Osterfeier im Kloster
Einleitung
Ostern ist das zentrale Fest im Jahreskreis der christlichen gottesdienstlichen Feiern. Schon seit jeher wurde es mit besonderen Riten, Gebeten, Gesängen und Traditionen ausgeschmückt. Diese sollten Ereignisse aus dem Leben Jesu nach den Berichten der Evangelien, etwa das Passionsgeschehen, an bestimmten symbolischen Orten (z. B. ein Hügel als Symbol für den Ölberg) und durch bestimmte symbolische Handlungen (z. B. Verwahren des Kreuzes in einem Behälter als „Grab Christi“) sowie durch allegorische Interpretationen der liturgischen Texte und Riten vergegenwärtigen. Neben den ursprünglichen im Gottesdienst verwendeten Gesängen des Gregorianischen Chorals entstanden neue Antiphonen, Responsorien, Hymnen und Gesänge in der Landessprache. Als Beispiele wählen wir drei klösterliche Gemeinschaften: das Domstift in Salzburg, das Augustinerchorherrenstift Seckau und das Benediktinerstift St. Lambrecht.
Herkunft und Quellen
Das Salzburger Domkapitel wurde 1122/1123 in ein Augustinerchorherrenstift umgewandelt und blieb dies das ganze Mittelalter hindurch bis zum Jahre 1514. Der Dom war also zugleich Kathedralkirche und Klosterkirche. Die wichtigste Quelle für die Liturgie des Domstiftes, die auch für die Erzdiözese bestimmend wurde, ist der Liber Ordinarius » A-Su M II 6, entstanden nach 1181.[1] Als Vergleich dient uns ein gedrucktes » Breviarium Salisburgense (Brevier der Diözese Salzburg) vom Ende des 15. Jahrhunderts.[2] Das Augustinerchorherrenstift Seckau wurde 1140 gegründet und von Salzburg aus besiedelt.[3] Die Liturgie wurde in einem Liber Ordinarius im Jahre 1345, » A-Gu Cod. 756, aufgezeichnet.[4] Aus dem Benediktinerstift St. Lambrecht sind drei Libri Ordinarii überliefert: » A-Gu Cod. 798 (beginnendes 13. Jh.), » A-Gu Cod. 193 (1. Hälfte des 14. Jh.) und » A-Gu Cod. 722 (Mitte 14. Jh.). Dazu kommt ein zweibändiges Antiphonale in Quadratnotation, » A-Gu Cod. 29 und » A-Gu Cod. 30, geschrieben vor 1347. [5] Die Abtei St. Lambrecht wurde 1076/1077 gegründet und nahm unter allen Klöstern der Erzdiözese Salzburgs eine Sonderstellung ein. Der Abt wurde vom Papst selbst bestätigt und verfügte über eine quasiepiskopale Jurisdiktion in seinen inkorporierten Pfarren und Besitzungen.[6]
Die Prozessionen
Eine liturgische Feier im Mittelalter bestand im Wesentlichen aus einer Absolvierung von vorgeschriebenen Riten, von denen nicht abgewichen werden durfte. In Kloster- und Kathedralkirchen war der Chorraum vom übrigen Kirchenraum durch einen Lettner, eine Chorschranke aus Holz oder Stein, ähnlich der Ikonostase einer byzantinischen Kirche, abgetrennt. Die Laien feierten ihre Gottesdienste vor dem Lettner an einem eigenen Altar, dem sogenannten Kreuzaltar. Freiräume für die liturgische Gestaltung und eine Teilnahme der Laien ergaben sich bei Prozessionen, wenn der Klerus den Chorraum verließ. Ihr Ritus wurde erst durch Kodifizierung und Normierung ab dem 12. Jh. in Ritualia, Antiphonalia, Brevieren und natürlich auch in eigenen Processionalia selbst wieder zur liturgischen Norm. Sie sind dadurch integrierter Teil einer Liturgie geworden und lassen sich von dieser nicht mehr trennen. Der Ritus der Karwoche wird von solchen Prozessionen mit Beteiligung der Laien („populus“ – das Volk) charakterisiert, die je nach örtlichen Gegebenheiten und Traditionen abgewandelt werden können.
