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Laute als Symbol. Darstellungen in Dichtung und Bild

Kateryna Schöning

Welche Rolle die Laute im Musikleben des 16. Jahrhunderts spielte, verdeutlichen nicht zuletzt die Erwähnungen dieses Instrumentes in der Dichtung und entsprechende bildliche Darstellungen. Insgesamt lässt sich das Material in vier Sinngruppen erfassen: Laute als Symbol des humanistischen Bündnisses;  Laute als Liebessymbol; Laute als Symbol himmlischer Perfektion; Laute in spöttischer Tafelkultur.

Laute als Symbol des humanistischen Bündnisses
Das Emblematum Liber (1531), ein das ganze 16. Jahrhundert über bekanntes Buch mit Loci communes des Juristen und Humanisten Andrea Alciato enthält u.a. eine Abbildung der Laute als Symbol eines wohl auch humanistisch verstandenen foedus (Bündnisses). In der vom Humanisten Konrad Peutinger (1465–1547) in Augsburg veranlassten Erstausgabe steht unter dem Titel „Bundsgenossen“, in der deutschsprachigen Variante folgende Sentenz zum Lauten-Symbol (» Abb. Laute als Bündnissymbol):

So du Furst yetz zu dieser zeyt / Machst newe bundnuß, schenck ich dier / Ein lautten, merck was die bedeyt, / Vnd nim sy gnediklich von mier. / Ein lautte hallt mit grosser zier, / Soll nicht wo nur ein saytt abschnolt: / Ein steter bund schreckt alle thier, / Gilt nicht, wo nur ein bundßgnoß folt.[18]
(Wenn du, Fürst, jetzt zu dieser Zeit ein neues Bündnis schließest, schenke ich dir eine Laute; merke, was sie bedeutet, und nimm sie gnädig von mir an: Eine Laute klingt mit großer Schönheit, doch nicht, wo nur eine Saite abspringt. Ein permanenter Bund erschreckt alle Tiere, er gilt aber nicht, wo ein einziger Bundesgenosse fehlt.)

 

 

Es geht hier um den allegorischen Vergleich der Zierlichkeit und der Unabdingbarkeit aller klingenden Saiten mit dem Vertrauen und dem Einverständnis, die ein Bündnis erst ermöglichen. Somit wird eine der tragenden Ideen des Humanismus, die Etablierung eines eigenen Netzwerkes unter Gleichgesinnten, hervorgehoben.

Ob auch die Darstellung des Augsburger Humanisten und Lautenisten Veit Bulling[19] auf einer Medaille von 1525 ein Zeugnis eines humanistischen Bündnisses war, ließ sich noch nicht feststellen (» Abb. Veit Bulling, 1525). Es ist jedenfalls belegt, dass Bulling Felix Platter auf der Laute unterrichtete.[20]

 

 

Auf der Medaille ist Bulling in einer für die Gelehrten typischen Kleidung dargestellt. Die Inschrift lautet: „VIT.BVLLING.LVTIIIIST“ („Vit. Bulling. Lutinist”) und ist auf der anderen Medaillenseite mit der Abbildung einer 6-chörigen Renaissance-Laute inmitten der Jahreszahl 1525 versehen.[21] Ein Bündnis unter Scholaren umfasste durchaus auch fahrende Gesellen. Diese Tradition scheint illustriert in der Abbildung eines fahrenden Wagens mit einem darauf stehenden  Lautenisten, der einem anderen jungen Herrn vorspielt, aus dem verschollenen Stammbuch des Burggrafen Achatius zu Dohna um 1550 (» Abb. Lautenist als fahrender Gesell).

 

 

Laute als Liebessymbol
Im Sinne des Bündnisses hat sich die Laute auch in der Liebessymbolik etabliert. Für die Zeit um die Jahrhundertwende und das frühe 16. Jahrhundert ist vor allem die Darstellung der Laute als Attribut des „hoffierens“ – des Musizierens vor dem Fenster der verehrten Frau, typisch. Diese wohl auf den mittelalterlichen Frauenkult zurückzuführende Liebeswerbung breitete sich im Bürgertum, vom armen Studenten bis zum angesehen Bürger, aus: Das Spielen und Singen konnte sowohl allein als auch mit Ensemble, mit eigenen Kräften oder auch durch gemietete Musiker stattfinden.[22] Eine drastische satirisch-moralisierende Beschreibung „Von nachtes hofyeren“ der Sitte findet sich im Narrenschiff (1494) von Sebastian Brant:
 

