Schubinger und die Laute
Dass ein Bläser auch Saiteninstrumente und dabei insbesondere die Laute beherrschte, war um 1500 durchaus nicht ungewöhnlich (und spiegelt eine allgemeine Entwicklung dieser Zeit wider, nämlich die tendenzielle Auflösung der Grenze zwischen dem Bereich der „lauten“ und jenem der „leisen“ Instrumente). Von einer Reihe von Musikern, darunter Schubingers Brüdern Michel und Ulrich dem Jüngeren oder Giovanni Cellini, ist bekannt, dass sie neben Blasinstrumenten auch Laute, Harfe und/oder „Viola“ spielten.[14]
Schubingers Lebenszeit deckt sich mit einer Phase, in der die Lautentechnik einem fundamentalen Wandel unterworfen war: dem Übergang vom Spiel mit einem Plektron hin zum Anreißen der Saiten mit den Fingerkuppen. Diese Neuerung beförderte die Etablierung der Laute als Soloinstrument, auf dem ein Einzelner mehrstimmige Sätze wiedergeben konnte.[15]. Bis dahin wurde die Laute typischerweise im Ensemble gespielt, seit ca. 1450 besonders in Kombination mit einem anderen „leisen“ Seiteninstrument, bevorzugt mit einer zweiten Laute. Klarerweise verdrängte die neue Praxis die ältere nicht schlagartig, sondern ist eine längere Übergangsperiode anzunehmen, während der beide Varianten nebeneinander bestanden. Indizien sprechen dafür, dass Schubinger (zumindest auch) die ältere Form des Lautenspiels pflegte. So zählte er unter Maximilians Lautenisten zusammen mit dem ebenfalls um 1460 geborenen Albrecht Morhanns zu einer älteren Generation. Von Morhanns ist bekannt, dass er noch im Ensemble auftrat, während die Lautenintavolierungen des um 1480 geborenen und seit 1503 bei Maximilian beschäftigten Adolf Blindhamer dann das neue, solistische Musizieren mehrstimmiger Sätze bezeugen.[16] Hinzu kommt, dass während der 1480er und 1490er Jahre immer wieder, nach 1500 noch gelegentlich, Lautenduos im Dienst Maximilians belegt sind.[17] So zeigt die „Musica süeß Meledey“ betitelte Darstellung des Triumphzugs die typische Kombination von kleiner und großer Laute (» I. Kap. „Musica süeß Meledey“: Instrumentalensembles). Auf ein Lautenduo, und zwar unter Beteiligung Schubingers, könnte nicht zuletzt hindeuten, wenn 1508 nicht nur er – wie erwähnt als „luytslager vanden keysere“ (Lautenist des Kaisers) apostrophiert – eine Zahlung der Stadt Mecheln empfing, sondern etwa gleichzeitig auch der mehrfach im Gefolge Maximilians und später am Hof Philipps des Schönen und Margaretes von Österreichs nachweisbare „Lenaert luytslager“.[18]
[14] Siehe Polk 1989a, 496, 500 und 502; McGee 2000, 215; Prizer 1981, 163; weitere Beispiele bei Polk 1989c, 526–527, 542–543; Polk 1990, 196–197; McGee 2005, 149–150; McGee 2008, 210–212.
[15] Wenngleich mehrstimmiges Lautenspiel bis zu einem gewissen Grad auch mit der Plektrontechnik möglich war. Siehe Lewon 2007. Vgl. » Instrumentenmuseum Laute.
[17] » I. Kap. „Musica Lauten und Rybeben“; Nedden 1932/1933, 26–27; Ernst 1945, 222–223; Polk 1992b, 86; Polk 1994b, 407; Schwindt 2018c, 275–276.
[18] B-Baeb Algemeen Rijksarchief / Archives générales du Royaume, V132–41287 (Stads Rekeningen Mechelen 1507/1508), fol. 211r. Zu Lenaert (bzw. „Lionhardt“) siehe die Nachweise bei Polk 1992b, 86–87; Polk 2001a, 93–94; Polk 2005a, 64 und 66.
[1] Aus Schubingers Dienstrevers von 1514 ( » Abb. Schubingers Dienstrevers 1514).
[2] Siehe etwa D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 89 (1495), fol. 17r; Bd. 90 (1496), fol. 17r; Bd. 93 (1499), fol. 22v.
[3] Grassl 1999, 208, unter Bezugnahme auf Wessely 1956, 130–134. Siehe auch die Dokumente von 1514, denen zufolge Schubinger als „Posaunist“ angestellt wurde, wiewohl er zu dieser Zeit auch, wenn nicht in erster Linie, als Zinkenist hervortrat.
