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Der Dichter im Krieg

Deanna Pellerano

In der frühen Liedforschung wurde bei der Suche nach „Kriegsliedern“ mitunter der Nachweis der Aufführung eines Liedes im Kriegskontext als Ziel definiert. Allerdings lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen, ob ein Lied und sein Verfasser sich tatsächlich auf dem Schlachtfeld befanden. Die Annahme, dass der Verfasser ein Augenzeuge der beschriebenen Ereignisse war, wird in der Forschung häufig als ein wiederkehrender Topos betrachtet, der die Glaubhaftigkeit des Liedes verstärkte.[51] In einigen Fällen, insbesondere im 15. Jahrhundert, sind jedoch kriegerische Lebenserfahrungen zu berücksichtigen. Beheim war nicht nur Zeuge der Belagerung Wiens im Jahr 1462, über die er seine Reimchronik Das Buch von den Wienern verfasst hat, sondern auch der Belagerung Belgrads im Jahr 1456 im Gefolge König Ladislaus’ sowie einiger Auseinandersetzungen im Markgrafenkrieg auf der Seite des Markgrafen.[52] Ebenso wird vermutet, dass Oswald von Wolkenstein’s Greifensteinlied sich auf seine Teilnahme an der Belagerung bezieht.[53] Auch der Nürnberger Hans Rosenplüt liefert durch präzise Angaben über die im Markgrafenkrieg eingesetzten Teilnehmer und Ressourcen sowie durch seine eigene Tätigkeit als Büchsenmeister Hinweise auf seine persönliche Teilnahme am Krieg.[54] Eine ähnlich genaue Schilderung der Landschaft und der Ereignisse des Feldzuges lässt vermuten, dass auch Peter von Retz 1396 persönlich an der Schlacht von Schiltarn teilgenommen haben dürfte.[55] Es ist nicht verwunderlich, dass die meisten dieser Dichter in Verbindung mit dem höfischen Umfeld zu stehen scheinen. Dies eröffnete ihnen die Möglichkeit, ihren Gönnern in den Krieg zu folgen und Beobachtungen anzustellen. Bei den „Gelegenheitsdichtern“, insbesondere den namenlosen Landsknechten, die sich am Ende einer Dichtung identifizieren, kann durch diese „Signatur“ keine sichere Aufführung des Liedes im Krieg nachgewiesen werden.[56] Man darf davon ausgehen, dass diese Lieder nicht für die Landsknechte selbst, sondern für ein breiteres Publikum verfasst wurden.[57] Dennoch wurde die Aufführung eines Liedes im Kontext des Krieges und dessen Authentizität sogar von Zeitgenossen behauptet. Es ist überliefert, dass der Luzerner Zytt Wäber, der Dichter des Liedes „O Österreich“ auf die Schlacht von Grandson (1476), in der Schlacht selbst verwundet worden und später seinen Verletzungen erlegen sei.[58] Und Adam Reißner postulierte, dass Georg von Frundsberg, Landsknechtführer im habsburgischen Dienst, das Lied „Mein Fleiß und Müh‘ ich nie hab gspart“ nach der Schlacht bei Pavia im Jahr 1525 komponiert und gesungen habe.[59]