nun auch nach Stimmlagen aufgeschlüsselt werden), 10 Kapellknaben (dabei handelt es sich um den einzigen größeren quantitativen Unterschied zur Regelung von 1524), deren Lehrer, dazu ein Mesner, ein Organist und einige wenige Hilfskräfte.

Aufbau der Kapelle 1524 und 1527 im Vergleich

Status 1524                                                                               Hofstaatsordnung 1527
(„Capella ac Cantoria“)                                                            
 
capelle magister („more germanico”)                                         oberster caplan (= elemosinarius)
= elemosinarius und confessor(= Jean de Revelles)                 1–2 Prediger
 
proto sive primus capellanus
(„debet esse nationis germanici“)
 
3 Kapläne (= Nicolaus Fabri, Juan Bueso,                                 4 Kapläne
Robert Rondel)            
8 (erwachsene) Sänger                                                               9 (erwachsene) Sänger (3 Altisten,
(„octo cantores erunt“)                                                                 3 Tenoristen, 3 Bassisten)
 
4 Kapellknaben („pueri qui ut moris est                                    10 Kapellknaben
germanici discantum cantabunt“)
Lehrer (magister et pedagogus)                                                 capellmeister („der soll der
(= einer der Sänger)                                                                     knaben preceptor sein“)
 
1 Organist                                                                                     1 Organist
1 sacrista                                                                                      1 Mesner
2 pueri[i]                                                                                        2 Kapelldiener, 1 Kapellschreiber

 

Das nicht sonderlich saubere Schriftbild des Dokuments von 1524, sowie dessen Korrekturen, Ausstreichungen und Einfügungen legen den Schluss nahe, dass es sich um einen Entwurf handelt.[42] Außerdem fällt an den Bestimmungen über die Kapelle auf, dass – anders als beim capelle magister und bei den Kaplänen – bei den Sängern, den Chorknaben und beim Organisten (so wie beim primus capellanus) keine Namen von Stelleninhabern verzeichnet sind; auch fehlt im Unterschied zu den tibicines der Verweis auf einen „status antiquus“; und nicht zuletzt sind die Regelungen zu den Sängern und Chorknaben im Futur formuliert („erunt“, „cantabunt“). All dies deutet daraufhin, dass die Hofordnung von 1524 hinsichtlich der Musiker prospektiven Charakter hatte, die Kantorei damals also noch nicht oder zumindest noch nicht vollständig besetzt war. Allerdings bleibt selbst dann, wenn die betreffenden Rekrutierungen erst 1527 erfolgt sein sollten, festzuhalten: Bereits davor war ein Bläserensemble und damit eine der beiden zentralen hofmusikalischen Einrichtungen vorhanden, war die klerikale Abteilung der Kapelle mit Personal ausgestattet und befand sich spätestens 1524 die Kapelle in ihrer Gesamtheit, d. h. einschließlich einer Kantorei, in Planung. Nicht aufrechtzuerhalten ist daher die Ansicht, dass vor 1527 schlechterdings keine Maßnahmen zum Aufbau einer Kapelle bzw. zur Institutionalisierung der Hofmusik getroffen worden wären, gar ein „musikhistorisches Vakuum“[43] bestanden hätte und das Jahr 1527 einen völligen Neubeginn mit sich gebracht habe.

[42] Noflatscher 2007, 420.

[43] Pass 1995, 215–216.