Wer vil lust hat wie er hofier
Nachts vff der gassen vor der thur
Den glust / das er wachend erfrür
Jetz wer schyer vß der narren dantz
Aber das spiel wer nit all gantz
Wann nit hie weren ouch die löffel
Die gassentretter / vnd die göffel
Die durch die nacht keyn ruw went han
Wann sie nit vff der gassen gan
Vnd schlagent luten vor der tür
Ob gucken well die mätz har für
Vnd kumen vß der gassen nit
Biß man eyn kamer loug jnn gytt
Oder sie würffet mit eym steyn
Es ist die freüd jn warheyt kleyn […]

Sebastian Brant, Das Narrenschiff,
Basel 1494, SLUB, Ink.394.4, LXII/108
(urn:nbn:de:bsz:14-db-id3095394715)

Wer Lust verspürt, daß er hofiere
Nachts auf der Gasse vor der Thüre,
Den lüstet, daß er wachend friere
Jetzt wär’ schier aus der Narrentanz,
Aber das Spiel doch noch nicht ganz,
Wenn nicht hier wären auch die Löffel,
Die Gassentreter und die Göffel,
Die durch die Nacht nicht ruhen können,
Wenn sie nicht auf der Gasse rennen
Und schlagen Laute vor der Thür,
Ob nicht das Mädchen schau’ herfür.
Nichts Andres von der Straß’ sie bringt,
Bis man mit Kammerlaug’ sie zwingt
Oder sie grüßt mit einem Stein.
Es ist die Freud’ in Wahrheit klein […]

Sebastian Brant, Das Narrenschiff,
Leipzig 1877 (hrsg. von H. A. Junghans), LXII/108
(http://www.zeno.org/nid/20004592476)


Die dazugehörige Grafik in Brants Basler Druck illustriert eines der möglichen Missgeschicke dieser Aktion „mit Kammerlaug“, eine Wiener (?) Zeichnung von 1489 imitierend (vgl. » Abb. Musikalische Darbietung von Scholaren). Eine friedlichere Szene des Hofierens, nun im Hochbürgertum, ist in einer Zeichnung aus dem Stammbuch des Burggrafen Achatius zu Dohna um 1550 dargestellt.[23] (» Abb. Musikalisches Hofieren).

 

Abb. Musikalisches Hofieren

Abb. Musikalisches Hofieren

Federzeichnung aus dem verschollenen Stammbuch des Burggrafen Achatius zu Dohna, um 1550 (Bildzitat nach Salmen 1976, 147).

 

Die über den vier Männern stehende Sentenz „Nescio quid sit amor, nec amo nec amor nec amavi. / Hoc scio, quisquis amat, uritur igne gravi“ (Ich weiss von Liebe nichts zu sagen, / Wer aber liebt, hat viele Plagen)[24] ist in ihrer metrischen Struktur ein elegisches Distichon, welches zu den unter den Scholaren geübten Metren gehörte und vielleicht als Kontrapunkt zur hier ironisierten Liebespoesie gedacht war. Die Sentenz und das Bild werfen die Frage auf, welches Repertoire unter dem Fenster aufgeführt wurde, denn poetische Verse konnten in der Tat mit Laute gesungen oder skandiert werden. Das in der Literatur erwähnte „Ständchensingen“[25] muss offenbar deutlich erweitert betrachtet werden, zumal im Narrenschiff beim Hofieren auch der „dantz“ erwähnt wird (vgl. Laute in spöttischer Tafelkultur).

