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Regelmäßige und besondere Anlässe des Glockenläutens

Reinhard Strohm

Die Gelegenheiten, zu denen Glocken erklangen, waren zunächst natürlich alle Gottesdienstzeiten, einschließlich der Zeiten des Stundengebets (Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet und Matutin mit Laudes). Es scheint nicht bekannt zu sein, welche Kirchenglocken auch die regelmäßigen Tagesstunden läuteten oder inwieweit diese Aufgabe den Uhren, Glöcknern oder Turmbläsern zukam.

Das sehr häufige Läuten zu öffentlichen Ereignissen wurde in Wien von der Stadtverwaltung kontrolliert. Folgende Anlässe waren typisch (» E. Städtisches Musikleben):

  • Alle kirchlichen Zeremonien und Gottesdienste (wie z. B. Messen) zu städtisch-politischen Anlässen wie Stadtrats- und Ständeversammlungen, Ratswahlen, Verhandlungen und Friedensschlüssen;[23]
  • Freudengeläut, oft von allen Glocken der Stadt, zu besonderen Ereignissen wie z. B. der Papstkrönung 1417 (» E. Kap. Feiern zu politischen und kirchlichen Ereignissen). Als nach dem 23. September 1438 ein Sieg des Herzogs von Sachsen über die Taboriten gefeiert wurde, entlohnte der Stadtrat 26 Knechte für das Freudengeläut, das demnach in mindestens sechs bis sieben Kirchen gleichzeitig erklang;
  • Begrüßungen einziehender und abreisender prominenter Gäste, vor allem während deren Prozession vom Stadttor zum Rathaus, zur Burg oder zur Kirche;
  • kirchliche Prozessionen und Feste, die besonders hervorgehoben werden sollten, wie stets die jährliche Fronleichnams-, Pfingst- und Bittprozession (» E. Musik im Gottesdienst), aber auch z. B. die Weihen von Kirchen und Altären;
  • Ankündigung gestifteter „Jahrtage“ (Gedächtnisgottesdienste) prominenter Bürger und Kleriker, auch z. B. von Priester- und Nonnenweihen;
  • Warnungen bei Feuer, Kriegsereignissen, Sturm und Flutkatastrophen, Pestepidemien;
  • weltliche Feste wie vor allem das beliebte Scharlachrennen zu Christi Himmelfahrt und am St. Katharinentag, die eingeläutet wurden (» E. Städtisches Musikleben; » E. SL Scharlachrennen).

Die Totenglocke erklang an den einzelnen für das Begräbnis verantwortlichen Kirchen oder Klöstern, jedoch hatte der Stadtrat offenbar ein Mitspracherecht daran, denn im Jahr 1436 befahl Herzog Albrecht V. dem Bürgermeister, während der Pestepidemie das Läuten der Totenglocke zu verbieten, da es den Menschen Furcht einflöße:

„Wegen dem Sterben, besonders auch unter jungen Leuten, das sich erhoben hat, und da das Geläut bei St. Stephan und St. Michael viel gebraucht wird […] so dass die Leute davon gar erschrecken und ein Grauen haben, empfehlen wir dir, dass du derartiges Geläut bei den genannten Pfarrkirchen untersagst, dass es also unterbleibe, damit den Leuten davon nicht Furcht oder Grauen entstehe, die für sie ein Grund ihres Ablebens werden könnte.“[24]

[23] Das Läuten der Ratglocke für Ratsversammlungen ist z. B. in OKAR 46 (1485), fol. 12v belegt (Schusser 1986, 147, Nr. 133).

[24] Camesina 1874, 67, Nr. 325 (1436 VII 02) (Wortlaut modernisiert.)