Michel Beheim
Michel Beheim (1420-1472/79) aus Sülzbach bei Weinsberg in Württemberg war der letzte fahrende professionelle Spruchsänger. Mit ihm endete die dreihundertjährige Geschichte dieser Kunstform – die freilich parallel und noch bis ins 18. Jahrhundert im Meistergesang weiterlebte, nunmehr durch Sänger, die die Kunst als Dilettanten in Gesellschaften oder Bruderschaften in Singschulen, d. h. Konzerten, im Wettbewerb ausübten. Der Tradition des Spruchsangs gemäß dichtete Beheim ausschließlich in eigenen, teilweise sehr kunstvollen Tönen; Benutzer entlehnter Töne (somit auch die zeitgenössischen Meistersinger) verachtete er. Über Beheim wissen wir aus zahlreichen autobiographischen Liedern weit mehr als über jeden anderen Spruchdichter. [29] Zudem ist sein Œuvre, in der Hauptsache durch Autographe, lückenlos überliefert (453 Lieder, drei strophisch gereimte Chroniken, 12 Töne mit ihren Melodien).[30] Beheim hatte das Weberhandwerk erlernt; mit 22 Jahren trat er als Sänger in den Dienst seines Herrn Konrad von Weinsberg, nach dessen Tod begab er sich an weitere Höfe, ab 1454 lebte und wirkte er als Sänger (aber auch als Kriegsknecht) in Österreich, zunächst im Dienst Herzog Albrechts VI., dann, bis 1557, in dem von König Ladislaus Postumus in Prag und Wien, mit dem er 1456 am Feldzug gegen die Türken teilnahm (wovon er ausführlich berichtete),. Von 1459 bis 1465 schließlich war er Sänger am Hof Kaiser Friedrichs III. in Wien. In diesen Jahren verfasste er seine Reimchronik Das Buch von den Wienern, das die Belagerung des Kaisers in der Wiener Burg durch die Wiener Bürgerschaft unter der Führung von Erzherzog Albrecht VI. (Bruder Friedrichs III.) anklagend berichtet:
Nachdem der Kaiser ihn entlassen hatte, zog es Beheim zurück in die Heimat. Er trat in den Dienst Kurfürst Friedrichs I. des Siegreichen von der Pfalz. Schließlich ging er zurück nach Sülzbach, wo er als Schultheiß 1472/79 ermordet wurde. Aus den zahlreichen Liedern, die Bezug auf österreichische Ereignisse und historische Gestalten nehmen,[31] hebe ich hier nur einige wenige beispielhaft heraus. In Lied Gille/Spriewald 356 warnt der Sänger König Ladislaus vor der Untreue der Ungarn (1456); 244 ist ein Lobgedicht auf Albrecht VI. von Österreich mit Wappenallegorese; in 90 werden Kaiser Friedrich III. und sein Bruder Albrecht VI. zur Eintracht ermahnt, durch ihren Streit gingen Böhmen und Ungarn (vorläufig) verloren; in 92 klagt der Sänger vor dem Kaiser: wegen seiner Treue zu ihm werde er von vielen schlecht behandelt; 116 enthält eine Prophezeiung auf Friedrich: er werde Frieden schaffen; 96 ist ein Preislied auf die Wiener Universität.
[29] Grundlegend hierzu Schanze 1983.
[30] Gille/Spriewald 1968-1971; dort in Bd. 3/1, S. 474-483, hrsg. von Christoph Petzsch, auch die Melodien; diese (synoptisch) auch in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 6-17.
[31] Vgl. die Übersicht bei Müller 1974, S. 246-267.
[1] Vgl. Brunner 1998; Klein/Haustein/Brunner 2019. Umfassende Bestandaufnahme in: Brunner/Wachinger 1986-2009, im Folgenden abgekürzt RSM.
[2] Vgl. Brunner 2013.
[3] Brunner/Hartmann 2010 (Gesamtausgabe der Melodien nach allen Quellen; im Folgenden abgekürzt SPS).
[4] Vgl. Rettelbach 2019; zur Umgestaltung der Melodien in der Spätüberlieferung vgl. Brunner 1975.
.[5] Walther von der Vogelweide wird zitiert nach Lachmann 2023, abgekürzt L.
[6] Ediert in Brunner 2005, S. 123-167.
[7] Ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 408-411.
[8] Bruder Wernher wird zitiert nach Z = Zuckschwerdt 2014.
[9] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 427-432.
[10] Vgl. Brunner/Schrenk 2014.
[12] Zitiert nach Mildner 2023.
[13] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 397-399.
[14] Die Sprüche sind aufgelistet bei Müller 1974, S. 350-353; Abdrucke der Texte bei Müller 1972. Die in der Jenaer Handschrift erhaltenen Melodien sind ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010).
[15] Vgl. hierzu Lämmert 1970; Ziegeler 2003; Glier 1981; Brinker-von der Heyde 1995. Die Liste der politischen Reden Suchenwirts findet sich bei Müller 1974, S. 191-201.
[16] Vgl das Faksimile; Thurnher/Zimmermann 1979; ferner Zimmermann 1980; Zimmermann 1995; Lomnitzer 1971.
[17] Zur Handschrift vgl. » B. Traditionsbildungen, mit » Abb. Iam en trena / Man siht läuber.
[18] Vgl. dazu zusammenfassend Callsen 2019.
[19] Vgl. Worstbrock 1992.
[20] Stohlmann 1983, Sp. 136.
[21] Texte und Melodien sind ausführlich behandelt in » B. Traditionsbildungen (Reinhard Strohm).
[22] Die Spruchmelodien in der Sterzinger und in der Schratschen Handschrift sind in SPS (Brunner/Hartmann 2010) berücksichtigt. Vgl. zur Handschrift Eghenvelders auch » Kap. Eine studentische Neidhartsammlung aus Wien (Marc Lewon) mit Musikbeispielen.
[23] Haustein/Willms 2021, Nr. 7 und 59.
[24] Vgl. Spechtler 1972; Waechter 2005; zu den Tönen Brunner 2013, S. 184-189. » Kap. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg (Stefan Engels); » Kap. Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (David Murray).
[25] Vgl. Brunner 2021.
[26] Vgl. Brunner 2013, S. 190-193.
[27] Vgl. Brunner 2011.
[28] Kl = Klein 2015
[29] Grundlegend hierzu Schanze 1983.
[30] Gille/Spriewald 1968-1971; dort in Bd. 3/1, S. 474-483, hrsg. von Christoph Petzsch, auch die Melodien; diese (synoptisch) auch in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 6-17.
[31] Vgl. die Übersicht bei Müller 1974, S. 246-267.
[32] Vgl. Schanze 1987, Sp. 349-351.
[33] Schanze 1987, Sp. 351.