[4] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 80 (1487), fol. 65r.
[5] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 82 (1489), fol. 66r; Bd. 84 (1490), fol. 68r; Bd. 89 (1495) [o. fol.]; Bd. 90 (1496), fol. 90r. Diettel setzt sich auch insofern von den anderen Stadtpfeifern ab, als er zeitweise ein etwas höheres Gehalt bezog (40 oder 44 fl. statt der sonst üblichen 36 fl.).
[6] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 81 (1488), fol. 16r.
[7] Vgl. McGee 1999, 731–732; McGee 2008, 166–168.
[8] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 55 (1457), fol. 112v, online: https://lod.academy/bmb/id/bmb-bm-03uw/1.
[9] McGee 2000, 215–216.
[11] Grassl 2019, 223 und 231–234.
[12] Polk 1994a, 210.
[13] B-Baeb Algemeen Rijksarchief / Archives générales du Royaume, V132–41287 (Stads Rekeningen Mechelen 1507/1508), fol. 211r; V132–41291, (Stads Rekeningen Mechelen 1511/1512) fol. 209v; Protokoll des Konstanzer Domkapitels 1510: „ex parte Augustini lutiniste domini Cesaris“ (siehe Krebs 1956, S. 24, Nr. 4091); D-Nsa Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt, Stadtrechnungen 181, fol. 617v: „Item ij gulden dem Augustin K mt lautenisst zu Juliane anno 1517“.
[14] Siehe Polk 1989a, 496, 500 und 502; McGee 2000, 215; Prizer 1981, 163; weitere Beispiele bei Polk 1989c, 526–527, 542–543; Polk 1990, 196–197; McGee 2005, 149–150; McGee 2008, 210–212.
[15] Wenngleich mehrstimmiges Lautenspiel bis zu einem gewissen Grad auch mit der Plektrontechnik möglich war. Siehe Lewon 2007. Vgl. » Instrumentenmuseum Laute.
[17] » I. Kap. „Musica Lauten und Rybeben“; Nedden 1932/1933, 26–27; Ernst 1945, 222–223; Polk 1992b, 86; Polk 1994b, 407; Schwindt 2018c, 275–276.
[18] B-Baeb Algemeen Rijksarchief / Archives générales du Royaume, V132–41287 (Stads Rekeningen Mechelen 1507/1508), fol. 211r. Zu Lenaert (bzw. „Lionhardt“) siehe die Nachweise bei Polk 1992b, 86–87; Polk 2001a, 93–94; Polk 2005a, 64 und 66.
[19] Polk 1992a, 73–75; Polk 1987, 180; speziell für Nürnberg vgl. Green 2005, 13.
[20] Darstellung des Kantoreiwagens im Triumphzug (» Abb. Triumphzug Kantorei.).
[21] Siehe die Zusammenstellung der Belege bei Grassl 2019, 230–246.
[22] Siehe neben den in » G. Augustin Schubinger, Anm. 57, 58, 61 erwähnten Belegen auch das Protokoll des Konstanzer Domkapitels 1510: „ex parte Augustini lutiniste domini Cesaris. Als derselb Augustini etlich tag im chor zur orgel vnd den sengern uff dem zingken geblausen hat, ist capitulariter conclusum, im zu erunge 2 fl. zeschencken“ (siehe Krebs 1956, S. 24, Nr. 4091).
[23] Cochlaeus 1512, 90–91.
[24] Grassl 2017, 347–349 und 357–358; Grassl 2019, 217–221 und 227–228.
[25] Nedden 1932/1933, 28; Wessely 1956, 85, 88, 101–103 und 108–111; Polk 1992b, 86. Vgl. insbesondere auch die „Kollektiv“- bzw. „Gruppeneinträge“ in: D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 97 (1503), fol. 28r: „Item x guldin Ko mayt. Busanern dero fünffe“; Bd. 98 (1504), fol. 26r: „It. viij gulden Jörigen Holland, Jorigen Eyselin, Hannsen Stevdlin vnd Vlrich Vellen Kö. mayt. Busaunern“.
[26] Polk 1992a, 109; Green 2011, 20.
[27] Siehe die Einträge in den Nördlinger Rechnungsbüchern 1506 und 1507 (» Abb. Zahlung der Stadt Nördlingen an Schubinger, 8. Juni 1506), sowie » G. Augustin Schubinger, Anm. 67.