Palmsonntag
Die Karwoche wird mit dem Palmsonntag eingeleitet. Die traditionelle Prozession an diesem Tag soll an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnern. Alle Kleriker und Konvente nahmen daran teil, auch diejenigen der Nonnenklöster, die eigentlich in strenger Klausur lebten. Man versammelte sich in einer nahegelegenen Kirche oder Kapelle, die sich meist an einem höher gelegenen Ort befand und den Ölberg bei Jerusalem symbolisieren sollte und wo in einer eigenen liturgischen Feier, die formal an eine Messe erinnert, die Palmzweige geweiht wurden. Im Anschluss an diese Feier zog man unter dem Gesang von feierlich auskomponierten Antiphonen in einer Prozession in die Hauptkirche. Auf dem Weg dorthin wurde die Prozession bei einer sogenannten „Statio“[7] unterbrochen. An dieser Stelle stand ein verhülltes Kreuz, welches, ähnlich wie am Karfreitag, enthüllt und mit besonderen Riten verehrt wurde. Für die mittelalterliche Grundhaltung ist es bezeichnend, dass Christus in dieser ausdeutenden Prozession, die man als eine Art Mysterienspiel bezeichnen kann, als Gekreuzigter in die Stadt einzog und nicht, wie wir es erwarten würden, auf einem Esel sitzend. Jerusalem, so ist gemeint, das sind wir, das ist jetzt. Der Gekreuzigte kommt in diesem Augenblick in unsere Stadt, um uns zu erlösen, so wie er auch damals in Jerusalem eingezogen ist. Besonders interessant ist die während der Statio vorgetragene und ausgestaltete Antiphon Scriptum est enim.
Die dramatische Ausgestaltung einer Antiphon
Das Beispiel zeigt, wie eine ursprünglich von der Schola vorgetragene Antiphon zum Magnificat zum Vespergottesdienst am Palmsonntag während der Statio zur Prozession in den Ritus eingebaut und dramatisch ausgeformt wurde:
Der Bischof (oder zelebrierende Priester) tritt vor und wirft sich vor dem Kreuz nieder.
Chor: Der >Archidiakon< schlägt den Bischof leicht mit einem (Palm-)zweig.
Scriptum est enim: percutiam pastorem et dispergentur oves gregis.
Denn es steht geschrieben: Ich werde den Hirten schlagen und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.
Bischof: Der Bischof erhebt sich.
Postquam autem surrexero, praecedam vos in Galileam.
Wenn ich aber auferstanden bin, werde ich euch nach Galiläa vorangehen.
Chor:
Ibi me videbitis, dicit Dominus.
Dort werdet ihr mich sehen, spricht der Herr.Danach setzte sich die Prozession von der Statio wieder in Richtung Hauptkirche in Bewegung. An dieser Stelle oder mancherorts am Schluss der Prozession war der Hymnus Gloria, laus et honor des Theodulf von Orléans (750/60 bis ca. 821) vorgesehen, wobei in Seckau das Volk mit der deutschen Übertragung der vierten Strophe des Hymnus antwortete.[8] Leider ist nur der Text, nicht aber die Melodie dazu überliefert. Der Höhepunkt der anschließenden Messe war der Vortrag der Matthäuspassion nach eigenen Melodiemodellen.
Die Finstermette an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag
Der liturgische Tag begann in der Fastenzeit am Vorabend mit der Morgenhore, der vereinigten Matutin und Laudes. Es folgten am nächsten Tag in der Früh die kleinen Horen Prim, Terz, Sext und Non, die Messe und zur Mittagszeit die Vesper. Die Morgenhore an den drei Kartagen (Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag) hieß „Finstermette“ (tenebrae).[9] Die Kirche wurde von einem dreieckigen Leuchterrechen, dem Triangulum, mit 25 (24 + 1) Kerzen erleuchtet. Nach jedem Psalm, jeder Lektion und jedem Responsorium wurde eine Kerze gelöscht, so dass der Kirchenraum immer finsterer wurde. Am Schluss blieb eine einzelne Kerze übrig, die, etwa hinter dem Altar, verborgen und erst am Schluss des Gottesdienstes wieder hervorgebracht wurde. Nach der mittelalterlichen Symbolik bezeichnete dies den Abfall der Jünger von Christus, seinen Tod und seine Auferstehung. Das Klopfen, mit dem man das Ende der Gebetszeit signalisierte, wurde zum Symbol für das Erdbeben beim Tode Christi umgedeutet („Pumpermette“). Die drei Lesungen der ersten Nokturn der Matutin an diesen drei Tagen sind den Lamentationen des Jeremias entnommen und wurden in eigenen lokal überlieferten Melodien gesungen.
