Stadtrat, Pfarrer und Schulmeister
Als Ausführende der kirchlichen Musik wirkten unter Aufsicht des Stadtpfarrers mehrere „Gesellpriester“ (Kapläne), der Schulmeister, dessen Gehilfe (der succentor oder Junkmeister)[17], die Assistenten („Astanten“, „großen Gesellen“), der Organist und nicht zuletzt die Schulknaben.
Ein dramatisches Beispiel für die Verflechtung von Kirche und Stadtverwaltung im Bereich der Erziehung war die geplante Einstellung des Schulmeisters Albrecht Weinreich im Jahre 1475. Nach dem Ratsprotokoll von 1475 (» I-BZac, Hs. 4, fol. 5r) war dieser noch junge Mann „auf Begehren meiner gnädigen Frau von Österreich“ (vermutlich Eleonore von Schottland, Gemahlin Erzherzog Siegmunds) zum Nachfolger des derzeitigen Schulmeisters bestellt worden. Doch der Pfarrer war gegen ihn und erklärte, er wolle ihn „mit nichten zu einem Schulmeister haben, auch die Speise ihm nicht aus dem Widum [Pfarrhaus] verabfolgen lassen, wie es von jeher die anderen Pfarrer getan hätten. Auch seinen Junkmeister wolle er nicht aus dem Widum verköstigen, wie es von alters her Brauch war“ (wie oben, fol. 7r–7v). Der Rat fragte, ob Weinreich „die Schule von Rats wegen aufrichtig regieren und die Knaben oder Schüler darin unterrichten wolle, wie es sich für einen Schulmeister gebühre; sowie, ob er die Kirche mit Gesang versehen wolle, wie es dem Schulmeister zukomme; wenn ihm nun der Pfarrer kein Essen reichen wolle, wie von alters her Brauch sei, dann habe er die Wahl, die Kirche zu besingen oder nicht. Jedoch was der Stadt oder der Kommune gebühre und zu singen war und wofür der Schulmeister verantwortlich war, dem solle der Schulmeister Genüge tun; und für die Zeit, die ihm der Pfarrer das Essen verweigere, könne er sich einen Tisch suchen, wo es ihm am besten passe, bis die Streitsache gelöst sei“. In der Tat zog sich die Sache etwas hin und führte offenbar zu einer Beschwerde an die Kommune, worauf der Rat beschloss, die Kommune (vermutlich bei Gelegenheit einer allgemeinen Bürgerversammlung) entscheiden zu lassen (Ratsprotokoll von 1475, wie oben, fol. 7v; Wortlaute modernisiert).
Wir wissen nicht, wie der Streit entschieden wurde. Doch aus dem Dokument geht erstens hervor, dass der Pfarrer den Schulmeister mit Verköstigung entlohnen sollte, während von einer Verweigerung des eigentlichen Gehalts, das vom Kirchprobst ausgezahlt wurde, nicht die Rede ist. Zweitens erfahren wir, dass das Gehalt für den Schulunterricht und für bestimmte Gesangsdienste vom Stadtrat kam; [18] und drittens, dass der Junkmeister (der vom Pfarrer gleichermaßen abgelehnt wurde) mit dem Schulmeister zusammen den Dienst hätte antreten sollen.
[17] Walter Salmen verdanke ich die Erklärung, dass der Terminus „Junkmeister“ nicht von “Jung” abgeleitet sei, sondern von “Verbindung” wie in lat. iungere.
[18] Zur Abhängigkeit des Schulmeisters von der Stadt vgl. auch Hoeniger 1934, 28.
[1] Zu weltlichen Musikformen vgl. auch » E. Städtisches Musikleben und Paoli Poda 1999.
[2] Vgl. ein Häuserverzeichnis von 1497 bei Hoeniger 1951.
[3] Zur Stadtgeschichte: Mahlknecht 2006, 47–52. Die Feuersbrunst 1483 dokumentiert u. a. Felix Fabri (» D. Fürsten und Diplomaten auf Reisen).
[4] Dies reflektiert der Titel der Urkundenedition Bozen Süd-Bolzano Nord (= Obermair 2008).
[5] Strittig waren vor allem die Präsentationsrechte für Geistliche der Diözese Trient, vgl. Atz/Schatz 1903, 15.
[6] Wohl wegen der fehlenden Mauern beschreibt Andrea de’ Franceschi Bozen noch 1492 als einen „borgo“ (Markt); er betont jedoch die befestigten Straßen sowie die allgemeine Betriebsamkeit und Stattlichkeit, die Bozen wie eine wirkliche Stadt erscheinen ließen: Simonsfeld 1903, 287.
[7] Obermair 2005, 47.
[8] Atz/Schatz 1903, 21–27.
[9] Vgl. Hoeniger 1934, 29f.
[10] Edition und Kommentar: Obermair 2005.
[11] Das Kolophon lautet: „Liber de redditibus operis ecclesie parochialis in bozano et de ordinibus sindicorum“ (Buch der Einkünfte der Kirchenfabrik der Pfarre Bozen und der Verordnungen der Kirchpröbste); es ist datiert (1460 VIII 26). Ich danke der Bibliothèque der Université de Strasbourg und dem Stadtarchiv Bozen/Bolzano für freundliche Genehmigungen.
[13] Die Archivserie der Kirchprobstrechnungen wird im Folgenden etwas abgekürzt zitiert. Die vollständigen Signaturen dieser Serie im Historischen Archiv der Stadt Bozen lauten Hs. 639-671 (1470–1520).
[14] Vgl. Atz/Schatz 1903, 16; Obermair 2005.
[15] Vgl. Obermair 2005, 55. Ediert in Paoli Poda 1999, S. 113ff. Für den Vergleich mit anderen Schulordnungen der Region siehe » H. Schule, Musik, Kantorei.
