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Bürgerliche und bäuerliche Ausprägungen mittelalterlicher Frömmigkeit

Ute Monika Schwob

Christlicher Offenbarungsglaube richtete sich an alle, aber so wie der Klerus sich von der Massenreligiosität der Ungebildeten abheben wollte und der Adel repräsentative Formen der Pflege und Verteidigung christlicher Werte bevorzugte, haben auch die Bürger und Bauern städtischer und ländlicher Gemeinden ihre gruppen- und schichtenbedingten Ausprägungen des Frommseins entwickelt. Dabei machte es sich mancher Kleriker zu leicht, wenn er dem „Volk“ mangelhafte gedankliche Aneignung und fehlende spirituelle Durchdringung der Religion unterstellte, wenn er Simplifizierung des Heiligen, unreflektiertes Brauchtum, abergläubische Praktiken und allzu einseitiges Bedachtsein auf lebenspraktische Hilfe kritisierte. Dass die ländliche und städtische arbeitende Bevölkerung Anliegen wie Gesundheit, Fortpflanzung, Ernteertrag, Schutz der Haustiere, vor Umweltkatastrophen oder Verhexung stärker betonte als die sozialen Oberschichten, ergab sich aus ihren realen Lebensumständen. Andererseits machte die Bevölkerungsdichte der Stadt den von der Kirche gewünschten massenhaften Besuch der Gottesdienste und den nicht immer und überall willkommen geheißenen Massenzulauf zu Wanderpredigern möglich. Die unzulängliche seelsorgliche Betreuung von Bewohnern abgelegener Täler verursachte keine Gleichgültigkeit gegenüber der christlichen Religion, sondern veranlasste Dorfgemeinschaften zu großen Anstrengungen, Kapellen und Kirchen zu erbauen, diese ausschmücken zu lassen und für sie Frühmessner, wenn nicht sogar eigene Kapläne zu erbitten. Dass sie dann oft mit schlecht ausgebildeten, unterbezahlten Hilfspriestern abgefertigt wurden, die ihnen keine religiöse Weiterbildung verschaffen konnten, hat ihrer Frömmigkeit nicht unbedingt Abbruch getan.

Urbane Frömmigkeit war in hohem Maß vom Zuhören und Schauen bestimmt: Städter hörten und sahen Glockengeläut, liturgische Bräuche und geistliche Spiele. Sie waren fasziniert von den Predigten der Bettelmönche. Sie erschienen in großen Mengen bei Heiltumsweisungen, dem feierlichen Vorzeigen von Reliquien, für die Beschauer meistens mit einem Ablass von Sündenstrafen verbunden. Sie nahmen eifrig an Prozessionen, Kirchfahrten, Wallfahrten und Begräbnissen teil. Eher als Auswuchs dieser Schaufrömmigkeit verursachte der im Spätmittelalter verbreitete Wunsch, die erhobene Hostie anzusehen, regelrechte Dauerläufe von Laien von einer Kirche zur nächsten, um jeweils den Akt der Wandlung und Elevation mitzuerleben. Aus der verstärkten Verehrung der Eucharistie entwickelten sich im 13. und 14. Jahrhundert ritualisierte Prozessionen und mit ihnen das Fronleichnamsfest als fester Bestandteil des Kirchenjahres.

Allerdings wurde schon damals erkannt und oft überbetont, dass nicht alle Menschen gleichermaßen an der allgemeinen Frömmigkeit teilnahmen. Vor allem gab es enge Zusammenhänge zwischen christlicher Frömmigkeit und Judenfeindlichkeit (» J. Judenhass). Eine karikierende Darstellung des berühmten Predigers Berthold von Regensburg (13. Jahrhundert) hebt hervor, dass vor allem Juden, durch Einfluss des Teufels, sich gegenüber dem geistlichen Wort taub stellten: Während Berthold die Predigt mit den Worten „Nu merkcht auf“ beginnt, hält sich die Person links mit dem jüdischen Spitzhut, auf dem ein Teufelchen gelandet ist, bereits die Ohren zu. Satirisch gemeint ist wohl auch die Szene links im Hintergrund (Vertreibung einer falschen Nonne aus dem Kloster?).