[28] Henning 1987, 87 (Tafel 183), 90 (Tafel 211), 94 (Tafel 255).
[29] Grundlegend Polk 1992a, 169–213; siehe u. a. auch Gilbert 2005; Neumeier 2015, 273–290.
[30] Für einen Gesamtüberblick zum instrumentalen Musizieren um 1500 siehe Coelho/Polk 2016, insb. 189–225; Grassl 2013.
[32] Vgl. von der umfangreichen Literatur zu diesem Repertoire nur Polk 1997; Strohm 1992; Jickeli 1996; Banks 2006.
[33] Zur Biographie Pirkheimers siehe: http://www.pirckheimer-gesellschaft.de/html/will_car.html.
[34] Edition in: Willibald Pirckheimers Briefwechsel, Bd. 1, hrsg. von Emil Reicke (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe 4), München 1940, S. 371.
[35] Dies könnte sich auf die Unterscheidung zwischen zwei- und einteiligen bassedanze beziehen (in der Terminologie des zeitgenössischen französischen Tanzschrifttums basses danses mineurs und majeurs).
[36] Brief vom 29. Juni 1506, ediert in: Willibald Pirckheimers Briefwechsel, Bd. 1, hrsg. von Emil Reicke (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe 4), München 1940, S. 380. Siehe zu dieser Korrespondenz auch Meyer 1981, 62–64.
[37] Zu „Boruni“, dem Bearbeiter, d. h. wohl Intavolator von Binchois’ Komposition, lässt sich indes nichts Genaueres feststellen. Vielleicht handelt es sich um einen älteren Verwandten des ca. 1490 geborenen, um die Mitte des 16. Jahrhunderts renommierten Mailänder Lautenisten Pietro Paolo Borrono.
[38] Slim 1971, 563–568.
[39] Dies geht aus einer Bemerkung im Schreiben Ulrichs an Lorenzo de’ Medici hervor (» G. Kap. Schubinger, Lorenzo de’ Medici und Isaac), wonach Ulrich in Ferrara vergeblich auf seinen Bruder und „Zoani Maria che suona el liuto“ gewartet habe.
[40] McDonald 2019, 13–14.
[41] Siehe dazu insb. Birkendorf 1994, Bd. 1, 97–101; Schwindt 2018c, 542–545; vgl. auch Brinzing 1998, Bd. 1, 137–150; » B. Kap. Aufschwung der Liedkunst; » D. Zur musikalischen Quellenlage.
[42] Dies war entweder Jakob Hurlacher der Ältere, der von 1495 bis 1530 als Augsburger Stadtpfeifer tätig war (also nicht erst ab 1508, wie in der Literatur regelmäßig behauptet wird; siehe die Einträge in D-Asa Baumeisterbücher), oder Jakob Hurlacher der Jüngere, der dem Augsburger Bläserensemble von 1502 bis 1506 und von 1509 bis 1517 angehörte.
[43] Siehe im Detail Brinzing 1998, Bd. 1, 151–154; Neumeier 2015, 252–254.
[44] Brinzing 1998, Bd. 1, 150.
[45] Polk 1991, 158; siehe auch Filocamo 2009. Rein spekulativ ist folglich auch Polks Mutmaßung, der Mantüane[r] dantz könnte mit einem der von Beheim übersandten bassedanze (vgl. » Kap. Eine süddeutsche Humanistenkorrespondenz) identisch und daher Schubinger oder Giovanni Maria Ebreo dessen „Komponist“ sein.
[46] Schwindt 2018c, 280.
[47] Schwindt 2018c, 280; vgl. auch Birkendort 1994, Bd. 1, 184.
[48] Schwindt 2018c, 120–124.
[49] Unterholzner 2015, insbes. 79–89, 96–98; Schwindt 2018c, 73–76.
[50] Vgl. Lütteken 2010 LIT, 20–21; Polk 2001b; Schwindt 2018c, 20–24.
[51] Neben Schubinger sind dies der Organist Paul Hofhaimer, der Lautenist Albrecht Morhanns, die Posaunisten Hans Neuschel und Hans Steudl sowie der Pfeifer Anton Dornstetter. Siehe die betreffenden Bildprogrammtexte bei Schestag 1883, 155 und 158–160.
Empfohlene Zitierweise:
Markus Grassl: „Instrumentale Musikpraxis im Lebensbereich Augustin Schubingers (ca. 1460–1531/32)“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/instrumentale-musikpraxis-im-lebensbereich-augustin-schubingers-ca-1460-153132> (2023).