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Ferdinands Sänger vor 1527

Markus Grassl

Inwieweit Ferdinand in der Frühphase seiner Regentschaft auch ein zur Ausführung polyphoner Musik befähigtes Vokalensemble zur Verfügung stand, ist hingegen fraglich. Für die Zeit vor 1527 lassen sich nur zwei Mitglieder seines Hofstaats ausmachen, die eine einschlägige Expertise aufwiesen. So wissen wir, dass sich in Ferdinands Gefolge 1518 neben Jean de Revelles noch ein zweiter Kaplan, Jean Lommel, befand,[32] der auch als Sänger belegt ist. Lommel scheint erstmals 1506 in Besoldungslisten der Kapellen von Philipp dem Schönen und dessen Gemahlin Juana La Loca auf (unmittelbar nach Mabrian de Orto und vor Pierre de La Rue) und war anschließend bis 1518 in der Kapelle Karls V. beschäftigt (hier wird er u. a. in einem Hofstaatsverzeichnis 1515 in der Rubrik „autres chappelains et chantres“ geführt).[33] Der zweite, weitaus Bekanntere ist Arnold von Bruck, der später als Kapellmeister Ferdinands von 1527 bis 1545 und als Komponist zu Ansehen gelangen sollte. Wie Othmar Wessely plausibel gemacht hat, trat der aus Brügge stammende Arnold im Anschluss an seine Ausbildung als Chorknabe in St. Omer und an eine Tätigkeit in der Kapelle Karls V.[34] im Jahr 1521 in den Dienst Ferdinands (wobei jedoch seine genaue Funktion während der ersten Zeit am österreichischen Hof unklar ist).[35]

Dass Ferdinands Haushalt vor 1527 weitere Sänger angehörten, ist nicht dokumentiert, sollte jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Mary T. Ferer hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Kapelle Karls V. zwischen Dezember 1517 und September 1518 um zehn Mitglieder reduziert wurde, und erwogen, dass Karl dieses Personal seiner Schwester Eleonore anlässlich ihrer Hochzeit mit dem König von Portugal und seinem Bruder anlässlich der Übersiedlung in die Niederlande überlassen haben könnte.[36]

Abgesehen von Vokalisten, die in den Hofstaat integriert waren, ist in Betracht zu ziehen, dass für Ferdinand Sänger an Institutionen seines jeweiligen Aufenthaltsorts tätig geworden sein können. In erster Linie ist dabei an die Kantorei der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Innsbruck, Ferdinands bevorzugter Residenz in den österreichischen Ländern während der 1520er Jahre,[37] zu denken. Dass Musiker von St. Jakob von den Tiroler bzw. österreichischen Landesherrn für Dienste bei Hof herangezogen wurden, ist schon unter Ferdinands Vorgängern und während seiner Herrschaft aus dem Jahr 1536 dokumentiert.[38]

[32] Wie aus dem Reisebericht von Laurent Vital, vormals Premier Chambellain von Philipp dem Schönen, hervorgeht. Siehe Gachard 1881, 299.

[33] Siehe die Aufstellungen bei Ferer 2012, 30, 35, 53, 63; Vgl. zuvor schon Duggan 1976, 87.

[34] Zur frühen Karriere Arnolds siehe zuletzt Kirkman 2020, 92–93, 95.

[35] Wessely 1958, 53, 276.

[36] Ferer 2012, 67–72.

[37] Kohler 2003, 119–120.

[38] Senn 1954, 15–16, 45–46, 48, 50–57; vgl. auch Strohm 1993, 519–522; Strohm 2001, 32–34. Zum Wechsel von Musikern zwischen kirchlichen und höfischen Diensten in Innsbruck vgl. auch » I. Music and Ceremony in Maximilian’s Innsbruck; » K. Kap. Institutions, scribes and patrons.