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Glockenläuten

Reinhard Strohm

Musik und Signal wirkten zusammen. Das für die Klang-Aura so entscheidende Glockenläuten hatte im Unterschied zum Uhrenschlagen den Vorteil, gerade durch musikalische Merkmale wie hohe oder tiefe Töne sowie deren Kombinationen und zeitliche Disposition viele verschiedene Mitteilungen signalisieren zu können. Schon mit nur vier Glocken unterschiedlicher Größe und Tonhöhe, die entweder allein oder zusammen und entweder in kurzen oder langen Zeitabständen angeschlagen wurden, konnte man fast unzählige unterscheidbare Signale „formulieren“ (» E. Bozen, Kap. Glocken). Diese bezogen sich in der Regel auf die komplexen Zeitabläufe des kirchlichen Ritus. Man wusste also z. B. in Bozen, wann die Tagesmesse begann, wann die Vesper begann, ja sogar wann innerhalb des Messritus sich die Wandlung vollzog. Zweifellos waren solche Glockensignale seit frühester Zeit nicht nur als Mitteilungen gedacht, sondern sollten die Gläubigen zu etwas auffordern – sei es zum Besuch eines Gottesdienstes, sei es zum Niederknien oder Beten während einer sakralen Handlung, die an anderem Ort ablief. Hier ist bereits der städtische Raum impliziert, da der Klang einer bestimmten Glocke sich an die Mitglieder eines bestimmten Pfarrbezirks oder Klosters richtete und sie zu einer gleichzeitigen Aktion veranlassen konnte, mit der Kirche als topographisch festgelegtem Zentrum. Da jedoch Glockengeläut durchaus über Pfarrgrenzen hinaus hörbar war, mussten die Hörer „ihre“ Glocke von der anderer Pfarren oder Klöster unterscheiden können und wurden somit akustisch-räumlich an ihre soziale Zugehörigkeit gemahnt. Natürlich war auch die Ausstattung der verschiedenen Kirchen mit Glocken ungleich, so dass die Hierarchie zwischen den geistlichen Institutionen akustisch vermittelt wurde.