Laute als Symbol himmlischer Perfektion
In seinem 1572 publizierten Poem Ain Artliches Lob der Lauten besingt der süddeutsch-schweizerische Dichter Johann Fischart (1546/47–1591) die Eigenschaften dieses Instrumentes, seinen Gebrauch und das Repertoire, wobei er direkt oder indirekt auf die früheren Zeiten zurückgreift und so frühere Ansichten durchblicken lässt. Aus seinen Zeilen geht hervor, dass die Wahrnehmung der Lautenmusik durch musiktheoretische und philosophische Vorstellungen des Mittelalters und des frühen 16. Jahrhunderts über die Sphärenharmonie geprägt war. Der Lautenklang wie auch der Bau des Instrumentes entspreche der „ Himmelssphären Concordantz“; die Vollkommenheit im Lautenklang rufe „Die himmlisch Concordantz“ auf.[26] Der Lautenspieler könne dadurch die Harmonie von Leib und Seele erreichen beziehungsweise sie wiederherstellen, denn das Lautenspiel mache gütig, freundlich, sittig; es „formieret Herz“, mindert Unsinnigkeiten, hilft „Ungreine gdancken zu verjagen“ oder „von bösen gelüsten [zu] kehren“.[27] Die musiktheoretische Erfassung der Sphärenmusik wird von Nicolaus Wollick 1501, Johannes Cochlaeus 1511, Andrea Ornitoparch 1517 und Sebastian Felsztyn 1524 aufrechterhalten und findet sich auch im  Dodekachordon von Heinrich Glarean 1547.[28]  Fischart vermischt humanistisch-mythologische und christliche Vorstellungen über die vollkommene Musik, welche in seiner Darlegung mit der Lautenmusik identisch ist. Die Laute wird als Orpheus‘ Instrument, die Mutter aller Musik gepriesen – wohl ein Gemeinplatz aus der Lehrliteratur des 16. Jahrhunderts. Den Begriff „Laute“ leitet er aus dem Lateinischen laudare – „loben, preisen“ ab, und verbindet ihn mit dem Lob des Gottes.[29] Zugleich stehe die Laute den gutmütigen Menschen („So jede Edel Creatur / Und fürtreffliche Natur“), und den Kunstgelehrten, zur Verfügung.[30] Das Instrument bewege zu Arbeit und Fleiß, zum Lehren und Lernen. Die Konnotation zur humanistischen Tugend ist hier nicht zu übersehen.[31] Besonders deutlich wird die humanistische Lehr- und Lerntradition in Fischarts Schilderung der alten Zeiten, hier erwähnt er die instrumentale Begleitung von historischen Erzählungen und Lehrgedichten:

Zu freündtschafft und standmüttigkeyt,
Zu schönen gdancken, süsser Red:
In sonderheyt so man auch thet
Gleich wie die Alten allesammen,
Die ihr [der Laute] zu hülff mit worten kamen,
Und sungen drein ein dapffer gschicht
Oder ein nützlich Lehr gedicht,
Darmit der Mensch mit süssem klang
Nutz schöpffet auß der wort gesang […]“[32]


Laute in spöttischer Tafelkultur
Wie die Quellen zeigen, ist es nicht immer gelungen, mit der Laute, wie Fischart schrieb, „Ungreine gdancken zu verjagen“ und „von bösen gelüsten [zu] kehren“.[33] Seine Poetisierung der Laute war zum Teil sehr idealistisch. Lautenisten pflegten nicht nur damals gebräuchliche Psalmen und Lieder, oder „künstlich stücken und muteten“, also den kolorierten Gesang „Zu nützlich gdichten von Poeten“, wie in  » Notenbsp. Maecenas atavis für die Laute. Tabulaturhandschrift PL-WRk 352; » Hörbsp. ♫ „Maecenas atavis“ für die Laute):[34]

 

 

Lautenisten pflegten auch „Schandparkeit“ und „ungfläterey“.[35] Zu den „iauchtzen, truncknen liedern“ und Tänzen schrieben sie passende spöttische gereimte Verse auf Deutsch, wie es uns die Handschrift D-KA, Don Mus. Autogr. 1, fols. 1r und 2r, überliefert: “Kus mich du Jm loch, du geschissen Koch”, oder “O Meythle nim mich dich[?]/ Dinn Eygenn bin ich” (» Abb. Der Benzennawer Inn Tannz Weiss, » Abb. Der schwarz knab; » Notenbsp. Der Benzennawer Inn tannz weiss, » Notenbsp. Der Benzennawer gar guth). 

 

Abb. Der Benzenawer Inn Tannz Weiss.

Abb. Der Benzenawer Inn Tannz Weiss

D-KA, Don Mus. Autogr. 1, fols. 1r. Wiedergabe mit Genehmigung der Badischen Landesbibliothek.

