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Hornwerke

Reinhard Strohm

Hornwerke, in zeitgenössischen Quellen meist einfach “Horn” genannt, waren keine Blechblasinstrumente, sondern Orgeln, die auf Kirchtürmen und Festungsbauten eingerichtet waren und beim Anspielen durch das Treten oder Ziehen der Blasbälge einen weithin vernehmbaren Klang erzeugten. Diese Praxis, die wesentlich zur städtischen Klang-Aura beigetragen haben muss, ist in Zentraleuropa vor allem in österreichischen Städten und Stiften nachweisbar: nämlich in Hall in Tirol (vor 1422), in Brixen (1429), an St. Stephan in Wien (1. Hälfte des 15. Jahrhunderts), in Wiener Neustadt (um 1455), in Zwettl (um 1500), in Kremsmünster (1518 oder früher) und in Melk.[53] 1515 (früher wurde 1502 angenommen) wurde der sogenannte “Salzburger Stier”, ein Hornwerk auf der Feste Hohensalzberg, erbaut.[54] Schon im 14. Jahrhundert sollen Hornwerke in Klosterkirchen außerhalb der Städte eingerichtet worden sein, aus Sicherheitsgründen. Diejenigen in den Stiften Rein und Heiligenkreuz blieben bis ins 20. Jahrhundert funktionierend erhalten.

Das Zusammenwirken von Türmersignal und Hornwerk – soweit es beide gab – war von Ort zu Ort verschieden organisiert. Elementare und regelmäßige Signale, z.B. das Anblasen von Tag und Nacht zu Sonnenuntergang und vor der Frühmesse, wie es u.a. die Turnerordnung von Bozen (1450) noch vorsieht, könnten an manchen Orten später dem Hornwerk zugefallen zu sein; andererseits waren Türmersignale weithin für Sicherheit und militärische Zwecke eingesetzt, während das Horn diese Funktion anscheinend weniger gut erfüllen konnte.[55]

Über das Haller “Heerhorn” berichten Einträge der städtischen Raitbücher anlässlich von zahlreichen Reparaturen und Verbesserungen seit 1422. Damals erhielt der Orgelbauer Friedrich 64 lb. für die Arbeit, und für Materialien gab der Stadtrat zusätzlich 49 lb. 7 gr. aus. Andere Spezialisten, die das Horn reparierten, waren 1424 ein “Münch” und nach dem Stadtbrand von 1449 der Orgelbauer Gennsschädl aus Wilten bei Innsbruck (1451–1452). Weitere Informationen der Jahre bis 1523, auch zu Teilen wie Zinnpfeifen, Eisenstangen, Blasbälgen, hölzernen Windladen, weiterem Zubehör und einem bemalten Gehäuse, ergeben das Bild einer urbanen Anlage von großer Bedeutung für Stadtbewohner und auswärtige Spezialisten.[56]

Zum Hornwerk auf dem Turm der Liebfrauenkirche (Dom seit 1469) in Wiener Neustadt sind ebenfalls Dokumente bekannt. Dieses soll um 1455 von Orgelmeister Wolfgang Rudorff gebaut worden sein.[57] Zwei im Stadtarchiv Wiener Neustadt vorliegende Quittungen bestätigen, dass Orgelmeister Wolfgang Rudorff das Hornwerk baute und dafür mit 17 tl. d. bezahlt wurde. Dies geschah allerdings erst gegen 1464 und auf einem Umweg, nämlich über den “Cantor und Organisten” Kaisers Friedrich III., Anthoni von Kcharfrey, der offenbar die Summe vorstreckte und sie zum 31. Oktober 1465 von der Stadtverwaltung zurückerstattet bekam (» Abb. Hornwerk-Quittung Anthoni von Kcharfrey 1465).

 

Abb. Hornwerk-Quittung Anthoni von Kcharfrey, 1465

Abb. Hornwerk-Quittung Anthoni von Kcharfrey, 1465

„Ich Anthoni von Kcharfrey unsers Allergnedigsten Herren Herrn Friedreichen des Römischen Kaiser etc. Cantor und Organist bekchen [bekenne], das ich an stat Maister Wolfgangs Rudorff Orgelmaister, nach gescheft der ersamen und weisen […] Emphangen und Ingenommen hab Sybenzehen phundt phenig, dye Im dy bemelten Burgermaister und Ratt von wegen aines horen [Horns] In unsere Frawen Pharkirchen Turn daselbs zu der Newnstatt schuldig warden sein, nach lawt ains gewaltbriefs von dem bemelten Maister Wolfgangen […]“
Stadtarchiv Wiener Neustadt (A-WNsa), Scrin. E.177/3.

Mit Genehmigung des Stadtarchivs Wiener Neustadt.

Schon am 29. September 1464 hatte der damalige Bürgermeister von Wiener Neustadt, Hans Mitternpacher, den Erhalt derselben Summe an die Stadtsteuereinnehmer quittiert, offenbar um den Betrag dann an Kcharfrey weiterzugeben.[58] Kcharfrey wurde 1465 selbst Organist an der Liebfrauenkirche; dass die Rückerstattung an ihn erst 1465 erfolgte, könnte mit seiner Ernennung zu tun haben. Ohnehin ist zu vermuten, dass Kcharfrey mit dem Orgelbauer Rudorff gut bekannt war und dass der Hof Friedrichs III. eine Rolle bei diesem Auftrag spielte, vielleicht sogar als ursprünglicher Auftraggeber, der die Rechnung Rudorffs dann an die Stadt weitergegeben hatte. Die Pfarrkirche zu Unserer Lieben Frau stand ja gleichsam vor der Haustüre des in der Wiener Neustädter Burg residierenden Kaisers.

