Die Gesänge am Ende der Finstermette
Der Abschluss des Morgengottesdienstes hatte ein eigenes Gepräge.[10] Er bestand aus einer Art Kyrielitanei, in der Regel im Wechsel zwischen Klerus und Volk gesungen, verbunden mit dem im Mittelalter dem hl. Gregor zugeschriebenen Hymnus Rex Christe factor omnium. Die Gemeinde antwortete mit Kyrierufen. In Seckau und St. Lambrecht kamen dabei auch deutsche Liedstrophen zum Einsatz.[11] In Seckau gab es neben den üblichen Kyrierufen, die auf jede Strophe des Rex Christe folgten, als Alternative (aliter) am Gründonnerstag folgende Ordnung: Der Chor sang den lateinischen Hymnus, das Volk antwortete nach jeder der sechs lateinischen Strophen mit einer entsprechenden Strophe in deutscher Paraphrasierung (Chuonisch schepfeer aller dester ist…). Am Karfreitag antwortete das Volk nach jeder lateinischen Strophe mit einer einzigen Liedstrophe (Der des himels und der erde geweltisch ist…). In St. Lambrecht bot das Antiphonale » A-Gu Cod. 29, fol. 154r–155v, eine ähnliche Alternative. Das Volk sang zu den einzelnen Strophen des Hymnus Rex Christe das deutsche Lied Christ schepfer alles des da ist, eine Paraphrase des Prozessionshymnus, die Gundakar von Judenburg (13. Jh.) zugeschrieben wird.[12] Der deutsche Hymnus hat insgesamt sechs Strophen und eine Abschlussstrophe.[13] Nach der ersten Strophe fügten zwei Knaben die lateinische Refrainstrophe Laus tibi Christe mit einem fünffachen Kyrie-/Christe eleyson-Ruf ein. Diese Strophe entstand nach Walther Lipphardt als Antwort auf die lateinischen Strophen zunächst in deutscher Sprache[14] und wurde von einem böhmischen Autor ins Lateinische übertragen. Sie war als Refrain für alle Anwesenden gedacht und wurde nach jeder Strophe von Rex Christe angestimmt. Der Mönch von Salzburg schrieb nun seinerseits zu beiden Fassungen zwei deutsche Gesänge. Der eine, Kunig Christe,[15] ist eine geschickte deutsche Übertragung von Rex Christe, der andere, Eia der grossen Liebe,[16] eine Dichtung über die Passion Christi auf die Melodie von Laus tibi Christe, die zu dieser Refrainstrophe gesungen wurde, wie die Mondsee-Wiener Liederhandschrift bezeugt[17]: „Zu dem Laus tibi Christe in der vinster metten“. (» Hörbsp. ♫ Eia der großen Liebe)
Ob mit dem Abschlussritus der Finstermette tatsächlich immer eine Prozession verbunden war, lässt sich nicht eindeutig beantworten. An einigen Orten der Salzburger Kirchenprovinz wird eine Prozession erwähnt,[18] nicht jedoch in den Libri ordinarii von Salzburg, Seckau oder St. Lambrecht. Der Schreiber von » D-Mbs Cgm. 715 geht von einer solchen Prozession aus, wenn er zum Kunig Christe des Mönchs von Salzburg auf fol. 2v schreibt: „Rex christe factor omnium den ympnum list oder singt czw den finstern metten so man vmb die kirchen get vnd das laus tibi Christe singet.“ Im zweiten Band der Libri agendorum, ein zweibändiges, 1575 bei Sebaldus Mayer in Dillingen gedrucktes » Salzburger Rituale, heißt es nach der Kyrielitanei: „… et fit trina processio per circuitum Ecclesiae“ (…und es erfolgt eine dreifache Prozession rings um die Kirche).
Zur Antiphon zum Benedictus wurden die Tabulae (Holzbretter als Ersatz für die Glocken, die bis zum Gloria der Messe am Karsamstag – der heutigen Osternachtsfeier – zu schweigen hatten) geschlagen. Das Benedictus wurde im Dunkeln gesungen. Den täglichen Gesang zur Laudes kannte man auswendig. Nach der Wiederholung der Benedictusantiphon wurden erneut die Tabuale geschlagen.
Klerus: Kyrieleyson, Populus: Christeleyson, Klerus: Kyrieleyson.
oder: Klerus: Kyrieleyson, Populus: Kyrieleyson, Klerus: Christe eleyson, Populus: Christe eleyson, Klerus: Kyrieleyson, Populus: Kyrieleyson.[19]
Cantores: Iesu Christe qui passurus aduenisti propter nos,
Chorus: Domine miserere nobis. Christus Dominus factus est obediens usque ad mortem.
Klerus: Kyrieleyson, Populus: Christeleyson, Klerus: Kyrieleyson.
Cantores: Qui prophetice promisisti: ero mors tua o mors
Chorus: Domine miserere….
Klerus: Kyrieleyson, Populus: Christeleyson, Klerus: Kyrieleyson.
