Elevatio crucis und Visitatio sepulchri
Am frühen Morgen des Ostersonntags nahm ein Priester noch vor Ankunft der Kleriker bzw. des Mönchskonventes das Kreuz unter dem Gesang passender Psalmen aus dem Heiligen Grab und trug es zum Chor – ein Symbol für die Auferstehung Christi in der Stille der Nacht (elevatio crucis). Dann erst erschienen die Mönche bzw. Kleriker in der Kirche und sangen die Matutin bis zum Te Deum. Es bildete sich eine Prozession zum Heiligen Grab: Es war „leer“! Nun folgte ein außergewöhnliches Phänomen, das sich in der gesamten mittelalterlichen abendländischen Liturgie findet, die visitatio sepulchri, der Besuch der Frauen am Grab. Es handelt sich um ein echtes liturgisches Spiel, das sich von den symbolischen Handlungen und ausdeutenden Riten klar unterscheidet. Die Kleriker (im österreichischen Raum in der Regel Diakone), welche die drei Marien, den Engel und die beiden Apostel Petrus und Johannes darstellten, wurden zu echten Schauspielern. Die liturgischen Handschriften sprechen nicht mehr von diaconi, sondern von den tres mulieres, dem angelus etc. Die liturgischen Gewänder und Geräte wurden zu Requisiten: Die weiten Rauchmäntel sollten die Frauenkleider darstellen, das liturgische weiße Untergewand, die Albe, wurde zum weißen Kleid des Engels und die Weihrauchgefäße stellten die Salbengefäße dar. Schließlich änderte sich die dargestellte Zeit. Liturgische Zeremonien vollziehen stets Gegenwärtiges (die depositio crucis erfolgt im „Jetzt“ durch den Zelebranten gleichsam als Erinnerung an und Meditation über die Grablegung Christi). Bei einem Spiel hingegen wird im Gegensatz dazu ein Geschehen aus der Vergangenheit nachgespielt.[29] Bei der visitatio sepulchri ist es der Besuch der Frauen am Grab Christi am Morgen des Ostertags, wie er sich damals nach den Berichten in den Evangelien abgespielt hat. Im süddeutschen Raum wurde in der Regel der so genannte Typ II verwendet. Er besteht aus dem Dialog des Engels mit den Frauen und dem anschließenden Wettlauf der Apostel Petrus und Paulus zum Grab. Den Abschluss bildete das vom Volk gesungene Christ ist erstanden, ein Osterlied, das um die Mitte des 12. Jahrhunderts, wahrscheinlich in der Passauer Diözese, zum ersten Mal dokumentiert ist.
[29] Ausführlicher bei Engels 2014.
[1] Zu Aufbau und Inhalt der Handschrift siehe Praßl 1998.
[3] 1782 wurde das Stift aufgehoben und ist seit 1883 eine Benediktinerabtei.
[4] Ediert von Behrendt 2009. Der Codex ist aufgrund des angefügten Liber Cantionarius bekannt (» A. Gesänge zu Weihnachten).
[5] Zu dem Handschriftenbestand siehe Engels 2012.
[6] Das Stift St. Lambrecht war seit 1503 auch Besitzer der nahegelegenen Burg Stein („Steinschloss“), die im Mittelalter der Familie Liechtenstein gehörte (heute Ruine).
[7] Eine Statio ist eine „Station“, ein Haltepunkt bei einer Prozession, so wie heute noch bei den vier Altären an Fronleichnam.
[8] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 424–425, Bd. 2, 118.
[9] Das Wort „Mette“ hat nichts mit „Messe“ zu tun, sondern ist das deutsche Wort für „Matutin“. Zu Weihnachten sang man die Matutin vor der Mitternachtsmesse, was zu einer Gleichsetzung der ähnlich klingenden Wörter „Messe“ und „Mette“ geführt hat.
[10] Nach dem Salzburger Liber Ordinarius A-Su M II 6, fol. 61rb–62va; » Breviarium Salisburgense 1497, fol. 111vb-112ra; A-Gu Ms. 756, fol. 80va–81rb.
[11] Genauere Untersuchungen und weitere Beispiele finden sich bei Janota 1968 und Lipphardt 1961.
[12] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 427–428; Engels 2012; Knapp 1999, 386.
[13] Die Ordnung ist abgedruckt bei Janota 1968, 158.
[14] Lipphardt 1961, 99 vermutet Gelobet seist du, Christe.
[15] G 27. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[16] G 24. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[17] A-Wn Cod. 2856, fol. 224r.
[18] Z. B. in Innichen/San Candido im Liber Processionalis I-SCAcc Ms. VIII B 5 aus dem Jahre 1616.
[20] » Breviarium Salisburgense 1497: zweifach abwechselnd wie oben.
[21] A-Gu Cod. 756: Der Hymnus wurde vom Prälaten angestimmt.
[22] Dies ist der Moment in der Liturgie, bei welchem in der päpstlichen Kapelle in Rom seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Vertonung des Miserere von Gregorio Allegri erklang, die später von W. A. Mozart aus dem Gehör notiert werden sollte.
[23] In Seckau setzte der Populus mit den Kyrierufen fort.
[24] Die Bezeichnung „Mandatum“ rührt aus dem Johannesevangelium (Jo. 13,34) – „Mandatum novum do vobis“ (Ein neues Gebot gebe ich euch) – her. Der Text erklingt auch als Antiphon während der Fußwaschung.
[25] D-Mbs Clm. 26947, Ordinarium aus Regensburg, 15.Jh. Siehe Lipphardt 1976, Nr. 684.
[26] Vgl. Engels 2014.
[27] Vgl. Taubert 1975, 616–617.
[28] Schepher und weiser pist G 26. (Siehe » B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[29] Ausführlicher bei Engels 2014.
[30] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 2, 132.
[31] Vgl. Engels 1996.
[32] Vgl. Fischer 1972, 91.
[33] Vgl. zur Liturgie auch Engels 1993.
Empfohlene Zitierweise:
Engels, Stefan: „Osterfeier im Kloster“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich, <https://musical-life.net/essays/osterfeier-im-kloster> (2016).