[16] Vgl. Hoeniger 1934, 61–64.
[17] Walter Salmen verdanke ich die Erklärung, dass der Terminus „Junkmeister“ nicht von “Jung” abgeleitet sei, sondern von “Verbindung” wie in lat. iungere.
[18] Zur Abhängigkeit des Schulmeisters von der Stadt vgl. auch Hoeniger 1934, 28.
[19] Vgl. Atz/Schatz 1903, 14.
[20] I-BZac (StA Bozen), Urkunde Nr. 194 (1463 I 12): Die alte Pinter-Handwerksbruderschaft konstituiert sich wegen großen Zustroms neu als Fronleichnamsbruderschaft und stiftet einen gesungenen Jahrtag am Fest von St. Urban (dem Weinheiligen).
[21] Im Jahre 1480 teilt die Kirchprobstrechnung (I-BZac Hs. 644, fol. 23r) die Vergütungen folgendermaßen auf: „Schulern von dem vorgangk des sacraments zu krancken leutten 1 mr. (= 10 £), und dem schulmeister 2 £“. Die Vorschriften für die Aufteilung wurden mehrmals geändert.
[22] Kirchprobst Sigmund Zwickauer vermerkt in der Kirchprobstrechnung von 1478 (I-BZac Hs. 643, fol. 7r) den Jahreseingang von Zinsen aus Stiftungen „zw dem vorgangk gotzleichnam“: vom Spital 6 £, von Peter Sigeleins Erben 6 £, von Caspar auf Platzol (Prazöll, St. Magdalena) 1 £ und von Michel Grossel 1 £ 6 gr. Dieses zusätzliche Einkommen allein war höher als das dem Schulmeister und seinen Begleitern ausgefertigte Jahresgehalt von 12 £.
[23] Obermair 2005, 44.
[24] F-Sn Ms. 2111 allemands 187, fol. 129r (vgl. auch » H. Schule, Musik, Kantorei). Die Komplet wurde in der Pfarrkirche nicht von den Schülern gesungen.
[25] Zum möglichen Zusammenhang mit dem von Giulia Gabrielli entdeckten Bozner Fragment mensuraler Musik vgl. » Kap. Verbindung zu den Trienter Codices und » F. Geistliche Mehrstimmigkeit. Etwa zur selben Zeit sind Aufführungen polyphoner Musik in den abendlichen “Salve-Konzerten” niederländischer Stadtkirchen nachweisbar: vgl. Strohm 1985, 33 und passim.
[26] Vermerkt in F-Sn Ms. 2111 allemands 187, fol. 95r, unmittelbar nach der Salve-Stiftung.
[27] University College London (GB-Luc), Ms. germ. 1.
[28] Mit der anscheinend irrigen Angabe, das Studium sei „zwei oder drei Tage danach“ auszuführen.
[29] Vgl. Atz/Schatz 1903, 28ff.
[30] Vgl. Hassler 1849, 72. Die Behauptung ist nicht unwidersprochen geblieben: vgl. Hoeniger 1934, 9f.
[31] Man vergleiche dieses Honorar von insgesamt 825 £ für wohl zwei Jahre vollzeitiger Arbeit mit dem jährlichen Grundgehalt des Schulmeisters von 22 £ (8 £ für Salve-Singen vom Rat, 14 £ für Sakramentsumgänge von der Kirche), das sich freilich durch weitere Stiftungseinkünfte und Renten auf etwa 40 £ erhöht haben dürfte.
[32] Vgl. Hoeniger 1934, 32.
[33] Vgl. Obermair 2005, 51. Vgl. auch die Anmerkungen zur Glockenkunst im damaligen Brügge bei Strohm 1985, 2–4 und passim.
[34] Ein noch existierendes Graduale des 14. Jahrhunderts (I-BZmc Ms. 1304), das von einem Schreiber Ruotlibus (Ruodlieb) aus der Grafschaft Krain (Diözese Aquileja) angefertigt wurde und später nach Bozen gelangte, ist als Ms. 1304 des Stadtmuseums Bozen/Museo civico di Bolzano erhalten. Eine Faksimileausgabe durch Marco Gozzi und Giulia Gabrielli ist in Vorbereitung.
[35] Vgl. Wright 1986, mit Edition des Testaments 265–270.
[36] Vgl. Wright 1986; Strohm 2013.
[37] Der Trienter Codex I-TRcap 93*, eigentlich „B.L.“, wird im Unterschied zu den anderen Bänden heute nicht im Castello del Buonconsiglio aufbewahrt, sondern in der dortigen Kapitelbibliothek (Biblioteca Capitolare).
[38] Vgl. Ferdinand Troyer OFM, Chronik der Stadt Bozen, Bozen 1648, nach: Atz/Schatz 1903, 13–14.
[39] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, 246.
[40] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, 130–246. Die Kirchprobstrechnungen sind die Hauptquelle dieser Nachweise.
[41] Zur Verbindung zwischen kirchlichem Spiel und Stadtbürgerschaft vgl. besonders Obermair 2004.
[42] Vgl. Obermair 2004.
[43] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, 131, Anm. 73, gibt an, er habe alle Kirchprobstrechnungen des Bozner Stadtarchivs durchgesehen, doch sei ihm (vor 1987) die Auswertung der Ratsprotokolle nicht ermöglicht worden. Ich danke Archivdirektor Dr. Hannes Obermair für den Zugang auch zu letzteren, die jedoch über die Spiele keine Auskunft geben.
[44] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, 132f.
[45] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, 212.
[46] I-BZac Hs. 655, fol. 53v.
[47] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, 143–157; ausführlich zur Passion von 1495 auch Paoli Poda 1999 und Obermair 2004.