Titel: „Der Benzennaw/er Inn Tannz/weiss“. Verse: „ Gang hin vnnd thu es mer, Es wirtt gnug werdenn ser” und “Kus mich du Jm loch, du beschissen koch”.

 

 

Notenbsp. Der Benzennawer Inn Tannz Weiss

Notenbsp. Der Benzennawer Inn Tannz Weiss

D-KA Don. Mus. Autogr. 1, fols. 1r-1v, Zeilen 1-2. (» Abb. Der Benzennawer Inn Tannz Weiss zeigt nur T. 1-27.) Transkription von Kateryna Schöning in der A-Stimmung. Nicht mehr sichtbare Noten wurden in eckigen Klammern ergänzt. In T. 11 (mit * bezeichnet) schrieb der Notist statt “l” ein oben gestrichenes “l”, d.h. in der A-Stimmung den Ton f statt c.

 

Notenbsp. Der Benzennawer gar gut

Notenbsp. Der Benzennawer gar gut

D-KA Don. Mus.Autogr. 1, fols. 1v, Zeilen 3-4 bis fol. 2r, Zeilen 1-2. (Abb. Der schwarz knab zeigt nur das Ende des Stücks, gefolgt von dem hier nicht transkribierten Stück, „Der schwarz knab danz wais gefloriert“.) Übertragung vom Original in der A-Stimmung von Kateryna Schöning.

 

Solche Stücke wurden gern auch „vertuscht“: So verstecken sich unter humanistischen Überschriften wie Elegiacum, die eher auf metrische Übungen schließen lassen (wohl „ein nützlich Lehr gedicht“: vgl. Laute in humanistischen Kreisen), andere Musikformen, wie zum Beispiel ein Tanz (» Notenbsp. Elegiacum; » Hörbsp. ♫ Elegiacum).

 

Notenbsp. Elegiacum. Tabulaturhandschrift PL-WRk 352, fol. 38r. (2 Abbildungen)

Notenbsp. Elegiacum. Tabulaturhandschrift Pl-WRk 352, fol. 38r.
Notenbsp. Elegiacum. Tabulaturhandschrift Pl-WRk 352, fol. 38r

(a) Faksimile. © Biblioteka Kapitulna, Wrocław. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Verlages der Karol Lipiński Akademie für Musik, Wrocław, der die vollständige Faksimile-Edition der Handschrift durch Gregorz Joachimiak vorbereitet.

(b) Transkription Kateryna Schöning (originalgetreue Übertragung in der A-Stimmung). Vgl. » Hörbsp. ♫ Elegiacum.

 

[18] Alciato 1531, fols. A2v-A3r.

[19] Das Geburts- und Todesjahr von Bulling sind nicht bekannt. Es ist allerdings nachweisbar, dass er bis 1554 in Augsburg steuerpflichtig war: Maué 2003–2005, 59.

[20] Boos 1878, 135.

[21] Maué 2003–2005, 57.

[22] Salmen 1976, 106-107.

[23] Vgl. Salmen 1976, 147.

[24] Übersetzung nach Julius Wegeler, Philosophia patrum versibus praesertim Leoninis rhythmis germanicis adiectis, iuventuti studiosae hilariter tradita, Koblenz 1869, 52, Nr. 672https://archive.org/details/philosophiapatr00wegegoog/page/n62/mode/2up/search/Nescio+quid+sit+amor.

[25] Salmen 1976, 106.

[26] Fischart 1849, 116, 103.

[27] Fischart 1849, 97, 101, 98, 113.

[28] Loesch 2003, 116. Loesch erklärt allerdings, diese Tradition erlösche mit dem Dodekachordon, was angesichts theoretischer Schriften aus dem 17. Jahrhundert (u.a. Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris, metaphysica, physica atque technica historia, Oppenheim 1617-1621 und Johannes Kepler, Harmonices Mundi, Linz 1619) nicht haltbar ist.

[29] Fischart 1849, 101.

[30] Fischart 1849, 115, 112.

[31] Fischart 1849, 110.

[32] Fischart 1849, 111.

[33] Fischart 1849, 113.

[34] Die Einspielungen für diesen Essay wurden von John Martling, Studierendem der Schola Cantorum Basiliensis (Klasse Prof. Marc Lewon) hergestellt.

[35] Fischart 1849, 100.