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Melker Musikhandschriften

Susana Zapke

Ein Beispiel für die enge Verflechtung der Ausbildungszentren in Bezug auf die Mensurallehre bietet der Melker Codex » A-M Cod. 950 (olim 710):

Bernonis tonarius (fol. 1–14)
Tractatulus quidam de musica (fol. 15–183)
Tropi octo modorum canendi sec. morem monast. Mellicensis (fol. 183–188)
Tractatulus de cantu mensurali (fol. 188–204)
Tractatuli duo de cantu mensurali metrice (fol. 205–221)
Tractatulus metricus de musica (fol. 222–229)
Responsoria, sequentiae, antiphonae etc. cum notatione.[12]

Zeitlich dürfte die Handschrift in die Zeit von Abt Christiannus Eybensteiner von Schirmannsreith (1433–1451) fallen, der sich 1415 an der Wiener Universität immatrikuliert hatte. Dem aktuellen Katalog der Melker Stiftsbibliothek nach sind sämtliche mensurale Lehrtexte zwischen Ende des 14. und Ende des 15. Jahrhunderts datiert. Die Expositiones des Magisters Jacobus Gressing von Fladnitz, Rektor des Collegium civium, im Melker Codex »  A-M Cod. 749 (olim 542) sind möglicherweise um 1450 als Lehrtexte in der Schule von St. Stephan gebraucht worden. So heißt es im Explicit (fol. 376v): „Item illud Psalterium est datum pro latino duobus annis et celebribus festis per magistrum Iacobum de Fladnicz rectorem scole sancti Stephani Wienne scriptum per me Cristiannum Fabri Karinthianum de Gmünd studentem Wiennensem ac finitum in die sancti Martini episcopi et confessoris anno domini 1457“ (Dieses Psalterium ist bestimmt für [den Unterricht in] Latein in zwei Jahren und für die Hochfeste, geschrieben von mir, Christiannus Fabri aus Gmünd in Kärnten, Student in Wien, und abgeschlossen am Tag des Hl. Martin, Bischofs und Bekenners (11.11.) im Jahr 1457).

Diese Koinzidenz ist insofern aufschlussreich, als zur Mitte des 15. Jahrhunderts ein intensiver Austausch von Gelehrten und Lehrschriften zwischen Melk und der Wiener Universität bestand. Bisher konnten ca. 60 Handschriften der Melker Stiftsbibliothek mit dem Lehrbetrieb der Artistenfakultät in Zusammenhang gebracht werden.[13] Auch A-M Cod. 749 verbindet das Kloster Melk mit der Universität: Sowohl der Autor Jacobus von Fladnitz, der 1454/1455 Dekan der Artistenfakultät war, als auch der Schreiber Magister Christian Fabri waren Angehörige der Wiener Universität und des collegium civium.[14] Die mensuralen Gloria-Fragmente in den Vorsatzblättern von A-M Cod. 749 (f. I und I*) stammen nach Reinhard Strohm aus dem Umfeld von St. Stephan.[15]

[12] Edition des in Versform geschriebenen Mensuraltraktates, einschließlich eines mehrstimmigen Stücks auf fol. 209v–210 r: Gallo 1971.

[13] Siehe hierzu Glaßner 2010.

[14] Ich danke Frau Christine Glaßner für ausführliche Information bezüglich A-M Cod. 749.

[15] Strohm 1984Cuthbert 2010; hier beschrieben als „Wiener Codex“, » K. Musikalische Quellenporträts. Die Fragmente waren zuvor (ohne Beziehung zu Wien) erwähnt worden in Staehelin 1974, 238, Anm. 4, und Angerer 1972/1973 (mit Abb.).