Kriegsrufe, Gewehrfeuer und Tanzmetaphorik
Neben den musikalischen Signalen finden sich in den Quellen auch verbale Rufe. Damit ist nicht der in solchen Gedichten übliche Dialog gemeint, sondern der Versuch, das Geschrei der Soldaten auf dem Schlachtfeld zu imitieren. In der Regel hatten diese Rufe die Funktion, die Teilnehmer der Schlacht zu kennzeichnen, wobei häufig eine fremde Sprache verwendet wurde. Der bereits erwähnte Ruf „stara pravda“ im Lied von den krainischen Bauern gehört zu dieser Gruppe. In ähnlicher Weise wird in einem Lied über die Belagerung von Verona den lokalen Truppen, die gegen die Franzosen kämpfen, ein Ruf in italienischer Sprache zugeschrieben:
Si mainten es wer gewonnen
und schrien „wenig qua!“ ser;[71]
(Sie meinten es wäre gewonnen
und schrien „wenig qua!“ sehr.)
Hier ist „wenig qua“ wahrscheinlich eine Interpretation von „vieni qua“ oder „komm her.“[72] Es lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob einer dieser Rufe auf dem Schlachtfeld selbst verwendet wurde. Diese Hypothese findet jedoch Bestätigung in zwei Liedern aus dem Alten Zürichkrieg. Wie bereits dargelegt, zählt dieser von 1440 bis 1446 dauernde Krieg zu den zahlreichen Konflikten im 15. Jahrhundert zwischen den Habsburgern und den Eidgenossen, in deren Verlauf eine Vielzahl von Liedern auf beiden Seiten entstand. In zwei pro-österreichischen Liedern, die von Tschudi in seiner Schweizer Chronik aufgezeichnet wurden, lässt sich ein pro-österreichisches Geschrei in den Texten nachweisen.
so wirt die gmeine krie
„hie Österrich on end“[73]
(so wird das gemeinsame Geschrei
„Hei Österriech ohne Ende“)
„hie Östrich“ ist die krije,
das ru(e)fend frow und man![74]
(„Hei Österreich“ ist das Geschrei,
das riefen Frau und Mann!)
Es besteht die Möglichkeit, dass der Schrei in beiden Gedichten als Identifikationssymbol dient, ähnlich wie die Schreie der veronesischen und krainischen Kämpfer. Das bereits erwähnte Verbot des Basler Rates von 1448, das nicht lange nach den Ereignissen des Zürichkrieges erlassen wurde, erwähnt jedoch, dass das Geschrei „Hie Osterrich“ tatsächlich auf den Straßen zu hören war und damit die Stadt zum Handeln zwang.[75] In diesem Fall könnte davon ausgegangen werden, dass die in den Gedichten überlieferten Rufe eine reale Klangwelt widerspiegeln.
Die Einfügung nicht-musikalischer Klänge in historisch-politische Lieder umfasste eine Vielzahl von Elementen, darunter das Klingeln der Schwerter, das Klirren der Harnische und das Krachen der Piken.
desglich die edlen all von Bern,
ir gleven hort man krachen[76]
(desgleichen die Edlen alle aus Bern,
ihre Gleven hörte man krachen)
Am häufigsten wird auf Gewehrfeuer, für das sich gerade eine neue Begeisterung entwickelt hatte, Bezug genommen. Die meisten Beschreibungen von Schüssen in den Dichtungen konzentrieren sich auf das Geräusch, das sie produzierten, mit Wörtern wie „krachen“ oder „schallen.“ Die Lautstärke des Knalls sowie dessen weitreichendes Echo werden in den Beschreibungen häufig betont. So heißt es beispielsweise: „Sy traten an, der büchsen ton hört man gar weite krachen“.[77] Die zuvor angeführte Beschreibung von Michel Beheim bietet eine besonders anschauliche Darstellung der Wahrnehmung dieser Klänge als ein einheitlicher akustischer Eindruck. Obwohl Beheims Beschreibung ein Beispiel für die „Verlärmung“ von Musikinstrumenten anbietet, lässt sich in anderen Gedichten eine gegenläufige Tendenz beobachten, nämlich die Musikalisierung von Waffen.[78] Das Letztere hat sich weit über den Bereich der Poesie hinaus etabliert. Eine weiter gefasste Assoziation zwischen Kanonen und Vögeln führte zur musikalisch inspirierten Benennung zweier Kanonengeschlechter: der Nachtigall und der Sängerin, die beide häufig zum Stoff musikalischer Metaphern wurden.[79] Eine Inschrift auf einer von Meister Steffan zu Frankfort im Jahr 1519 gegossenen Nachtigall lautet zum Beispiel:
Ein Nachtigal bin ich genant
liplich vnd schon ist mein Gesang
wen ich sing dem ist die Zeit lanck[80]
(Eine Nachtigal bin ich genannt
lieblich und schön ist mein Gesang
Wem ich sing, dem wird die Zeit lang)
Dieser Topos des schönen, aber gefährlichen Gesangs wird in den Liedtexten nachgeahmt. Diesbezüglich sind insbesondere die folgenden Fälle von Interesse: In einem Spruch über die Belagerung von Pavia im Jahre 1525 wurde die Musik der Waffen als zum Tanz geeignet beschrieben:
In ainem schönen garten lang
werdt ir bald hören groß gesang
von allerlai hüpsch musica,
wie ich euch nennen wil alda:
scharpfmetzen, nachtigal, karthaunen,
auch schlangen, valkenet, busaunen,
basilischgen, tracken darzů,
die machten uns gar vil unrůw,
da mit thet man den tanz anheben[81]
(In einem schönen Garten lang
werdet ihr bald großer Gesang hören
von allerlei hübscher Musik
Von der ich euch erzählen will allda:
scharfe Metzen, Nachtigallen, Kartaunen,
auch Schlangen, Falkenen, Posaunen,
Basilisken, Drachen noch dazu,
sie machten uns gar viel Unruhe
damit hebt man den Tanz an)
Die Verbindung zwischen Musik und Gewalt, bzw. die Metapher des Krieges als Tanz, die ihre Wurzeln in der Antike hat, war für den spätmittelalterlichen Dichter keine neue Erfindung.[82] Allerdings veranschaulicht der Text, so wie in der Inschrift, den ironischen Charakter zeitgenössischer Kriegsmetaphern, die, aufgrund einer Entwicklung in der deutschen Kriegsterminologie, eine negative Betrachtung von Gewalt, die Unruhe auf dem Schlachtfeld, und eine positive Betrachtung von Musik, die hübsche Musik, die den Tanz anhebt, nebeneinanderstellen mussten.
