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Das Salve regina des Rats

Reinhard Strohm

Haslers Urbar vermerkt auf fol. 95r: „Das Salve regina, das man täglich singen soll vor dem Fronamt in der Pfarrkirche zu Bozen, hat gestiftet weiland Hainreich Franchk, der ein Bürger zu Bozen, hernach ein Bürger zu Wien gewesen ist. Es hat beurkundet Johannes der Notar aus der Wangergasse Anno domini (1400 X 31).“[23]

Die Stiftung Heinrich Francks begünstigte eine Form der Marienverehrung, die in mehreren Regionen Europas verbreitet war. Das Salve-Singen (vgl. auch » D. SL Waldauf-Stiftung) wurde anderswo gewöhnlich am Abend nach der Komplet veranstaltet; in Bozen war für die Einordnung am Vormittag vor dem Fronamt (Hochamt) vielleicht ausschlaggebend, dass man die Mitwirkung der jungen Schüler sicherstellen wollte, die an Werktagen abends nach der Vesper für eineinhalb Stunden Latein zu lernen hatten, bevor sie heimgingen.[24]

Etwas Besonderes ist in Bozen auch, dass nicht die Kirche, sondern der Stadtrat für die regelmäßige Entlohnung des Salve-Dienstes aufkam, ja dass dieser sogar als eine Art städtischer Anstellung gelten konnte. Heinrich Franck hatte offensichtlich die Stadtverwaltung, nicht die Kirche, mit seiner Stiftung bedacht. Nun erhielt der Schulmeister mit Junkmeister, Astanten und Schülern von der Stadt jährlich 1 mr. (=10 £), die Gesellpriester ebenfalls zusammen 1 mr., der Kirchprobst und Mesner je 4 £. (Ab 1474 waren es nur noch je 8 £ bzw. 3 £.: das Stiftungseinkommen war offenbar zurückgegangen.)

 

 

Man fragt sich, woraus dieser Gesangsdienst eigentlich bestand, wenn außer dem Schulmeister mit Schülern, Astanten und Junkmeister auch Gesellpriester, Mesner und Kirchprobst entlohnt wurden. In Haslers Urbar ist unter den genau spezifizierten Pflichten des Mesners – die u. a. das Glockenläuten, Versorgen der Kerzen und der Chorgewänder umfassten – kein Salve-Dienst erwähnt. Die Gesellpriester waren offenbar nur als Gesangskräfte tätig, da keine Messe zelebriert wurde; der Mesner musste wohl ausgiebig Glocken läuten; der Kirchprobst hatte immerhin die Auszahlung der städtischen Gelder an die Mitwirkenden zu veranlassen. Es ist möglich, dass diese tägliche Zeremonie ihren besonderen Aspekt in der Musik hatte, dass außer der Antiphon Salve regina, mater misericordie auch andere Gesänge zu Gehör kamen, und vielleicht sogar, dass hier ein Ansatzpunkt für die Einführung mehrstimmigen Singens war.[25] Zum Vergleich mag eine wöchentliche Zeremonie dienen, die 1400 von Diemut Albert (Albertin) gestiftet worden war: Alle Sonntage nach der Vesper mussten Gesellpriester, Schulmeister und Schüler um die Pfarrkirche und St. Nikolaus herumgehen und für die armen Seelen Absolve domine – den Tractus der Totenmesse – singen sowie nach alter Gewohnheit für die armen Seelen beten.[26] Diese Bittprozession dürfte weniger Möglichkeiten zu musikalischer Entfaltung geboten haben.

[23] Obermair 2005, 44.

[24] F-Sn Ms. 2111 allemands 187, fol. 129r (vgl. auch » H. Schule, Musik, Kantorei). Die Komplet wurde in der Pfarrkirche nicht von den Schülern gesungen.

[25] Zum möglichen Zusammenhang mit dem von Giulia Gabrielli entdeckten Bozner Fragment mensuraler Musik vgl. » Kap. Verbindung zu den Trienter Codices und » F. Geistliche Mehrstimmigkeit. Etwa zur selben Zeit sind Aufführungen polyphoner Musik in den abendlichen “Salve-Konzerten” niederländischer Stadtkirchen nachweisbar: vgl. Strohm 1985, 33 und passim.

[26] Vermerkt in F-Sn Ms. 2111 allemands 187, fol. 95r, unmittelbar nach der Salve-Stiftung.