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Die Passion Christi

Andrea Horz

Die grundlegende christliche Typologie des Leidens diente als Präfiguration des jüdischen Feindbildes. Die Verweise im Hymnus Scelestus haurit sanguinem auf die Unschuld des Kindes einerseits und auf den verbrecherischen, angeblich das unschuldige Blut begehrenden Juden andererseits legen bereits den Bezugsrahmen offen, in dem sich seit dem Mittelalter die „Ritualmordvorwürfe“ bewegten.[26] Es ist die Wiederholung der Passion Christi: Ein unschuldiges Kind – gleich der Unschuld des Erlösers – wird von den Juden hingerichtet, die Wundmale des kindlichen Martyriums entsprechen den Verwundungen Jesu.[27] Im Bestreben, die Heiligsprechung Simons zu erreichen, hoben Hinderbach und seine Anhänger die Analogie zwischen der Passion Christi und dem „Martyrium“ Simons hervor – ein Motiv, das auch von den folgenden Publikationen aufgegriffen wurde.[28]

Die Anklage gegen die Trienter Juden griff somit zurück auf tiefsitzende Vorurteile. Diese generierten sich als Teil der Glaubensvorstellungen, die der Bevölkerung schon lange vor dem Trienter Vorfall als Wahrheit präsentiert und über verschiedene Kanäle – unter anderen die musikalische Praxis –indoktriniert worden waren. Der Jude als Mörder und ungläubiger Verspotter des unschuldigen Christus: Von je her ist diese Figur bekannt.[29] Insbesondere bei der Erzählung und künstlerischen Ausgestaltung des Osterereignisses kommt sie zum Tragen. Auf welche Weise wird das Bild von den Juden in den musikalischen Partes, insbesondere rund um die Passions- und Osterfeierlichkeiten, in der Region Österreich im Spätmittelalter tradiert?

[26] Siehe hierzu Erb 2003.

[27] Von Anfang an setzte man die angebliche Passion des Kindes Simon mit dem Leiden und Sterben Christi in Beziehung. Bereits das unter Folter von den Juden erzwungene und von der Inquisition in bestimmte Richtungen gelenkte Geständnis verweist auf diese Parallele. Die für Juden wohltuende Wirkung des christlichen Blutes trete nur dann ein – so die in den Prozessakten festgehaltene jüdische Aussage –, wenn das christliche Kind in derselben Form wie Jesus getötet werde und zudem nicht älter als sieben Jahre – also unschuldig – sei. Kinder unter sieben Jahre galten als unschuldig, da sie nach der allgemeinen Auffassung ihre Taten gegenüber Gott noch nicht verantworten mussten. Siehe hierzu Esposito 2003, 142 f. Ebenfalls spricht dies Worstbrock 1992, 1263 f. an.

[28] Siehe Esposito 2003, 144 ff. Zu Hinderbach und seinem Glaubensverständnis, insbesondere seiner Heiligenverehrung und seinem Bemühen um Etablierung von Heiligenkulten und Reliquienverehrung, siehe Rando 2008, insbesondere das Kapitel aus dem zweiten Teil: II. Seele und Seelenheil, sowie S. 213.

[29] Zum Stereotyp des „Gottesmordes“ im deutschsprachigen Raum vgl. beispielsweise den Überblick von Weinzierl 1995.