In bestimmten Fällen lässt die Verwendung von musikalischen Metaphern Rückschlüsse auf das Wissen des Dichters über die zeitgenössische Kriegstechnik zu. In einem Lied über die Niederlage Ulrichs von Württemberg im Jahre 1519 während der Einnahme des Tübinger Schlosses singen Waffen in der Art des Kontrapunkts.
Der schimpf wolt nit gefallen
dem adel in dem schloß,
da si die Nachtigallen
hörten singen so groß;
die scharpf Metz die sang auch darein,
karthonen und auch schlangen
die discantierten fein.[83]
(Der Schimpf wollte nicht gefallen
dem Adel in dem Schloss,
da sie die Nachtigallen
so groß singen hörten;
die scharfe Metz die sang auch darein,
Kartaunen und auch Schlangen
die discantierten fein)
Bei näherer Betrachtung der im Gedicht genannten Geschütze fällt auf, dass der Dichter die Nachtigall und die scharfe Metz, deren Kanonenkugeln ungefähr 50 bzw. 100 Pfund wogen, an erster Stelle nennt, während er die Rolle des Diskants der Karthaune und der Schlange zuschreibt, leichteren Geschützen, deren Kugeln lediglich 25 bzw. 8 Pfund wogen.[84]
[1] Schanze 1999b, 305–306; Brednich 1975, Bd. 2, 59–61.
[3] Vgl. Kellermann 2000, 35; Honemann 1997, 399–401.
[4] Z.B. Erk/Böhme 1893/1894, Bd. 1, vii; Janicke 1871, 3; Suppan 1966, 38.
[5] Sauermann 1975, 301; Hampe 1919, 52.
[6] Müller 1974, 26 f.; Sauermann 1975, 301 f.
[7] Kellermann 2000, 13, 86 f.; Kerth 1997, 9.
[8] Kerth 1997, 9.
[9] Kellermann 2000; Kerth 1997; Seibert 1978; Wenzel 2018.
[10] Vgl. Eickmeyer 2017, 29; Honemann 1997, 418 f.; Brednich 1974, Bd. 1, 154; Straßner 1970, 242; Kellermann 2000, 311.
[11] Vgl. Kellermann 2000, 92–98, 155 f., 277; Wenzel 2018, 247–262.
[12] Zum „Agitationszweck“ vgl. Völker 1981, 23; Vgl. auch Hampe 1928, 251–278; von Liebenau 1873, 346 f.
[13] Vgl. Hermann 2006, 65; Rogg 2002, 274–276.
[14] Liliencron 1866, Bd. 2, Nr. 138. Dieser Liedtext wurde wahrscheinlich auf den hier unten behandelten Wissbeck-Ton gedichtet: vgl. » F. SL Die Missa O Österreich.
[15] Suppan 1995, 157.
[16] Zu den Begriffen „autrichité“ und „Habsburgisches Spätmittelalter“ vgl. Müller, 1986, Bd. 1, 427 f.; Spechtler 1986, Bd. 1, 470.
[17] Zu Beheim siehe » B. Spruchsang.
[18] Gille/Spriewald 1968–1972, Bd. 1, Nr. 105, Nr. 106, Nr. 112, Bd. 2 Nr. 238 f.
[20] GB-Lbl Add. 16592, fol. 22r–23v; Schmidt 1970, 520; Seemüller 1897, 170; Seemüller 1897, 587.
[21] Seemüller 1897, 587 f.
[22] Seemüller identifiziert zwei Hände aus dem 16. Jahrhundert für die ersten sechs Nummern, einschließlich des Abschnitts über Friedrich III. Seemüller 1897, 589.
[23] Schneider 1991, 85–95; Neugart 1989, 451 f.; Müller 1986, 439.