Friedrich III. hatte sich bereits 1450 für ein Hornwerk engagiert, nämlich dasjenige von St. Stephan zu Wien. Damals empfahl er den Stadträten den Wiener Orgelmeister Erhart als Erbauer eines neuen Hornwerks auf dem Stephansturm, nachdem das alte im Turmbrand von 1449 zugrunde gegangen war.[59] Das Hornwerk auf dem Stephansturm wurde also vom Stadtrat kontrolliert und ist dementsprechend in den Stadtrechnungen erwähnt. Die Benutzung zu “Polizeizwecken[60] geht daraus hervor, dass 1454 der städtische Ausrufer den bewaffneten Ausgang „auf der gassen“ nachts nach dem “hornplosen” verbot (» Kap. Nachtwächter und Ausrufer). Dem Hornwerk war ein städtischer „Knecht“ zugeteilt, der vermutlich die Blasbälge bediente. Dieser wurde 1456 als “Knecht zum Taghorn” bezeichnet und für 10 Wochen mit je 3 s. d. besoldet:
“Item ain knecht zum taghorn x wochen sold per iii s. facit ii tl. vi d.[61]
Um ein Blasinstrument handelt es sich hier sicher nicht, denn es waren ja Trompeter – nicht “Knechte” – auf dem Turm angestellt. Es bleibt zu ermitteln, ob es auf dem Stephansturm auch ein “Nachthorn” gab (d. h. eine andere Spielweise des Hornwerks?) und ob gar die mit “Taghorn” und “Nachthorn” betitelten weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg mit Hornwerken, statt mit Blasinstrumenten, zusammenhängen könnten.[62]

Kaiser Friedrich III. unternahm auch weite Reisen, z.B. zum Nürnberger Reichstag, mit einem Wagen, auf dem ein Hornwerk angebracht war.[63] Und in Nürnberg selbst ließ er anlässlich des Reichstags 1487 ein Hornwerk auf der Burg im “runden Turm” (Sinwellturm) einrichten.[64] Als er 1485 seinen Hof von Wiener Neustadt nach Linz verlegte, wurden dort dem Orgelbauer Hanns Laren für seine Arbeit am “Horn” 20 lb. angewiesen.[65] Wahrscheinlich war dies ein Hornwerk auf der Linzer Burg.

[53] Quoika 1959Krones 2016 erläutert: “Die Funktion der H.e ist jener des Glockengeläutes sehr ähnlich, sie erklangen zu bestimmten Tageszeiten oder zu festlichen Gelegenheiten, H. und Glocken wurden auch abwechselnd oder gemeinsam gespielt. Die H.e waren vornehmlich auf den Kirch- und Tortürmen der Städte und Klöster oder auf Festungsanlagen postiert.”

[54] Nach Berichten u.a. von Leopold Mozart spielte dieses Hornwerk sowohl den verstärkten F-Dur-Akkord (was ihm den Namen gegeben hat) als auch eine Skala von 25 Einzelnoten, die das Spielen zahlreicher Melodien erlaubte: vgl. u.a. Schneider 1935, 43, und Senn 1938, 94 Anm. 3. Nach freundlicher Mitteilung von Prof. Gerhard Walterskirchen, Salzburg, war die Skala zur Entstehungszeit noch nicht verfügbar. Jedoch sei hier vorgeschlagen, dass bereits im 15. Jahrhundert ein Hornwerk auf dem Turm der Stadtpfarrkirche oder des Rathauses zu Salzburg existierte.

[55] Senn 1938, 102, mit weiteren Informationen zu Hall und Salzburg.

[56] Senn 1938, 96–103.

[57] Quoika 1959, 25; Dworschak/Kühnel 1963, 41.

[58] Stadtarchiv Wiener Neustadt (A-WNsa), Scrin. E. 177/1.

[59] Quoika 1959, 23f.; Verein für Geschichte der Stadt Wien 1895–1937, Abt. II/Bd. 2, Nr. 3345.

[60] Quoika 1959.

[61] OKAR 14 (1456), fol. 31v.

[62] Zu diesen Liedern, ihren Fassungen und ihrem Zusammenhang mit Instrumentalspiel vgl. Welker 1984/1985.

[63] Senn 1938, 94 (nach H. J. Moser).

[64] Green 2011, 11-12.

[65] Stadtarchiv Linz (A-LIsa), Hs. 856 (Kerschbaum Chronik), Bd. 2, 36. “Hanns Laren” könnte mit dem Orgelbauer Hanns Law(e)n aus Deggendorf identisch sein, der 1478 die Orgel der Stadtpfarrkirche zu Steyr errichtete (»Abb. Orgelbau Steyr 1478). Wessely 1951, 107, bezeichnet ihn als den ersten ortsansässigen Orgelbauer in Linz, “der, wie man weiß, sein Holz aus den Forsten des Stiftes Lambach bezog”.