Die Gesänge am Ende der Finstermette
Der Abschluss des Morgengottesdienstes hatte ein eigenes Gepräge.[10] Er bestand aus einer Art Kyrielitanei, in der Regel im Wechsel zwischen Klerus und Volk gesungen, verbunden mit dem im Mittelalter dem hl. Gregor zugeschriebenen Hymnus Rex Christe factor omnium. Die Gemeinde antwortete mit Kyrierufen. In Seckau und St. Lambrecht kamen dabei auch deutsche Liedstrophen zum Einsatz.[11] In Seckau gab es neben den üblichen Kyrierufen, die auf jede Strophe des Rex Christe folgten, als Alternative (aliter) am Gründonnerstag folgende Ordnung: Der Chor sang den lateinischen Hymnus, das Volk antwortete nach jeder der sechs lateinischen Strophen mit einer entsprechenden Strophe in deutscher Paraphrasierung (Chuonisch schepfeer aller dester ist…). Am Karfreitag antwortete das Volk nach jeder lateinischen Strophe mit einer einzigen Liedstrophe (Der des himels und der erde geweltisch ist…). In St. Lambrecht bot das Antiphonale » A-Gu Cod. 29, fol. 154r–155v, eine ähnliche Alternative. Das Volk sang zu den einzelnen Strophen des Hymnus Rex Christe das deutsche Lied Christ schepfer alles des da ist, eine Paraphrase des Prozessionshymnus, die Gundakar von Judenburg (13. Jh.) zugeschrieben wird.[12] Der deutsche Hymnus hat insgesamt sechs Strophen und eine Abschlussstrophe.[13] Nach der ersten Strophe fügten zwei Knaben die lateinische Refrainstrophe Laus tibi Christe mit einem fünffachen Kyrie-/Christe eleyson-Ruf ein. Diese Strophe entstand nach Walther Lipphardt als Antwort auf die lateinischen Strophen zunächst in deutscher Sprache[14] und wurde von einem böhmischen Autor ins Lateinische übertragen. Sie war als Refrain für alle Anwesenden gedacht und wurde nach jeder Strophe von Rex Christe angestimmt. Der Mönch von Salzburg schrieb nun seinerseits zu beiden Fassungen zwei deutsche Gesänge. Der eine, Kunig Christe,[15] ist eine geschickte deutsche Übertragung von Rex Christe, der andere, Eia der grossen Liebe,[16] eine Dichtung über die Passion Christi auf die Melodie von Laus tibi Christe, die zu dieser Refrainstrophe gesungen wurde, wie die Mondsee-Wiener Liederhandschrift bezeugt[17]: „Zu dem Laus tibi Christe in der vinster metten“. (» Hörbsp. ♫ Eia der großen Liebe)
Ob mit dem Abschlussritus der Finstermette tatsächlich immer eine Prozession verbunden war, lässt sich nicht eindeutig beantworten. An einigen Orten der Salzburger Kirchenprovinz wird eine Prozession erwähnt,[18] nicht jedoch in den Libri ordinarii von Salzburg, Seckau oder St. Lambrecht. Der Schreiber von » D-Mbs Cgm. 715 geht von einer solchen Prozession aus, wenn er zum Kunig Christe des Mönchs von Salzburg auf fol. 2v schreibt: „Rex christe factor omnium den ympnum list oder singt czw den finstern metten so man vmb die kirchen get vnd das laus tibi Christe singet.“ Im zweiten Band der Libri agendorum, ein zweibändiges, 1575 bei Sebaldus Mayer in Dillingen gedrucktes » Salzburger Rituale, heißt es nach der Kyrielitanei: „… et fit trina processio per circuitum Ecclesiae“ (…und es erfolgt eine dreifache Prozession rings um die Kirche).
