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„Posaun vnd Zinckhen han wir gestelt zu dem Gesang“

Markus Grassl

Seit dem späteren 15. Jahrhundert erweiterten sich die höfischen und städtischen Alta-Ensembles um Instrumente wie Krummhörner, Blockflöten und Zinken.[19] Dass auch die Hofmusik Maximilians I. von diesem Trend erfasst wurde, ist allein schon am Triumphzug abzulesen, in dem auf den Musikwägen u. a. Krummhörner und Rauschpfeifen dargestellt werden, mit der Devise „Posaun vnd Zinckhen han wir gestelt zu dem Gesang“  (» Abb. Triumphzug Bläser).[20] Zu den bedeutendsten, weil nachhaltigsten Entwicklungen in der Ensemblebildung um 1500 zählt freilich die Formierung eines neuen Ensembletyps: der Kombination von Zinken und Posaunen. (» Hörbsp ♫Optime pastor.) Neu war nicht nur die Zusammenstellung an sich, sondern diesen Instrumenten wuchs auch eine neue Funktion zu, indem sie zur Kantorei, insbesondere bei der Realisierung von geistlicher Vokalpolyphonie bzw. im Rahmen der Liturgie, hinzutraten.

Die Frühgeschichte des Zinks und des Zink-Posaunenensembles lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass fast alle der frühesten Quellen, welche die Verbindung von Sängern mit Zink und Posaune bzw. deren Einsatz in der Liturgie bezeugen, von den habsburgischen Höfen oder aus deren Umfeld stammen.[21] Dazu zählen nicht nur die Darstellung der „Musica Canterey“ im Triumphzug, Antoine Lalaings Reisebeschreibung, die zitierten Nachrichten über Messen während Reichstagen und städtische Zahlungsbelege[22], sondern z. B. auch eine Äußerung über den Nürnberger Posaunisten Johannes Neuschl, der zwischen 1502 und 1517 wiederholt für Maximilian I. tätig war, und der dafür gerühmt wurde, dass er „humano concentui tube sonoritatem permiscet“[23] (dem Zusammenklingen der menschlichen Stimmen den Klang der ‚tuba‘ beimengt). Dass die habsburgischen Höfe, und damit auch Schubinger, eine führende, wenn nicht die führende Rolle bei der Entwicklung der neuen Praxis spielten, ist daher mehr als nur wahrscheinlich.

Wie die Quellen eindeutig erkennen lassen, musizierten Zinkenisten und Posaunisten simultan mit den Sängern, begleiteten diese also colla parte oder ersetzten fallweise vielleicht auch einzelne Vokalisten, sodass die betreffende Stimme dann rein instrumental erklang. (» Hörbsp. ♫ Mater digna Dei.) Darüberhinaus erlauben verschiedene Nachrichten  – die nicht nur aus dem habsburgischen Kontext stammen – den Schluss, dass Bläserensembles um 1500 auch andere Aufgaben in der Liturgie übernahmen. So konnten sie zum Alternatim-Vortrag liturgischer Gesänge herangezogen werden, spielten also instrumentale, vermutlich auf der jeweiligen Choralmelodie beruhende Sätze im versweisen Wechsel mit den Sängern, oder sie steuerten Prä- und Postludien bei, die einzelne Gesänge oder längere Abschnitte des liturgischen Ablaufs einleiteten bzw. abschlossen.[24]

Auch wenn seit etwa 1500 am maximilianeischen Hof immer wieder eine Gruppe von vier bis fünf Posaunern nachgewiesen werden kann,[25] ist nicht davon auszugehen, dass aus Zinken und Posaunen stets ein ‚vollstimmiges‘ Ensemble gebildet wurde. Vielmehr ist auch mit ,reduzierten‘ Besetzungen von bloß ein oder zwei Bläsern zu rechnen, wie nicht zuletzt so bekannte Abbildungen zeigen wie die Darstellung der Kantorei ‚nur‘ mit Schubinger und Steudl im Triumphzug oder die Illustration im Musik-Kapitel des Weißkunig (» Abb. Weißkunig Blatt 33, in: » I. Instrumentalkünstler am Hof Maximilians I.), auf der links oben eine Gruppe von Sängern mit einem Zinkenspieler zu sehen ist.

