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Die Melopoiæ – oder: Apoll auf dem Parnass

Andrea Horz

Zusammen mit dem Augsburger Drucker Erhard Oeglin brachte im Jahre 1507 der in Wien tätige deutsche Erzhumanist Conrad Celtis die Melopoiæ sive Harmoniæ tetracenticæ (Gesangswerke oder vierstimmige Harmonien) auf den Markt (» Abb. Melopoiæ 1507 Titelblatt). Zum einen steht es (rund sechs Jahre nach Petrucci in Italien)[1] für den Beginn des Notendrucks mit beweglichen Lettern nördlich der Alpen – ein Umstand, auf den Oeglin im Kolophon nicht ohne Stolz aufmerksam macht.[2] Zum anderen gilt es in der Musikforschung gar als „Gründungswerk“ für eine eigene Gattung, für die sogenannte Humanistenode. Der Druck ist also ein guter Ausgangspunkt, die Geschichte des Odengesangs bei den Wiener Humanisten in musikalischer wie literarischer Hinsicht zu explorieren. Gemeinhin werden die Sätze Petrus Tritonius (Peter Treibenreiff) zugeschrieben. Der Drucker Erhard Oeglin gibt ihn in dem für den Schulgebrauch bestimmten Druck Harmoniæ (» Augsburg: Erhard Oeglin 1507), der nur Text und Noten der Melopoiæ umfasst, als Komponist der Odensätze an. Auf dem Titelblatt der Melopoiæ (» Abb. Melopoiæ 1507 Titelblatt) nennt Celtis Tritonius nur als einen Komponisten unter anderen:
„…per Petrum Tritonium et alios doctos sodalitatis litterariae nostrae musicos secundu[m] naturas & tempora syllabaru[m] et pedum compositae et regulate ductu Chunradi Celtis foeliciter impresse“
(… durch Petrus Tritonius und andere gelehrte Musiker unserer literarischen Sodalitas nach den Arten und Zeitmaßen der Versfüße komponiert und reguliert, unter der Leitung von Conrad Celtis erfolgreich gedruckt).

 

 

Die Melopoiæ fügen sich in vielerlei Hinsicht in die Bestrebungen von Conrad Celtis. Im Vorwort benennt er ein Anliegen des Druckes: Das Singen lateinischer Verse sollte das Verständnis für die lateinische Prosodie und für die quantitierende Silbenmessung fördern – ein Unterrichtsziel, das mit seiner strikten Ausrichtung am antiken Latein für die humanistische Bewegung kennzeichnend ist. Außerdem sollte grundsätzlich der antike Brauch wiederbelebt werden, Versdichtungen zu singen.[3] Die Bedeutung der Melopoiæ war für Celtis also nicht auf die didaktische Funktion beschränkt. Nur bedingt können sie unter den Musikdrucken eingeordnet werden. Denn wie Birgit Lodes nachgewiesen hat, war dieser Druck für das praktische Musizieren ungeeignet und auch zu teuer. Für diese Funktion eignete sich der Folgedruck, die schlichteren, weitaus didaktischer ausgerichteten Harmoniæ, wesentlich besser.[4] Das Bildprogramm verweist auf den Platz der Melopoiæ innerhalb Celtis’ Schaffen.[5] Die vierzehn Seiten Notentext flankieren zwei Holzschnitte, die detailreich die Quellen und Musen der dichterischen Inspiration zum Gegenstand haben (» Abb. Apoll auf dem Parnass und » Abb. Phoebus umringt von den Musen). Im ersten Bild steht der musizierende Apoll auf dem Parnass unter einem Lorbeerbaum im Mittelpunkt.[6] Im zweiten Holzschnitt ist Phoebus (=Apoll) von neun auf verschiedenen Instrumenten musizierenden Musen umringt. Das Wappen am unteren Rand des Bildes verweist explizit auf Conrad Celtis.[7] Damit zeigte Celtis an, dass er nach dem Vorbild Apolls die Personalunion von Dichter und Sänger, die Einheit von Musik und Sprache anstrebte.

 

 

 

Bereits in seinem ersten gedruckten Werk » Ars versificandi et carminum (1486) nahm Celtis auf den Dichtergott Apoll Bezug, von dem er das Wissen um die metrischen Gesetze erhielt. In einer abschließenden Ode bat er den Gott, im Sinne einer Translatio artium, also eines Transfers der Künste, mit seiner Lyra in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu kommen.[8] Das Bildprogramm der Melopoiæ sowie die Bitte um die Lyra zeigen an, dass Celtis den musikalischen Vortrag lateinischer Dichtung als integrale Einheit ansah. Mit den Notenbeigaben der Melopoiæ gab er vor, wie dies klingt (siehe als Beispiel die ersten beiden Oden der Melopoiæ in » Abb. Mæcenas atavis und Iam satis terris sowie die Übertragung der ersten Ode in moderne Notenschrift in » Notenbsp. Mæcenas atavis).

 

 

 

Die von Celtis vorgelegten Modellvertonungen sind vierstimmig gehalten und folgen in der homophon-syllabischen Setzweise strikt der Metrik des Textes. Der vierstimmige Satz ist bis zum Ende des Gedichtes zu wiederholen. Mit der Drucklegung der Melopoiæ scheint für Celtis 1507 der Transfer der Lyra des Apoll in den deutsch-österreichischen Raum Wirklichkeit geworden zu sein, denn er schreibt im Vorwort:
„Terq[ue] quater felix nunc o Germanica tellus, Que graio & lacio carmina more canit.“[9]
(Drei- und viermal sei nun glücklich, o deutsches Land, das die Gesänge nach griechischer wie lateinischer Art singt.)[10]
Durch die strikte Umsetzung der Quantitäten in der Musik meint Conrad Celtis dem antiken Vortrag der lateinischen Dichtung gerecht geworden zu sein – Apoll wohnt nun im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

[1] Birgit Lodes entthronte die » Melopoiæ als ersten Druck mit beweglichen Typen. Siehe Lodes 2001 sowie Lodes 2002.

[2] Siehe zum Kolophon der » MelopoiæLodes 2010, 36 f.

[3] Luh 2001, 247 ff.

[4] Zum Verhältnis von » Melopoiæ und » Harmoniæ vgl. Lodes 2010, 56 ff.

[5] Zur Deutung siehe Lodes 2010, 50 ff. sowie Luh 2001insbesondere 210 ff.

[6] Ausführlich zum Apoll am Parnass: Luh 2001, 220 ff.

[7] Luh 2001, 247 ff.

[8] Siehe hierzu ausführlich Robert 2003, 38–40 sowie 85–92.

[9] Celtis 1507, Titelseite (» Abb. Melopoiæ 1507 Titelblatt).

[10] Siehe auch Lodes 2010, 50.