Der Mönch von Salzburg und Oswald von Wolkenstein
Die beiden bedeutendsten Liederdichter der Zeit um 1400 stehen auf unterschiedliche Weise in Beziehung zum Spruchsang: der Mönch von Salzburg trug mit einigen seiner Strophenformen zum Tönerepertoire der Meistersinger bei; Oswald schöpfte mehrfach aus dem Tönevorrat der Spruchsänger, auch dienten ihm Spruchtöne z. T. als Vorbilder eigener Tonerfindungen. Das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene umfangreiche Liedœuvre des (als historische Person nicht identifizierbaren) Mönchs umfasst weltliche und geistliche Lieder.[24] Davon sind in unserem Zusammenhang nur die letzteren von Interesse, davon wiederum nicht die Übersetzungen lateinischer Hymnen und Sequenzen, sondern nur die Strophenlieder. Ein Beispiel ist das Marienlied » Hörbsp. ♫ Maria ward ein pot gesanndt. Für mehrere dieser Lieder benutzte der Mönch vorhandene Strophenschemata und Melodien, sowohl Töne, die zuvor für Minnelieder belegt sind, als auch solche aus dem Bereich geistlicher, auch aus der Kolmarer Liederhandschrift bekannter Lieder (Peter von Arberg, Tagweise I; der Peter von Sachs zugeschriebene Barantton, s. o.). Nicht als Tonübernahmen belegbar sind vier Töne: die Chorweise, der Lange Ton, der Zarte Ton und der allerdings nur aus der Kolmarer Handschrift bekannte Süße Ton, zu dem es keinen für echt gehaltenen Text gibt, der also möglicherweise dem Mönch nur zugeschrieben wurde. Es handelt sich durchweg um ausgesprochen umfangreiche, kunstvoll gereimte Töne (auch beim zweifelhaften Süßen Ton). Sie erinnern weniger an zeitgenössische Spruchtöne als an artifizielle Töne, wie sie sich im 14./15. Jahrhundert mehrfach im Repertoire der Spruchtöne finden.[25] In das Repertoire der Meistersinger dauerhaft aufgenommen und für zahlreiche Neudichtungen bis in das 17. Jahrhundert verwendet wurden davon die Chorweise und der Lange Ton. Beide Töne dienten auch als Vorbilder zweier Töne, des Fröhlichen oder Neuen Tones und des Unbenannten Tones, des Spruchsängers Muskatblut.[26] Der Mönch wurde wegen dieser Töne zu den ehrwürdigen Vorgängern der Meistersinger gezählt, obwohl er zweifellos nicht zur Zunft der Spruchsänger gehörte.
Oswalds von Wolkenstein Dichtungen bieten in ihrer Gesamtheit eine Art Enzyklopädie der Liedtypen, die um 1400 in Gebrauch waren, allerdings in sehr persönlicher Ausgestaltung. Es finden sich bei ihm Liebeslieder des modernen Typs, wie er seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aufkam. Manche Texte zeigen Nähe zum Neidhartlied, ferner finden sich Trinklieder, politische Ereignislieder und geistliche Lieder in der Art des Mönchs. In zahlreichen Liedern zeigt Oswald sich auch mit der Spruchtradition vertraut.[27] Direkt aus ihr übernommen sind die Strophenschemata von Regenbogens Grauem Ton und Frauenlobs Vergessenem Ton, wobei die Strophenschemata leicht verändert und die Melodien durch Neukompositionen ersetzt wurden. Den Grauen Ton verwendete Oswald für nicht weniger als 11 Lieder (Kl 1-7, 11, 12, 95, 111)[28], den Vergessenen Ton zweimal (Kl 9, 10). Ein Beispiel des Grauen Tons ist das Lied » Hörbsp. ♫ Hör, Kristenhait. Dem Tönerepertoire des frühen Meistergesangs entnommen ist auch die Große Tagweise Peters von Arberg, die Oswald achtmal benutzte (Kl 16, 17, 28-32, 117); dazu erfand er drei unterschiedliche Melodien. Schließlich gehört in diesen Zusammenhang auch der Peter von Sachs zugeschriebene Barantton, den Oswald, wieder mit einer neuen Melodie, seinem Lied Kl 42 zugrunde legte. In den Zusammenhang von Oswalds Auseinandersetzung mit dem Spruchsang gehören wohl auch einige weitere großformatige, von ihm selbst geschaffene Töne zu spruchliedartigen Texten, etwa zu seinem berühmten autobiographischen Lied Es fuogt sich, do ich was von zehen jaren alt (Kl 18). Dem Spruchsang nahe stehen auch die Töne der didaktisch orientierte Liedgruppe Kl 22-25 und die der Lieder Kl 44 und 45.
