You are here

Codex Cremifanensis 81

Christian Neuhuber

Der Sammelband Codex Cremifanensis 81 (» A-KR CC 81) der Stiftsbibliothek Kremsmünster wurde dem Kloster zusammen mit über 30 weiteren Codices vom Schleißheimer Pfarrer Johannes Seld de Leubs (Langenlois)[3] dediziert. Es war dies eine Gegengabe für ein Anniversarium, das er sich 1440 am Tag der Hl. Petronella (31. Mai) bei seinen Gebetsbrüdern in der oberösterreichischen Benediktinerabtei stiftete. Der Codex im Quartformat enthält auf 188 Blättern 15 Teile mit 41 Texten von mehreren Händen aus gut einem Jahrhundert.[4] Der 22. Beitrag im Teil VI auf fol. 86v–88v ist der ludus de sancta dorothea, der durch den Verlust einer Lage nur als Fragment von 271 Versen erhalten ist.[5] Niedergeschrieben wurde das Stück vom mittelschlesischen Schreiber B, einem Nachfolger des Schulmeisters Nikolaus von Reichenberg. Dieser hatte auf fol. 80 das Datum 14. August 1340 vermerkt, das als terminus post quem die Datierung des Fragments in die 40er Jahre des 14. Jahrhunderts ermöglicht. Die Sprache und inhaltliche Zusammenstellung der Teile IV und VI lassen zumindest für diese Teile eine Stadtschule in der Diözese Breslau als Entstehungsort vermuten. Einem österreichischen Zwischenbesitzer (Schreiber D) vor 1440 sind mittelbairische Korrekturen und Anmerkungen in Bastarda-Schrift im Spiel zu verdanken, das ihm offenbar noch vollständig vorlag. Dieser Schreiber war musikalisch interessiert: Auf fol. 35r/v notierte er drei Lieder(fragmente), darunter ein lateinisches Lied auf die Hl. Margarethe mit Melodie in schwarzer Mensuralnotation (» B. Geistliches Lied). Dass er den Text als mögliche Aufführungsgrundlage sah, scheinen seine Korrekturen und Anmerkungen jedenfalls nicht auszuschließen.

Der Ludus wurde in gotischer Buchschrift mit lateinischen Bühnenanweisungen und deutschem Rollentext ohne Markierung der Versgrenzen niedergeschrieben. Die oberste Textzeile von fol. 86v ist durch Beschnitt nur mehr zum Teil [domini amen] erhalten, die zweite Zeile ist über das ganze Blatt geschrieben [Incipit ludus de sancta dorothea Pr[ecursor] dicit ricmum qui proponit ludum], der Rest ist zweispaltig. Das fragmentarisch erhaltene Spiel ist eine relativ flüchtige Abschrift zur Sicherung, wohl ohne konkrete Aufführungsintention, wie das kontextuelle Umfeld einer Lehrstoffsammlung vermuten lässt. Doch könnte die Niederschrift auf einem Spielbuch basieren, dessen Rollenanweisungen im fortlaufenden Text mit Trennungsstrichen vom Sprechtext abgehoben wurden.

 

Abb. Dorothea-Spiel

Abb. Dorothea-Spiel

Dorothea-Spiel. Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Sammelband » A-KR CC 81, fol. 86v: Beginn des ludus de sancta dorothea, kurz nach 1340.

 

Transkription und Übersetzung des Textanfangs:

[In] nomine domini amen.Incipit ludus de sancta dorothea. Pr[ecursor] dicit ricmum qui proponit ludum.[N]u swigit ir iungen unde ir alden. daz sin got můse walden.In alle dysen dingen. daz eyn ichlich mensche wil beginnen.So sal her zcu dem ersten ruffen an. dez allerbesten dez her kan.Daz daz ende werde gut. myt minnir sunde unde myt meren gut.Dez hel/fe unz got zcu disin dingin. daz unz alhi muze wol gelingin.unde dy heylege iuncvrov dorothe. daz unz der hulfe werde me.Unde dy gnade dez heyligen geyst. nu sin/ge wir alle dysen leys:Nu bitte wir den heyligen geyst etc et can/tat <on> omnis populus. Post cantum iterum dicit:Iz ům den zanc den ir hat vol brocht. do gebe uch umme got craft unde macht.Czu sen unde zcu halden. Got der můse unsir spilles walden.Nu horet unde merket also wol. wen ich nů kunden sol.Von sente dorotea der blůmen. wy sy zcu der marter sy comen.

[Im] Namen Gottes Amen.Es beginnt das Spiel von der Hl. Dorothea. Der Pr[aecursor] spricht die Verse, die das Spiel einleiten.Nun schweiget, ihr Jungen und ihr Alten. Damit Gott dessen walte.In allen diesen Dingen, die ein jeder Mensch will beginnen,Soll er zum Ersten rufen an, so gut wie er immer kann:Damit das Ende werde gut, mit geringerer Sünde und vermehrtem Gut,So helfe uns Gott zu diesen Dingen, damit sie uns hier wohl gelingen,Und die heilige Jungfrau Dorothe, dass uns der Hilfe werde mehr.Und die Gnade des Heiligen Geists, so singen wir alle diesen Leis:Nun bitten wir den heiligen Geist usw., und alle Leute singen.Nach dem Gesang spricht er weiter:Nun für das Lied, das ihr habt vollbracht, dafür geb‘ euch Gott Geschick und Kraft,Zu sehen und zu behalten, Gott soll unseres Spieles walten.Nun hört und merkt euch darum gut, von wem ich nun erzählen will:Von Sankt Dorothea der Blume, wie sie kam zum Martyrium.

[3] „Johannes Seld de Lewbsa“, Sohn des Ulreich Seld, immatrikulierte 1401 an der Wiener Universität. 1433 verpfändete er für ein Darlehen eineinhalb Joch eines in Langenlois gelegenen Weingartens an den Kremsmünsterer Abt. Nicht zu verwechseln mit dem späteren Rektor „Johannes Seld de Wyenna“, vgl. Uiblein 1999, 108f.

[4] Vgl. Fill 2000, 402–414.

[5] Vgl. Ukena 1975, 337–349.