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Passions- und Osterspiele

Andrea Horz

Die Osterfeierlichkeiten begleiteten an vielen Orten Spiele, die das Heilsgeschehen besonders anschaulich machten.[38] In dieser dramatischen Form sind meist dem „guten Helden“ Christus die „bösen“ Juden entgegengesetzt. Innerhalb des Spiels beklagen häufig christliche Autoritätsfiguren deren Schuld und Bosheit. So etwas geschieht in dem hier exemplarisch herausgegriffenen Wächterspiel der wohl in Kärnten beheimaten Erlauer Spiele aus dem 15. Jahrhundert [39] (vgl. auch » J. Singende Juden). Ein Engel will unter Einsatz seines Schwertes den Tod Christi und die Leiden der Mutter Maria rächen: „Der von den Juden hat erliten den tot, da von seiner Mouter ist warden chunt so große not. Mit meinem swert Feurein, Will ich rechen die große marter sein“[40]

Auch Maria verurteilt in diesen Spielen die Taten der Juden.[41] In der Erlauer Marienklage, dem sechsten in dieser Handschrift überlieferten Stück, tritt sie als Schmerzensmutter unter dem Kreuz auf – ein im Spätmittelalter vielfach in Bildern, Gedichten, Gebeten und Gesängen umgesetztes Bild ist hiermit szenisch gestaltet (weiter zur Marienklage vgl. » H. Musik und Tanz in Spielen und » H. Sterzinger Spielarchiv). Maria richtet in diesem von Aufforderungen zur Mittrauer durchzogenen Stück ihre Worte auch an Judas.[42] Sie macht ihn für den Tod ihres Kindes verantwortlich:

„O Juda, du ungetreuer man, was hat dir mein chin getan, das du willichleichen in den tod verchauft hast sein plout so rat? Das chlag ich ewichleichen.“[43] (» Notenbsp. O Juda, du ungetreuer man)

 

 

Selbst Christus rächt sich in der Höllenfahrt im Erlauer Wächterspiel persönlich an seinen jüdischen Widersachern. Er gibt den Teufeln die Anweisung, Juden und Ketzer in die Hölle zu schicken. Allein die Christen sollen durch ihn in den Himmel kommen.[44]

Trotz der erzählerischen Eigenmächtigkeiten der paraliturgischen Form der Spiele schimmert an manchen Stellen die liturgische Gesangsvorlage durch. Die Anklage Judas‘ durch die Gottesmutter in der Erlauer Marienklage beispielsweise und auch die berühmte Judasstrophe[45] des Prozessionsliedes beginnen wie das Responsorium O Iuda,

qui dereliquisti mit „O Iuda“.[46] In allen Texten wird Judas verurteilt, weil er das Blut des Gerechten verkauft hat. Dramaturgisch gesprochen kommt den Juden in den volksnahen Spielen die Rolle der bösen Widersacher zu. Die direkte Anklage durch christliche Autoritätsfiguren wie die Engel, die Mutter Gottes und den Heiland Christus unterstreicht die „verbrecherische“ jüdische Haltung. Der Gegensatz zwischen Gut und Böse, zwischen Juden und den Anhängern Christi erhält sehr großes Gewicht.

[38] Passions- und Osterspiele waren im Spätmittelalter und bis ins 18. Jahrhundert hinein weit verbreitet (vgl. auch » H. Musik und Tanz in Spielen und » H. Sterzinger Spielarchiv). Das älteste im deutschen Sprachraum bezeugte geistliche Spiel scheint das seit 1187 in Hagenau im Elsass nachweisbare zu sein. (Köpf 1996, 735) Zur Entstehung und Geschichte der deutschen Passionsspiele siehe Bergmann 1972 sowie allgemein Bergmann 1986.

[39] Neumann 1979, 593.

[40] Kummer 1882, 139. Die Melodien der Spiele sind herausgegeben in Suppan/Janota 1990, Zitat auf S. 172.

[41] Siehe auch Frey 2001, sowie insbesondere » J. Singende Juden.

[42] Eggers 1980, 592.

[43] Kummer 1882, 161; Suppan/Janota 1990, 200 f.

[44] „Ier teufel in der helle grunt, tout auf an dieser stund! Eur gewalt mous haben ein end, di sel sind euch all enphremd, mit meinem tod ich seu erlost han. Die christenhait, al fraun und man, die seullen dir uebrig sein; stoezt Juden und checzer dar ein! Wol aus her, Eva und Adam und all di gelaubent an menen nam, ich will euch feuren sicherleich zu meinem vater in das himelreich“ (Kummer 1882, 142; Suppan/Janota 1990, 174).

[45] Auf diese Parallele verweist Lipphardt 1961, 72.

[46] Auf diese Parallele macht Kummer 1882, 161, bereits beiläufig aufmerksam.