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Lautenintabulierungen von Adolf Blindhamer

Martin Kirnbauer

Ein schmales Manuskript mit Lautenintabulierungen Blindhamers (» A-Wn Mus. Hs. 41950) ist mit einer mutmasslichen Datierung um 1525 nicht nur eine der frühesten erhaltenen Quellen mit Lautenmusik, sondern auch fast die einzige Quelle aus dieser Zeit, die komplexere Musik eines professionellen Spielers aufzeichnet und nicht didaktisch vereinfachte Musik für Anfänger.[37] Es enthält ein langes Praeambulum (eine fantasieartig freie Form), weiter hier so bezeichnete „Mutetae“ (gemeint sind Instrumentalsätze) sowie Intabulierungen von Vokalsätzen und einige Tanzsätze. Neben Blindhamer selbst werden mehrere Komponisten genannt: Josquin Desprez, Paul Hofhaimer (» C. Orgeln und Orgelmusik; » I. Hofhaimer), Heinrich Isaac (» G. Henricus Isaac) und Ludwig Senfl (»G. Ludwig Senfl). Hierbei handelt es mit Ausnahme von Josquin um Musiker, die eng mit Maximilian verbunden sind. Diese Nähe erklärt vielleicht auch die Existenz eines Unikums, einer also nur in dieser Handschrift überlieferten Muteta mester paulus hofhamer (» Notenbsp. Muteta mester paulus hofhamer).

 

 

Der Titel trägt den Zusatz „mit 3 stymen“, was bedeutet, das bei der Intabulierung drei Stimmen berücksichtigt wurden (andere Intabulierungen in der Quelle nennen sogar vier Stimmen, was als Hinweis auf die besondere Kunstfertigkeit des Intabulators wie des Spielers zu verstehen ist, mehrere kontrapunktisch geführte Stimmen in den Lautensatz zu retten und zu spielen). Musikalisch fallen weiter die virtuosen Umspielungen auf, in der Zeit „Colorierung“ genannt. Blindhamers mutmaßlicher Schüler Hans Gerle beschreibt sein Spiel folgendermassen:
„Es hat auch gedachter Adolff (damit sein kunst vnd schickligkait erweittert werde) diese art gefürt / die dann alle Künstner der Musick vnd derselben Instrumenten haben sollen / wenn er bey verstendigen der Musica / oder vor berümbten Syngern geschlagen / hat er sich gleichwol zuuor in seinen Preambeln dermassen hören lassen / das sein geradigkait vnd kunst gewaltig erschinen ist / zusampt dem / so er zu einem gesatzten stücklein gegriffen / hat er das erstlich / wie es in noten gestanden / mit wenig Coloraturen / zum andern mit wolgestelten leuflein geziert / vnd zum dritten durch die Proportion geschlagen vnd volfürt / Vnd doch einer solchen gestalt / damit der süssigkait vnd vollkomenheyt des gesangs nichts benomen worden ist.“[38]

Nach einem Präludieren, das neben dem Einstimmen des Instrumentes auch dem der Zuhörer diente und virtuose Passagen beinhaltete, spielte Blindhamer eine schriftlich fixierte Komposition, etwa die Intabulierung eines mehrstimmigen Vokalsatzes. Diese erklang ein erstes Mal nur kaum verziert, darauf folgte eine mit Läufen und Umspielungen stark ornamentierte Version. Schließlich konnte die Vorlage bei einer weiteren Wiederholung auch noch rhythmisch variiert werden, wobei in keinem Fall die zugrundeliegende Komposition verfremdet wurde. Bemerkenswert ist auch das hier erwähnte mehrfache, dabei stets variierte Spiel der in der Regel ja nur kurzen Stücke.

Der nur als Lautenintabulierung erhaltene Satz von Hofhaimer weist auf die großen Lücken hin, mit denen in der Überlieferung von Musik gerechnet werden muss, denn sicher handelt es sich hier nicht um eine Originalkomposition Hofhaimers für Laute, sondern nur um eine Adaption für dieses Instrument. Solche Lücken sind beachtlich in der überlieferten Musik von Paul Hofhaimer: Von ihm, der 1480 als Organist am Habsburgerhof in Innsbruck auf Lebenszeit angestellt wurde, ist erstaunlicherweise kaum liturgische Orgelmusik erhalten, obwohl hierin seine hauptsächliche Tätigkeit und sein Ruhm begründet lag. Die für ihn so bedeutsame Erhebung in den Ritterstand 1515 erfolgte in Wien im Rahmen der Doppelverlobung der Enkel Maximilians. Im Anschluss an die Zeremonie spielten die kaiserlichen Trompeter eine Fanfare und die kaiserliche Kapelle sang das Tedeum und „in Organis Magister Paulus, qui in universa Germania parem non habet, respondit“ (auf der Orgel antwortete Meister Paul, der in ganz Deutschland keinesgleichen hat).[39] Dieses „Beantworten“ beschreibt die sogenannte Alternatim-Praxis, bei der die Verse des Hymnus abwechselnd gesungen und von der Orgel gespielt werden. Der Organist basiert seinen Part auf dem liturgischen Tenor und zeigt sein Können darin, wie kunstvoll er den Cantus firmus einkleidet. Erhalten sind von Hofhaimer gerade nur zwei solcher Orgelversetten, die vielleicht von seinen Schülern aufgezeichnet wurden – Hofhaimer selbst extemporierte sie wohl. Sein Schüler Hans Buchner beschreibt verschiedene Verfahren einer solchen Choralbearbeitung (sogar am Beispiel des Tedeums), die Praxis Hofhaimers erschließt sich aber auch aus den beiden erhaltenen Orgelstücken. Vor allem im „Recordare“, basierend auf dem liturgischen Tenor, das aber auch wie ein Hymnus einem Salve Regina angehängt wurde, zeigen sich die vielfältigen Möglichkeiten eines Umgangs mit dem Cantus firmus, der in dem dreistimmigen Satz in verschiedenen Stimmen und kontrapunktischen Techniken erklingt.[40]

[37] » A-Wn, Mus. Hs. 41950; Faksimile und Beschreibung in Kirnbauer 2003. Lautentabulaturen der nächsten Generation aus dem süddeutschen Sprachraum beschreibt » H. Lautenisten und Lautenspiel (Kateryna Schöning). 

[38] Gerle 1533, fol. IIv.

[39] Vgl. Moser 1966, 26 und 182, Fußnote 35.

[40] Vgl. Moser 1966, 137–140; Radulescu 1978, 66 f.; siehe auch » C. Orgeln und Orgelmusik.