Zur Antiphon zum Benedictus wurden die Tabulae (Holzbretter als Ersatz für die Glocken, die bis zum Gloria der Messe am Karsamstag – der heutigen Osternachtsfeier – zu schweigen hatten) geschlagen. Das Benedictus wurde im Dunkeln gesungen. Den täglichen Gesang zur Laudes kannte man auswendig. Nach der Wiederholung der Benedictusantiphon wurden erneut die Tabuale geschlagen.
Klerus: Kyrieleyson, Populus: Christeleyson, Klerus: Kyrieleyson.
oder: Klerus: Kyrieleyson, Populus: Kyrieleyson, Klerus: Christe eleyson, Populus: Christe eleyson, Klerus: Kyrieleyson, Populus: Kyrieleyson.[19]
Cantores: Iesu Christe qui passurus aduenisti propter nos,
Chorus: Domine miserere nobis. Christus Dominus factus est obediens usque ad mortem.
Klerus: Kyrieleyson, Populus: Christeleyson, Klerus: Kyrieleyson.
Cantores: Qui prophetice promisisti: ero mors tua o mors
Chorus: Domine miserere….
Klerus: Kyrieleyson, Populus: Christeleyson, Klerus: Kyrieleyson.
Cantores: Qui expansis in cruce manibus, traxisti omnia ad te secula
Chorus: Domine miserere…
wie oben: Kyrieleyson, Kyrieleyson, Kyrieleyson / Christeleyson, Christeleyson, Christeleyson /
Kyrieleyson, Kyrieleyson, Kyrieleyson.[20]
Herr erbarme Dich, Christus erbarme Dich, Herr erbarme Dich.
Jesus Christus, Du bist gekommen, um für uns zu leiden:
Herr erbarme dich. Christus ist für uns gehorsam geworden bis zum Tod.
Du hast prophetisch geweissagt: Ich bin dein Tod, o Tod.
Am Kreuz mit Deinen ausgestreckten Armen ziehst Du die ganze Welt an Dich: Herr erbarme Dich …Der Prozessionshymnus Rex Christe factor omnium
Nach jeder Strophe des Hymnus Rex Christe factor omnium antwortete der Populus mit dem Ruf: Kyrieleyson, Christeleyson, Kyrieleyson.[21] Bei der letzten Strophe des Hymnus trug der Kirchenkustos die bis dahin verborgene brennende Kerze in die Mitte der Kleriker, während der Hymnus zu Ende gesungen wurde. Danach warf sich der Klerus zu Boden und betete still ein Vaterunser. Darauf folgte der Psalm 50 Miserere mei Deus.[22] Zum Abschluss der Feier wurde nochmals das Versikel Christus factus est rezitiert. Danach zog der Klerus aus der Kirche.[23]
Gründonnerstag
Die Messe am Gründonnerstag erinnert an die Einsetzung der Eucharistie beim letzten Abendmahl. Im Evangelium nach Johannes wird erzählt, dass Jesus an diesem Abend seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. In Erinnerung daran tut dies der Bischof bzw. der Klostervorsteher stellvertretend zunächst an Bedürftigen im Kreuzgang (Mandatum pauperum), später im Rahmen der Gemeinschaft meist im Refektorium (Mandatum fratrum).[24]
Karfreitag
Nach alter Tradition findet am Karfreitag, einem strengen Fastentag, keine Messfeier statt. Stattdessen gibt es einen Wortgottesdienst mit der Johannespassion und den großen Fürbitten sowie die feierliche Kreuzverehrung, in deren Verlauf ein verhülltes Kreuz in einer Prozession herbeigebracht, enthüllt und verehrt wird. An einigen Orten (z. B. Regensburg, Moosburg) konnte während der Kreuzverehrung eine „Marienklage“ (Planctus Mariae) eingefügt werden „si placet“ – „wenn es gewünscht wird“[25], ein dialogartiger Gesang zwischen zwei Klerikern oder Chorknaben, welche Maria und Johannes darstellten. Der auffallende Ausdruck „si placet“ zeigt, dass der Planctus ursprünglich nicht zur Karfreitagsliturgie gehörte, sondern als spätere, jedoch wichtige Einfügung in die Liturgie zu sehen ist. In der Tat handelt es sich hier wie bei der visitatio um ein echtes liturgisches Spiel: Die „duo scolares“ kommen „sub typus Beate Virginis et Sancte Johannis“ und spielen eine vergangene Situation nach. Durch die Erwähnung in einem liturgischen Buch erhält der Planctus zudem einen offiziellen Charakter.
