Überlieferung der Lautenmusik: Namen und „Werke“
Die Überlieferung der Lautenmusik aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert ist von zwei Tendenzen gekennzeichnet: Einerseits hat die Geschichte die Namen von Menschen überliefert, deren Verdienste als Hoflautenisten dokumentarisch belegt sind. Die bekanntesten Beispiele im süddeutschen Raum sind „Artus lautenschlagenmeister“ beziehungsweise Artus von Enntz Wehingen (Albrecht Morhanns), der ab 1489 im Dienste von Maximilian I. stand;[36] Adolf Blindhamer, der ab 1503 Mitglied derselben Hofkapelle war und bis zum Tode von Maximilian I. (1519) den Titel „lawtenslaher kays. M[ajestä]t“ trug,[37] sowie Felix Hungersperger, den Albrecht Dürer 1520 in zwei Zeichnungen verewigte und den die spätere Literatur als „unter den kaiserlichen Musikern der vorzüglichste“ rezipierte[38] (» Abb. Felix Hungersberger).
Die Suche nach „Autographen“ oder den „Werken der Komponisten“ ist andererseits für die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts meist vergeblich, denn es gibt nur relativ wenige Lautenstücke, aus denen die Musikwissenschaft anhand von Namen oder Monogrammen zumindest eine bedingte Zuschreibung der Musik zur Person oder deren Umgebung ableiten kann. Das Manuskript PL-Kj Berol. Mus. ms. 40154 enthält beispielsweise eine Muteta Adolf sequitur, fol. 12v, mit dem Hinweis auf Adolf Blindhamer. Bayses moi Felix lutinist aus dieser Handschrift, fol. 11r, Zeilen 1-2, bezieht sich wahrscheinlich auf Felix Hungersberger, und mit preludij ludwigs blanckenheim, fol. 20v, ist wohl ein weiterer Lautenist – Ludwig Blanckenheim – verewigt. Der größte Teil des überlieferten Lautenrepertoires gehört jedoch in eine andere soziale Sphäre – der mittleren bürgerlichen Schicht, die nur indirekt belegbar und meist nicht mit Namen oder gar Lebensläufen zu greifen ist.
[36] Vgl. » I. Instrumentalkünstler; Malecek 1957/58, 85.
[37] Kirnbauer 2003, 243; Kirnbauer 2007, 347-359; » I. Kap. Lautenintabulierungen von Adolf Blindhamer.
[38] Kirnbauer 2003, 250-253; Heller 1827, 22.
[1] Ausführlicher vgl. Malecek 1957/58, 73-89, und » E. Musiker in der Stadt.
[2] Malecek 1957/58, 89.
[3] Boos 1878, 135-136; eine kürzere Version des Textes bei Daniel Albert Fechter, Thomas und Felix Platter. Zwei Autobiographieen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des XVI. Jahrhunderts, Basel 1840, 124.
[4] Heinrich Bebelius, Opusculum de institutione puerorum, Straßburg 1506 und 1513, zit. nach Niemöller 1969, 538-539.
[5] Zit. nach Vormbaum 1860, 140.
[6] Vgl. „Hermann von Weinsberg“, in: Repertorium Academicum Germanicum (RAG), https://database.rag-online.org/viewer.p/1/4/object/46-2212430 RAG-ID: ngRH3I072QJ80gnllRKgaPdI (Zugang 25.01.2019).
[7] Weinsberg 1537, zit. nach Niemöller 1969, 266.
[9] Király 2010, 134.
[10] Király 2010, 133.
[12] Martinez-Göllner 1969, 29-48; Göllner 1979; Ness 1984.
[13] Schreiberklassifikation nach Martinez-Göllner 1969, 41-43.
[14] Reichert-Lechner 1953, 196-197.
[15] Der Begriff chitara wurde im 16. Jahrhundert oft als ein Sammelbegriff für die Saiteninstrumente wie Laute, Quinterne oder Lyra verwendet.
[16] Reichert-Lechner 1953, 187, 189, 190-192, 193 Anm. 1.
[17] Josef Zuth, Handbuch der Laute und Gitarre, Hildesheim, Zürich, New York 2003, 254.
[18] Alciato 1531, fols. A2v-A3r.
[19] Das Geburts- und Todesjahr von Bulling sind nicht bekannt. Es ist allerdings nachweisbar, dass er bis 1554 in Augsburg steuerpflichtig war: Maué 2003–2005, 59.
[20] Boos 1878, 135.
[21] Maué 2003–2005, 57.
[22] Salmen 1976, 106-107.
[23] Vgl. Salmen 1976, 147.
