Flagellanten oder Geißler
Als Bruderschaften waren auch die Flagellanten organisiert, die seit etwa 1260 von Seuchen, ökonomischen Krisen und eschatologischen Ängsten getrieben, zunächst in Kommunen Mittel- und Oberitaliens, später auch in Mittel-, Ost- und Westeuropa rituelle Selbstgeißelungen in Kirchen und auf Prozessionen praktizierten. Von Geistlichen betreut, hatten sie Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten. Mit ihrem jeweils dreiunddreißigeinhalb Tage dauernden blutigen Ritual sollte die Geißelung Christi vergegenwärtigt und damit ein Aufschub des nahenden Jüngsten Gerichts sowie die Abwendung drohender Gefahren, etwa von Hungersnöten oder Seuchen, erreicht werden. Ihre Umzüge waren von Gebeten und Gesang begleitet, zudem ließen sie einen vom Zorn Gottes berichtenden und zur Buße aufrufenden „Himmelsbrief“ verlesen. Die volkssprachigen Lieder der Geißler (Lauda, Leis, Rufzeile) sind zum Teil erhalten. Vgl. die Notenbeispiele Nu ist diu betfart und Nu tret herzuo:
Kritik am kirchlichen Monopol der Heilsvermittlung, etwa durch Ansprüche auf Laienpredigt und -beichte, nicht etwa ihre masochistisch anmutenden Praktiken, brachte sie in Häresieverdacht, was entsprechende Repressalien und Verbote zur Folge hatte. Die immer wieder aufflackernde Bewegung hatte auch in Tirol ihre Anhänger: Geißler sind in Bozen, Innichen und Sillian sowie in ladinisch bewohnten Gebieten, etwa Buchenstein und Cortina d’Ampezzo, als Bruderschaften bei Prozessionen nachweisbar.[26]
[26] Hochenegg 1984, 226–227.
[1] Schreiner 1992b, 1–13.
[2] Schreiner 1992b, 13–26; 27–41.
[3] Machilek 1992, 157–189.
[5] Rubin 1992, 309–318.
[6] Hofmeister-Winter 2001, 347–350, fol. 131v–132v.
[7] Ein Fronleichnamsspiel steht in der „Neustifter-Innsbrucker Spielhandschrift“ des Augustiner-Chorherrenstifts Neustift (» A-Iu Cod. 960, fol. 51r–59r); vgl. Thurnher/Neuhauser 1975. Allerdings wurde diese aus Thüringen stammende Handschrift in Tirol nicht praktisch verwendet.
[8] Brückner 1992, 18.
[9] Hofmeister-Winter 2001, 317, fol. 115v.
[10] Hofmeister-Winter 2001, 319, fol. 117r. Diese wohl realistische Befürchtung hat inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem Salzburger Spottlied „Die Pinzgauer wollten wallfahrten gehn; sie täten gerne singen, sie konntens nit gar schön“ (um 1800 entstanden).
[11] Hofmeister-Winter 2001, 317, fol. 116r.
[12] Hofmeister-Winter 2001, 304–311, fol. 109r–112v.
[13] Hofmeister-Winter 2001, 309, fol. 111v/112r.
[14] Hofmeister-Winter 2001, S. 307, fol. 110v.
[16] Stürz 1978, 43–60.
[17] Ohler 1986, 282–298.
[18] Schwob 2007, 66–68.
[19] Schwob/Schwob 1999-2013, Nr. 233.
[20] Schwob 2009, 17–28.
[21] Schwob/Schwob 1999–2013, Nr. 163.
[22] Schwob/Schwob 1999–2013, Nr. 377.
[23] Hochenegg 1984, Listen, passim.
[24] Bestände im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Südtiroler Landesarchiv Bozen, Diözesanarchiv Brixen.
[25] Schwob 1989, 291–326.
[26] Hochenegg 1984, 226–227.
[27] Pfarr- und Dekanatsarchiv Bruneck, Or. Perg. Urk. 1431 Oktober 2.
[28] Sinnacher 1830, 486–487.
[29] Angenendt 1997, 77–79.
[30] Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 32040.
[31] Wielander 1959, 3–88, Zitate; 86, 3.
[32] Bibliothek des Priesterseminars Brixen, Cod. F/5 (149).
[33] Spicker 2007, 86–118.
[34] Andergassen 2011, 77–79.