Große Marienklagen konnten auch außerhalb der Liturgie stattfinden. Die bekannteste findet sich in der Sammelhandschrift (Cantionale) » D-Mbs Cgm 716 vom 3. Drittel des 15. Jahrhunderts aus Tegernsee.[26] Diese sogenannte Münchener Marienklage ist die einzige, die durchgesungen ohne eingefügte Sprechabschnitte notiert ist und in welcher nur eine Person, nämlich Maria selbst, singt. In den anderen Quellen gibt es Dialoge zwischen Maria und Johannes, in sechs der deutschen Klagen auch eine Rolle für Christus.[27] Wann und wo diese Marienklage gesungen wurde ist allerdings unklar. Ein Element der offiziellen liturgischen Feier war sie jedenfalls nicht.
Depositio crucis
Ergänzt wird die Liturgie der Kartage durch drei Prozessionen, die gleichsam eine durchgehende Handlung bieten: Nimmt man nämlich die einzelnen Teile dieser Prozessionen für sich allein und fügt sie zusammen, bilden sie miteinander ein eigenes Spielgeschehen. Die erste ist die depositio crucis (eine symbolische Grablegung Christi).
Am Ende des Karfreitagsgottesdienstes trägt man das Kreuz, das vorher in der Liturgie von allen verehrt worden ist, an einen als sepulchrum bezeichneten Aufbewahrungsort. Es wird mit Leinentüchern und mit einem „Schweißtuch“ bedeckt und das Grab wird verschlossen. Das Heilige Grab aus Holz war meist eine Nachbildung des Heiligen Grabes in Jerusalem, das man aus Wallfahrten ins Heilige Land kannte. Das Kreuz konnte zu diesem Zweck zusammenklappbare Arme haben. Im späteren Mittelalter wurde es üblich mit oder anstelle des Kreuzes das Allerheiligste, also die konsekrierte Hostie, im Heiligen Grab aufzubewahren.
Karsamstag
Die ursprünglich in der Osternacht gefeierte Auferstehung Christi wurde im Lauf des Mittelalters auf den Vormittag des Karsamstags vorgezogen. Am bereits am Gründonnertag geweihten Feuer wurde eine Kerze an einem Stab entzündet und in einer Prozession in die Kirche getragen. Dabei erklang der Hymnus Inventor rutili des Prudentius († um 405), zu welchem der Mönch von Salzburg eine deutsche Übertragung verfasst hat.[28] In der Kirche wurde die Osterkerze entzündet. Der Diakon trug von einem Ambo aus das feierliche Exsultet vor, einen präfationsartigen Lobgesang auf die Osterkerze.
