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Kyrie magne deus potencie

Klaus Aringer

Das früheste erhaltene notenschriftliche Zeugnis mit Orgelmusik aus dem österreichischen Raum, früher im Besitz des Benediktinerstifts Mondsee (» A-Wn Cod. 3617), stellt zugleich eine der ältesten Quellen mit Tastenmusik im deutschen Sprachraum überhaupt dar. Auch wenn es offenkundig nicht mit der dortigen Musikpflege in Verbindung steht,[5] könnte es aus dem Salzachraum stammen. Einer Sammelhandschrift wurde nachträglich ein Blatt (fol. 10) aus der Zeit um oder kurz nach 1400 beigebunden, das eine zweistimmige Orgelfassung des Kyrie-Tropus Magne deus potencie enthält.[6] Der Text des Tropus steht Silbe für Silbe zwischen dem Notensystem für die Oberstimme und den Tonbuchstaben für die Unterstimme des Cantus firmus. Die Orgelfassung gliedert den nach c transponierten Cantus in annähernd gleich lange Abschnitte, deren Zäsuren in der Oberstimme eine steigernd angelegte Reihung erkennen lassen. Der Duktus des Stückes indes ist elementaren Praktiken verpflichtet. Die gleichförmig in Semibreven ablaufende, nur an den Zäsuren gebremste bzw. variierte Oberstimme setzt sich aus acht verschiedenen, von den Orgelspiellehren der Zeit überlieferten Spielformen zusammen, auch das Zusammenspiel mit dem Tenor entspricht mit wenigen Ausnahmen handwerklicher Tradierung. Das Orgel-Kyrie erinnert mit der Parallelführung perfekter Konsonanzen an frühe organale Mehrstimmigkeit und ist vom Prozess der späteren Rationalisierung und Annäherung der Tastenmusik an das Vorbild kunstvoller vokaler Komposition noch unberührt. Vgl. » Hörbsp. ♫ Instrumentenmuseum Clavicytherium. 

[5] Klugseder 2012, 271.

[6] Edition bei Apel 1963, 10 f.