[24] Vgl. Spechtler 1972; Waechter 2005; zu den Tönen Brunner 2013, S. 184-189. » Kap. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg (Stefan Engels); » Kap. Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (David Murray).
[25] Vgl. Brunner 2021.
[26] Vgl. Brunner 2013, S. 190-193.
[27] Vgl. Brunner 2011.
[28] Kl = Klein 2015.
[1] Vgl. Brunner 1998; Klein/Haustein/Brunner 2019. Umfassende Bestandaufnahme in: Brunner/Wachinger 1986-2009, im Folgenden abgekürzt RSM.
[2] Vgl. Brunner 2013.
[3] Brunner/Hartmann 2010 (Gesamtausgabe der Melodien nach allen Quellen; im Folgenden abgekürzt SPS).
[4] Vgl. Rettelbach 2019; zur Umgestaltung der Melodien in der Spätüberlieferung vgl. Brunner 1975.
.[5] Walther von der Vogelweide wird zitiert nach Lachmann 2023, abgekürzt L.
[6] Ediert in Brunner 2005, S. 123-167.
[7] Ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 408-411.
[8] Bruder Wernher wird zitiert nach Z = Zuckschwerdt 2014.
[9] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 427-432.
[10] Vgl. Brunner/Schrenk 2014.
[12] Zitiert nach Mildner 2023.
[13] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 397-399.
[14] Die Sprüche sind aufgelistet bei Müller 1974, S. 350-353; Abdrucke der Texte bei Müller 1972. Die in der Jenaer Handschrift erhaltenen Melodien sind ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010).
[15] Vgl. hierzu Lämmert 1970; Ziegeler 2003; Glier 1981; Brinker-von der Heyde 1995. Die Liste der politischen Reden Suchenwirts findet sich bei Müller 1974, S. 191-201.
[16] Vgl das Faksimile; Thurnher/Zimmermann 1979; ferner Zimmermann 1980; Zimmermann 1995; Lomnitzer 1971.
[17] Zur Handschrift vgl. » B. Traditionsbildungen, mit » Abb. Iam en trena / Man siht läuber.
[18] Vgl. dazu zusammenfassend Callsen 2019.
[19] Vgl. Worstbrock 1992.
[20] Stohlmann 1983, Sp. 136.
[21] Texte und Melodien sind ausführlich behandelt in » B. Traditionsbildungen (Reinhard Strohm).
[22] Die Spruchmelodien in der Sterzinger und in der Schratschen Handschrift sind in SPS (Brunner/Hartmann 2010) berücksichtigt. Vgl. zur Handschrift Eghenvelders auch » Kap. Eine studentische Neidhartsammlung aus Wien (Marc Lewon) mit Musikbeispielen.
[23] Haustein/Willms 2021, Nr. 7 und 59.
[24] Vgl. Spechtler 1972; Waechter 2005; zu den Tönen Brunner 2013, S. 184-189. » Kap. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg (Stefan Engels); » Kap. Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (David Murray).
[25] Vgl. Brunner 2021.
[26] Vgl. Brunner 2013, S. 190-193.
[27] Vgl. Brunner 2011.
[28] Kl = Klein 2015
[29] Grundlegend hierzu Schanze 1983.
[30] Gille/Spriewald 1968-1971; dort in Bd. 3/1, S. 474-483, hrsg. von Christoph Petzsch, auch die Melodien; diese (synoptisch) auch in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 6-17.
[31] Vgl. die Übersicht bei Müller 1974, S. 246-267.
[32] Vgl. Schanze 1987, Sp. 349-351.
[33] Schanze 1987, Sp. 351.