Elevatio crucis und Visitatio sepulchri
Am frühen Morgen des Ostersonntags nahm ein Priester noch vor Ankunft der Kleriker bzw. des Mönchskonventes das Kreuz unter dem Gesang passender Psalmen aus dem Heiligen Grab und trug es zum Chor – ein Symbol für die Auferstehung Christi in der Stille der Nacht (elevatio crucis). Dann erst erschienen die Mönche bzw. Kleriker in der Kirche und sangen die Matutin bis zum Te Deum. Es bildete sich eine Prozession zum Heiligen Grab: Es war „leer“! Nun folgte ein außergewöhnliches Phänomen, das sich in der gesamten mittelalterlichen abendländischen Liturgie findet, die visitatio sepulchri, der Besuch der Frauen am Grab. Es handelt sich um ein echtes liturgisches Spiel, das sich von den symbolischen Handlungen und ausdeutenden Riten klar unterscheidet. Die Kleriker (im österreichischen Raum in der Regel Diakone), welche die drei Marien, den Engel und die beiden Apostel Petrus und Johannes darstellten, wurden zu echten Schauspielern. Die liturgischen Handschriften sprechen nicht mehr von diaconi, sondern von den tres mulieres, dem angelus etc. Die liturgischen Gewänder und Geräte wurden zu Requisiten: Die weiten Rauchmäntel sollten die Frauenkleider darstellen, das liturgische weiße Untergewand, die Albe, wurde zum weißen Kleid des Engels und die Weihrauchgefäße stellten die Salbengefäße dar. Schließlich änderte sich die dargestellte Zeit. Liturgische Zeremonien vollziehen stets Gegenwärtiges (die depositio crucis erfolgt im „Jetzt“ durch den Zelebranten gleichsam als Erinnerung an und Meditation über die Grablegung Christi). Bei einem Spiel hingegen wird im Gegensatz dazu ein Geschehen aus der Vergangenheit nachgespielt.[29] Bei der visitatio sepulchri ist es der Besuch der Frauen am Grab Christi am Morgen des Ostertags, wie er sich damals nach den Berichten in den Evangelien abgespielt hat. Im süddeutschen Raum wurde in der Regel der so genannte Typ II verwendet. Er besteht aus dem Dialog des Engels mit den Frauen und dem anschließenden Wettlauf der Apostel Petrus und Paulus zum Grab. Den Abschluss bildete das vom Volk gesungene Christ ist erstanden, ein Osterlied, das um die Mitte des 12. Jahrhunderts, wahrscheinlich in der Passauer Diözese, zum ersten Mal dokumentiert ist.
Die Osterprozession
Der Höhepunkt der Osterfeierlichkeiten war das Osterhochamt. Es begann mit einer feierlichen Prozession durch die Kirche. Hier erklang eine der dramatischsten Prozessionsantiphonen, nämlich Cum rex glorie, die Christi Sieg über die Unterwelt beschreibt. (» Hörbsp. ♫ Cum rex glorie) Ein weiteres wichtiges Element ist der Hymnus Salve festa dies. Auf diesen antwortete das Volk in Seckau mit einer deutschen Paraphrase über die erste Strophe.[30]
Die Antiphon Cum rex glorie endet mit einem langen Allelujamelisma. (» Hörbsp. ♫ Cum rex glorie) Dieses wird in den Libri agendorum von 1575 von einem syllabischen Gesang (Alle Dei filius) gefolgt, der zunächst in keinem Zusammenhang mit dem vorigen Stück zu stehen scheint. (» Hörbsp. ♫ Alle Dei filius)
In Wirklichkeit handelt es sich aber bei dem syllabischen Stück um einen Tropus, eine hinzuerfundene Gegenstimme zum Allelujamelisma.[31]
Das Stück entpuppt sich als der mehrstimmige Tropus Triumphat Dei filius zu diesem Melisma, der auch in anderen Handschriften überliefert ist, zum Beispiel in Melk, » A-M Cod. 950, fol. 246v–247r.[32]
Die Vesper an Ostern
Die Vesper des Ostersonntags, die auch in Salzburg im Mittelalter während der ganzen Osteroktav bis zum Weißen Sonntag gefeiert wurde, hat sich aus der spätantiken Ostervesper in der Lateranbasilika in Rom entwickelt, in deren Verlauf man zum Baptisterium zog, um der Tauffeier in der vergangenen Osternacht zu gedenken. Im Mittelalter ahmte man diese Feier im eigenen Kirchenraum, der mit seinen zahlreichen Nebenaltären die Stadt Rom mit ihren vielen Kirchen symbolisieren sollte, nach. Der Taufbrunnen vertrat das Baptisterium. In Kathedralkirchen und Pfarrkirchen war daher die Vesper mit einer Prozession zum Taufbrunnen verbunden.[33] Dort sang man an dieser Stelle an vielen Orten die Ostersequenz Victimae paschali laudes, die mit dem Osterlied Christ ist erstanden verbunden wurde.