[24] Übersetzung nach Julius Wegeler, Philosophia patrum versibus praesertim Leoninis rhythmis germanicis adiectis, iuventuti studiosae hilariter tradita, Koblenz 1869, 52, Nr. 672. https://archive.org/details/philosophiapatr00wegegoog/page/n62/mode/2up/search/Nescio+quid+sit+amor.
[25] Salmen 1976, 106.
[26] Fischart 1849, 116, 103.
[27] Fischart 1849, 97, 101, 98, 113.
[28] Loesch 2003, 116. Loesch erklärt allerdings, diese Tradition erlösche mit dem Dodekachordon, was angesichts theoretischer Schriften aus dem 17. Jahrhundert (u.a. Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris, metaphysica, physica atque technica historia, Oppenheim 1617-1621 und Johannes Kepler, Harmonices Mundi, Linz 1619) nicht haltbar ist.
[29] Fischart 1849, 101.
[30] Fischart 1849, 115, 112.
[31] Fischart 1849, 110.
[32] Fischart 1849, 111.
[33] Fischart 1849, 113.
[34] Die Einspielungen für diesen Essay wurden von John Martling, Studierendem der Schola Cantorum Basiliensis (Klasse Prof. Marc Lewon) hergestellt.
[35] Fischart 1849, 100.
[36] Vgl. » I. Instrumentalkünstler; Malecek 1957/58, 85.
[37] Kirnbauer 2003, 243; Kirnbauer 2007, 347-359; » I. Kap. Lautenintabulierungen von Adolf Blindhamer.
[38] Kirnbauer 2003, 250-253; Heller 1827, 22.
[39] Christian Meyer meinte hier „Ich Hans Antonius“ zu lesen. Das vermutliche Wort „Hans“ beginnt jedoch eindeutig mit „ch“, genauso wie „ich“ vorher endet. Meyer 1986, 275.
[40] Einsicht in die Handschrift verdanke ich der Biblioteka Kapitulna in Wrocław. Eine vollständige Edition in Faksimile von Dr. Grzegorz Joachimiak im Verlag der Karol Lipiński Akademie für Musik, Wrocław, ist in Vorbereitung. Die Abbildungen von Titelblatt und fols. 38r und 45r erfolgen hier mit besonderer Genehmigung der Biblioteka Kapitulna, des Verlages und des Herausgebers.
[41] In der Musikwissenschaft hat sich seit dem Beitrag von Max Schneider eine andere Lesart, nämlich „J. C. Pogkhner“ etabliert. Der Nachname lässt sich jedoch eher als „Hogkhner“ lesen. (Für die Hilfe beim Lesen danke ich Edit Anna Lukacs.) Alle Forscher wiederholen außerdem das von Max Schneider falsch gelesene Datum 1537. Vgl. Schneider 1929, 176; RISM B VII, 371; Meyer 1986, Bd. I., 282.
[42] 1554 I A35, in: Gall-Szaivert 1971, 105.
[43] Dass die Sentenzen, wie in diesem Fall, nur partiell verwendet wurden, kommt in den Lautenbüchern häufig vor: vgl. Schöning 2020, 214-220. Dieses Zitat würde vollständig lauten: „Nec te collaudes nec te culpaveris ipse; hoc faciunt stulti, quos gloria vexat inanis.“ (Lobe dich nicht selbst und mach dir vor anderen keine Vorwürfe; Narren tun dies, die eitle Ruhmsucht plagt), in: Hubertus Kudla, Lexikon der lateinischen Zitate, München 2007, 254, Nr. 1617.
[44] Vgl. Baldzuhn 2009, 310f.; Schöning 2020, 214-220.
[46] Der Name ist aufgrund seiner weiten Verbreitung im süddeutschen Sprachraum ebenso schwer identifizierbar wie die anderen.
[47] Vgl. Ivanoff 1988; Young 2003, 25-142. Das Faksimile der Handschrift PES ist komplett bei Young-Kirnbauer 2003, 25-127 abgedruckt. In der einzigen kompletten Edition von PES (Ivanoff 1988, Bd. II) sind die Abschriften des Faksimiles gegenüber der Transkription um eine Seite verschoben. Die Transkription enthält keine originalen Taktstriche und Ivanoffs Unterteilung in regelmäßige Takte ist nicht immer nachvollziehbar. Die Übertragung nach dem Faksimile hat zudem keine Folio-Angaben, nur lückenhafte Seitenzahlen. Einen kompletten Index des PES mit Folio- und Seitenangaben bietet Young-Kirnbauer 2003, 140f.
[48] Young 2003, 133.
[49] Vgl. Ivanoff 1988, 155-158.
Empfohlene Zitierweise:
Kateryna Schöning: “Lautenisten und Lautenspiel in der bürgerlichen Gesellschaft des frühen 16. Jahrhunderts”, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/lautenisten-und-lautenspiel-der-buergerl… (2020).