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Der Übergang zum „deutschen hofstat“ und zur Kapelle 1527

Markus Grassl

Am Hof Ferdinands dominierten während der ersten Jahre seiner österreichischen Regentschaft Bedienstete und Ratgeber, die aus den Niederlanden und aus Spanien stammten. Gegen diese „ausländische“ Hegemonie formierte sich bald der Widerstand der erbländischen Stände, der u. a. dazu führte, dass Ferdinand bei einem Generallandtag 1525 die Entlassung Salamancas und die vermehrte Berufung einheimischer Amtsträger zusagen musste. Wie die Verstärkung des „deutschen“ Elements im status von 1524 erkennen lässt, war der Prozess einer sukzessiven „Germanisierung“ von Ferdinands Hofstaat aber schon früher angelaufen.[50] Ein weiterer und noch weiter gehender Schritt in dieser Entwicklung wurde schließlich mit der explizit als „deutscher hofstat“ überschriebenen Hofordnung 1527 gesetzt (die sich insofern eben nicht als Zäsur oder völliger Neubeginn, sondern nur als Fortsetzung eines bereits existierenden Trends erweist).

Die Forcierung des „deutschen“, d. h. erbländischen Charakters des Hofs – und dies hieß vice versa: die Reduktion seines „niederländischen“ bzw. burgundischen Zuschnitts – manifestiert sich in der Hofordnung 1527 in mehrfacher Hinsicht. Zunächst in der Verwendung der deutschen Sprache (dies meint auch die Rede vom „deutschen hofstat“), dann in der inhaltlichen Disposition: Im Unterschied zum burgundischen Schema wird die Kapelle nicht mehr an erster Stelle, sondern erst im Anschluss an die Kanzlei, die Finanzkammer, den Hofrat und diverse andere Hofämter geregelt[51], eine Positionierung, „die ständische Interessen sowie Kontinuitäten seit der Spätzeit Maximilians I. wider[spiegelt]“.[52] Weiterhin wird auf den „primus capellanus“ verzichtet und stattdessen als ranghöchster Kleriker nach dem Elemosinarius der Posten eines oder gar zweier Prediger eingeführt, ein der burgundischen Hoforganisation unbekanntes Amt. (De facto existierte diese Charge spätestens seit der Ernennung von Medardus van Kirchen zum concionator aulicus – Hofprediger – im Jahr 1525.[53])

Auf personeller Ebene legen die Postenbesetzungen, die aus dem Hofstaatsverzeichnis 1527 hervorgehen, zumindest bestimmte Vermutungen nahe. So fällt auf, dass eine vierte Kaplanstelle geschaffen und darauf mit Christoph Langkusch ein offenbar aus dem deutschen Sprachraum stammender und vormals in der Kapelle Maximilians I. tätiger Kleriker berufen wurde.[54] Möglicherweise stand dahinter die Absicht, den drei schon 1524 amtierenden und weiterbeschäftigten Kaplänen Juan Bueso, Nicolaus Fabri und Robert Rondel, die aus Spanien bzw. dem französischsprachigen Raum kamen,[55] einen „Einheimischen“ an die Seite zu stellen.

Auch die nunmehr durch das Hofstaatsverzeichnis bekannten Sänger und Sängerknaben waren, den Namen nach zu schließen, alle „deutscher“ bzw. österreichisch-erbländischer Herkunft[56] (die breite Rekrutierung franko-flämischer Musiker setzt am Hof Ferdinands erst in den 1540er Jahren ein). Über die Motive und Kriterien für die Auswahl der Personen, die 1527 die Kantorei bildeten, lässt sich nur spekulieren. Die Literatur geht bislang wegen des angeblichen Zeitdrucks, unter dem der Aufbau der Kapelle 1527 stattgefunden habe, von einem Rückgriff auf die „erstbesten Musiker“ aus.[57] Selbst wenn zutreffen sollte, dass andere (respektive bessere) Kräfte nicht zur Verfügung standen, erscheint aber vorstellbar, dass mit der Bestellung nur von deutschsprachigem Personal zumindest ein nicht unwillkommener Nebeneffekt im Hinblick auf die angestrebte Verstärkung des erbländischen Zuschnitts des Hofes verbunden war.

[50] Zu diesem Themenkomplex insgesamt: Thomas 1993, 38–48; Rill 2003, 54–56, 94–99; Kohler 2003, 130–142; Winkelbauer 2003, I, 180–183.

[51] Noflatscher 2007, 412–413; vgl. auch die Übersicht bei Castrillo-Benito 1979, 450–452.

[52] Noflatscher 2007, 413.

[53] Wolfsgruber 1905; 50, 53–56 und 605; Wessely 1958, 103.

[54] Zu Langkusch vgl. Wessely 1958, 120–122; Koczirz 1930/31, 531 und 535.

[55] Zu diesen Kaplänen: Göhler 1932, 509–512, 524–525; Wessely 1958, 110–113, 119–120, 391, 393; Laferl 1997, 221.

[56] Siehe das Verzeichnis der Kapellmitglieder 1527 bei Hirzel 1909, 154–155; Wessely 1958, 391–392. Digitalisat der Originalquelle: https://www.archivinformationssystem.at/detail.aspx?ID=4016011.

[57] Wessely 1958, 75.