Kulturelle Eigenleistung in der Liturgie
Als kulturelle Eigenleistung in der Liturgie können nicht nur eigenständige Kompositionen wie Hymnen, Sequenzen, Tropen, Cantionen oder deutsche Lieder gelten. Liturgischer Gesang ist, ähnlich dem Text eines musikdramatischen Werkes, nur ein Ausschnitt eines Ganzen im Rahmen der Gestaltung eines Gottesdienstes. Dieses Integriert-Sein umfasst nicht nur den Text und seine musikalische Gestalt, sondern auch seinen Kontext in der Liturgie selbst und seine Ausführung. Die Ausformung und individuelle Gestaltung eines liturgischen Ablaufes, wie wir sie in liturgischen Büchern finden, vor allem in den Libri Ordinarii ab dem 12. Jahrhundert mit ihrer damals auf lange Zeit endgültig festgelegten Gottesdienstordnung, also mit ihrer offiziellen Ordnung und Abfolge von Riten, Gebeten und Gesängen in der Messe und im Offizium für jeden Tag des Jahres, ist ebenso als kulturelle Eigenleistung zu betrachten wie die Art der musikalischen Ausführung selbst.
[1] Zu Aufbau und Inhalt der Handschrift siehe Praßl 1998.
[3] 1782 wurde das Stift aufgehoben und ist seit 1883 eine Benediktinerabtei.
[4] Ediert von Behrendt 2009. Der Codex ist aufgrund des angefügten Liber Cantionarius bekannt (» A. Gesänge zu Weihnachten).
[5] Zu dem Handschriftenbestand siehe Engels 2012.
[6] Das Stift St. Lambrecht war seit 1503 auch Besitzer der nahegelegenen Burg Stein („Steinschloss“), die im Mittelalter der Familie Liechtenstein gehörte (heute Ruine).
[7] Eine Statio ist eine „Station“, ein Haltepunkt bei einer Prozession, so wie heute noch bei den vier Altären an Fronleichnam.
[8] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 424–425, Bd. 2, 118.
[9] Das Wort „Mette“ hat nichts mit „Messe“ zu tun, sondern ist das deutsche Wort für „Matutin“. Zu Weihnachten sang man die Matutin vor der Mitternachtsmesse, was zu einer Gleichsetzung der ähnlich klingenden Wörter „Messe“ und „Mette“ geführt hat.
[10] Nach dem Salzburger Liber Ordinarius A-Su M II 6, fol. 61rb–62va; » Breviarium Salisburgense 1497, fol. 111vb-112ra; A-Gu Ms. 756, fol. 80va–81rb.
[11] Genauere Untersuchungen und weitere Beispiele finden sich bei Janota 1968 und Lipphardt 1961.
[12] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 427–428; Engels 2012; Knapp 1999, 386.
[13] Die Ordnung ist abgedruckt bei Janota 1968, 158.
[14] Lipphardt 1961, 99 vermutet Gelobet seist du, Christe.
[15] G 27. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[16] G 24. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[17] A-Wn Cod. 2856, fol. 224r.
[18] Z. B. in Innichen/San Candido im Liber Processionalis I-SCAcc Ms. VIII B 5 aus dem Jahre 1616.
[20] » Breviarium Salisburgense 1497: zweifach abwechselnd wie oben.
[21] A-Gu Cod. 756: Der Hymnus wurde vom Prälaten angestimmt.
[22] Dies ist der Moment in der Liturgie, bei welchem in der päpstlichen Kapelle in Rom seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Vertonung des Miserere von Gregorio Allegri erklang, die später von W. A. Mozart aus dem Gehör notiert werden sollte.
[23] In Seckau setzte der Populus mit den Kyrierufen fort.
[24] Die Bezeichnung „Mandatum“ rührt aus dem Johannesevangelium (Jo. 13,34) – „Mandatum novum do vobis“ (Ein neues Gebot gebe ich euch) – her. Der Text erklingt auch als Antiphon während der Fußwaschung.
[25] D-Mbs Clm. 26947, Ordinarium aus Regensburg, 15.Jh. Siehe Lipphardt 1976, Nr. 684.
[26] Vgl. Engels 2014.
[27] Vgl. Taubert 1975, 616–617.
[28] Schepher und weiser pist G 26. (Siehe » B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[29] Ausführlicher bei Engels 2014.
[30] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 2, 132.
[31] Vgl. Engels 1996.
[32] Vgl. Fischer 1972, 91.
[33] Vgl. zur Liturgie auch Engels 1993.
Empfohlene Zitierweise:
Engels, Stefan: „Osterfeier im Kloster“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich, <https://musical-life.net/essays/osterfeier-im-kloster> (2016).