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Klerikale Abgrenzungsargumente

Ute Monika Schwob

Eine Grenzlinie zwischen der Laienfrömmigkeit und der „Devotion“ der Geistlichen zu ziehen, ist schwer möglich, da die Geistlichen sich weithin selbst an der Frömmigkeitspraxis der Laien beteiligten.[1] Wohl aber gab es Theologen, die darauf bedacht waren, ihre intellektuell ausgeübte, oft scholastische, spekulative, schriftlich fixierte devotio von der praktisch orientierten Frömmigkeit der gemeinen Laien zu unterscheiden. Sie beriefen sich auf die alte Ordnung „hier clerici litterati, dort laici illiterati“ als Argument klerikaler Selbstbehauptung. Geistliche wollten lenken, lehren, auswählen, was Laien erfahren durften. Wenn Kleriker vor Laien von Heiligen sprachen, erzählten sie aus deren Leben, betonten deren zur Nachahmung verpflichtenden Tugenden und berichteten über deren Wundertaten. Hielten sie eine gelehrte Predigt vor ihresgleichen, ging es eher um abstrakte Schlussfolgerungen oder Hinweise auf entsprechende Bibelstellen. Theologisch schwierige Sachverhalte sollten den Laien nicht vorgetragen werden, weil man der Ansicht war, dass dies bei jenen zu Missverständnissen, wenn nicht häretischen Ansichten führen könnte. Viele Theologen hielten Laien für unfähig, Abstraktes zu begreifen, weshalb sie auf Bilder und Gleichnisse auswichen. Selbst manche Bibeltexte galten als unverständlich für Laien, besonders die Bücher des Alten Testaments und die Apokalypse; deshalb wurden Laien vor dem Lesen und erst recht vor selbständiger Auslegung des Gelesenen gewarnt. Ungebildete sollten religiös passive Rezipienten bleiben, sie sollten glauben, was sie nicht verstanden, sollten zuhören, beten, höchstens meditieren.

Die von Theologen und Kanonisten entworfene Theorie, der zufolge klerikale Gelehrtenfrömmigkeit und volkstümliche Laienfrömmigkeit grundverschieden seien, verlor im Lauf des Spätmittelalters, als immer mehr Laien lesefähig wurden, an Geltung. Zwar wurde sie von manchen Klerikern fortgeschrieben, diente aber nur mehr deren Abgrenzungsbedürfnis und Autoritätsanspruch. Sobald Lese- und Schreibkompetenz kein Standeskriterium mehr waren, wandten sich flexible Verfasser religiöser Bücher, insbesondere katechetischer Traktate, erbaulicher Überlegungen, moralischer Predigten oder mystischer Betrachtungen, an religiös Interessierte allgemein.[2] Frömmigkeitstheologen beschäftigten sich bewusst intensiv mit der Frömmigkeit des Volkes. Erst diese langsame Auflösung von bis dahin selbstverständlichen Grenzen zwischen Klerus und Laien ermöglichte autonome Laieninitiativen und selbstbestimmte Formen der Laienfrömmigkeit.

[1] Schreiner 1992b, 1–13.

[2] Schreiner 1992b, 13–26; 27–41.