Cantores: Qui expansis in cruce manibus, traxisti omnia ad te secula
Chorus: Domine miserere…
wie oben: Kyrieleyson, Kyrieleyson, Kyrieleyson / Christeleyson, Christeleyson, Christeleyson /
Kyrieleyson, Kyrieleyson, Kyrieleyson.[20]
Herr erbarme Dich, Christus erbarme Dich, Herr erbarme Dich.
Jesus Christus, Du bist gekommen, um für uns zu leiden:
Herr erbarme dich. Christus ist für uns gehorsam geworden bis zum Tod.
Du hast prophetisch geweissagt: Ich bin dein Tod, o Tod.
Am Kreuz mit Deinen ausgestreckten Armen ziehst Du die ganze Welt an Dich: Herr erbarme Dich …
[10] Nach dem Salzburger Liber Ordinarius A-Su M II 6, fol. 61rb–62va; » Breviarium Salisburgense 1497, fol. 111vb-112ra; A-Gu Ms. 756, fol. 80va–81rb.
[11] Genauere Untersuchungen und weitere Beispiele finden sich bei Janota 1968 und Lipphardt 1961.
[12] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 427–428; Engels 2012; Knapp 1999, 386.
[13] Die Ordnung ist abgedruckt bei Janota 1968, 158.
[14] Lipphardt 1961, 99 vermutet Gelobet seist du, Christe.
[15] G 27. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[16] G 24. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[17] A-Wn Cod. 2856, fol. 224r.
[18] Z. B. in Innichen/San Candido im Liber Processionalis I-SCAcc Ms. VIII B 5 aus dem Jahre 1616.
[19] A-Gu Cod. 756; » Breviarium Salisburgense 1497.
[20] » Breviarium Salisburgense 1497: zweifach abwechselnd wie oben.
[1] Zu Aufbau und Inhalt der Handschrift siehe Praßl 1998.
[3] 1782 wurde das Stift aufgehoben und ist seit 1883 eine Benediktinerabtei.
[4] Ediert von Behrendt 2009. Der Codex ist aufgrund des angefügten Liber Cantionarius bekannt (» A. Gesänge zu Weihnachten).
[5] Zu dem Handschriftenbestand siehe Engels 2012.
[6] Das Stift St. Lambrecht war seit 1503 auch Besitzer der nahegelegenen Burg Stein („Steinschloss“), die im Mittelalter der Familie Liechtenstein gehörte (heute Ruine).
[7] Eine Statio ist eine „Station“, ein Haltepunkt bei einer Prozession, so wie heute noch bei den vier Altären an Fronleichnam.
[8] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 424–425, Bd. 2, 118.
[9] Das Wort „Mette“ hat nichts mit „Messe“ zu tun, sondern ist das deutsche Wort für „Matutin“. Zu Weihnachten sang man die Matutin vor der Mitternachtsmesse, was zu einer Gleichsetzung der ähnlich klingenden Wörter „Messe“ und „Mette“ geführt hat.
[10] Nach dem Salzburger Liber Ordinarius A-Su M II 6, fol. 61rb–62va; » Breviarium Salisburgense 1497, fol. 111vb-112ra; A-Gu Ms. 756, fol. 80va–81rb.
[11] Genauere Untersuchungen und weitere Beispiele finden sich bei Janota 1968 und Lipphardt 1961.
[12] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 1, 427–428; Engels 2012; Knapp 1999, 386.
[13] Die Ordnung ist abgedruckt bei Janota 1968, 158.
[14] Lipphardt 1961, 99 vermutet Gelobet seist du, Christe.
[15] G 27. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[16] G 24. (Siehe B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[17] A-Wn Cod. 2856, fol. 224r.
[18] Z. B. in Innichen/San Candido im Liber Processionalis I-SCAcc Ms. VIII B 5 aus dem Jahre 1616.
[20] » Breviarium Salisburgense 1497: zweifach abwechselnd wie oben.
[21] A-Gu Cod. 756: Der Hymnus wurde vom Prälaten angestimmt.
[22] Dies ist der Moment in der Liturgie, bei welchem in der päpstlichen Kapelle in Rom seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Vertonung des Miserere von Gregorio Allegri erklang, die später von W. A. Mozart aus dem Gehör notiert werden sollte.
[23] In Seckau setzte der Populus mit den Kyrierufen fort.
[24] Die Bezeichnung „Mandatum“ rührt aus dem Johannesevangelium (Jo. 13,34) – „Mandatum novum do vobis“ (Ein neues Gebot gebe ich euch) – her. Der Text erklingt auch als Antiphon während der Fußwaschung.
[25] D-Mbs Clm. 26947, Ordinarium aus Regensburg, 15.Jh. Siehe Lipphardt 1976, Nr. 684.
[26] Vgl. Engels 2014.
[27] Vgl. Taubert 1975, 616–617.
[28] Schepher und weiser pist G 26. (Siehe » B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, Fußnote 1)
[29] Ausführlicher bei Engels 2014.
[30] Vgl. Behrendt 2009, Bd. 2, 132.
[31] Vgl. Engels 1996.
[32] Vgl. Fischer 1972, 91.
[33] Vgl. zur Liturgie auch Engels 1993.
Empfohlene Zitierweise:
Engels, Stefan: „Osterfeier im Kloster“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich, <https://musical-life.net/essays/osterfeier-im-kloster> (2016).