Abb. Weißkunig Blatt 33

Abb. Weißkunig Blatt 33

„Wie der jung weiß kunig die musica und saytenspil lernet erkennen“ (Weißkunig, Blatt 33). Holzschnitt von Hans Burgkmair, 1514–16. Österreichische Nationalbibliothek, A-Wn Cod. 3032.

Die im Triumphzug abgebildete Konstellation dürfte insofern nicht untypisch sein, als eine Reihe von Zeugnissen den Schluss nahelegt, dass Bläser-Duos in verschiedener – liturgischer, vor allem aber weltlicher – Verwendung verbreiteter waren, als es der um 1500 gegebene Standard von vierköpfigen Alta-Ensembles erscheinen lässt. Dies gilt für das Musikleben in Städten, von denen manche ohnehin nur über zwei Stadtpfeifer verfügten,[26] aber ebenso für die höfische Musikpraxis. Neben einer Zahlungen an Bläserpaare (und dabei gelegentlich auch an Schubinger[27]) deuten vor allem Bildquellen auf solche Duos hin. Dazu zählen u. a. die Darstellungen von Tanzszenen in dem von Maximilian I. beauftragten Turnierbuch Freydal. Zwar dominiert darin die Kombination von Flöte (bzw. Schwegel) und Trommel, je einmal werden die Tanzenden aber von Schalmei (oder Zink?) und Posaune, von Flöte und Posaune sowie von zwei Flöten begleitet.[28]

Abb. Tanzszene aus Freydal

Abb. Tanzszene aus Freydal

Freydal. Turnierbuch Kaiser Maximilians I., 1512/1515, Tafel 183 (Kunsthistorisches Museum Wien). Reproduktion: Leitner 1881/82, 183.

[19] Polk 1992a, 73–75; Polk 1987, 180; speziell für Nürnberg vgl. Green 2005, 13.

[20] Darstellung des Kantoreiwagens im Triumphzug (» Abb. Triumphzug Kantorei.).

[21] Siehe die Zusammenstellung der Belege bei Grassl 2019, 230–246.

[22] Siehe neben den in » G. Augustin Schubinger, Anm. 57, 58, 61 erwähnten Belegen auch das Protokoll des Konstanzer Domkapitels 1510: „ex parte Augustini lutiniste domini Cesaris. Als derselb Augustini etlich tag im chor zur orgel vnd den sengern uff dem zingken geblausen hat, ist capitulariter conclusum, im zu erunge 2 fl. zeschencken“ (siehe Krebs 1956, S. 24, Nr. 4091).

[23] Cochlaeus 1512, 90–91.

[24] Grassl 2017, 347–349 und 357–358; Grassl 2019, 217–221 und 227–228.

[25] Nedden 1932/1933, 28; Wessely 1956, 85, 88, 101–103 und 108–111; Polk 1992b, 86. Vgl. insbesondere auch die „Kollektiv“- bzw. „Gruppeneinträge“ in: D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 97 (1503), fol. 28r: „Item x guldin Ko mayt. Busanern dero fünffe“; Bd. 98 (1504), fol. 26r: „It. viij gulden Jörigen Holland, Jorigen Eyselin, Hannsen Stevdlin vnd Vlrich Vellen Kö. mayt. Busaunern“.

[26] Polk 1992a, 109; Green 2011, 20.

[27] Siehe die Einträge in den Nördlinger Rechnungsbüchern 1506 und 1507 (» Abb. Zahlung der Stadt Nördlingen an Schubinger, 8. Juni 1506), sowie » G. Augustin Schubinger, Anm. 67.

[28] Henning 1987, 87 (Tafel 183), 90 (Tafel 211), 94 (Tafel 255).