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„Mehrfacher Sinn“: Maria als Mutter des zukünftigen Herrschers

Birgit Lodes

Im Weißkunig, der von Maximilian selbst mitverfassten deutschsprachigen (Auto-) Biographie, sind zahlreiche Passagen den Erzählungen des Lebens Jesu nachgebildet. Maximilian wird als gottgleicher Welterlöser inszeniert – was zwar in der überkommenen Tradition der Herrscherlegitimation (dass alle rechtmäßigen Könige und Kaiser von Gott erwählt und eingesetzt sind[24]) steht, gleichzeitig aber in Plastizität und Intensität deutlich darüber hinausgeht. So etwa hat die Schilderung der Geburt des Weißkunigs das Lukasevangelium zum Vorbild: Ein hell strahlender Komet erscheint als ein besonderes „zaichen und offenbarung“, und die Mutter gebiert fast ohne Schmerzen.[25]

 

Abb. Geburt des Jungen Weißkunig

Abb. Geburt des Jungen Weißkunig

Geburt des Jungen Weißkunig (Maximilian) als Christus. Holzschnitt aus » A-Wn Cod. 3033, fol. 14v (um 1515?), der sogenannten Handschrift „F“ des Weißkunig mit 140 Holzschnitten (Probedrucken) und handschriftlichen Bildtiteln.

(Mit Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek.)

 

Besonders augenfällig wird dies im zugehörigen Holzschnitt, in dem die Geburt Christi und diejenige Maximilians ineinandergleiten (» Abb. Geburt des Jungen Weißkunig). Obwohl es sich eindeutig um Maximilians (alias Weißkunigs) Geburt handelt, steht auf der Wiege „IHS“ – also das Nomen sacrum „Jesus“ – und die Beischrift lautet: „Wie die kunigin schwanger ward und ain sun geporen ward.“[26] Durch diese Gleichsetzung, dieses selbstverständliche Anknüpfen an die Heilige Sphäre, erfährt der weltliche Herrscher göttliche Legitimation.

Auch in der lateinischen, von Joseph Grünpeck verfassten Biographie, der Historia Friderici et Maximiliani,[27] ist die göttliche Sendung bereits bei Maximilians Geburt herausgestellt. In der Albrecht Altdorfer zugeschriebenen Federzeichnung „Das erste Bad des kleinen Maximilian“ steht (!) der Neugeborene in dem Badezuber, neben ihm seine wiederum mit „IHS“ markierte Wiege.[28] Überhaupt werden in der Schilderung der Kindheit und der Lebensgeschichte Maximilians im Weißkunig, in der Historia und im Theuerdank viele weitere Parallelen zu Episoden aus dem Leben Jesu geknüpft – angefangen vom Hüpfen des ungeborenen Kinds im Leib der Mutter bis hin zur Kreuztragung,[29] so dass der Kunsthistoriker Larry Silver sein Erstaunen nicht verhehlen kann: „What is so impressive […] is the equation of Maximilian with Christ himself, of his mother with Mary, and of his baptizer with Simeon.“[30]

Während viele Ahnen Maximilians erst im Laufe seines Lebens zunehmend bemüht und inszeniert wurden, war die Parallelsetzung ,Maximilian als Jesus‘ eine bereits in burgundischer Zeit etablierte: Jean Molinet, dem burgundischen Hofschreiber, war es ein besonderes Anliegen, den aus der Fremde kommenden jungen Herrscher mit allen rhetorischen Mitteln kunstvoll als Retter zu legitimieren. In seinen Chroniques kleidete er Maximilians Werbung in die Worte der Verkündigung Mariae in der Bibel (die Herzogin Maria wird angesprochen mit „Tu es bien heurée entres les femmes“ – und sie antwortet entsprechend als Magd des Herrn) und verkündete die Ankunft des Erlösers: Maximilian komme gegen den Widerstand böser Mächte als „lux in tenebris“ nach Burgund[31] (vgl. die 3. Zeile des Textes Salve diva parens: „Qua lux vera, deus, fulsit in orbem“; siehe dafür Kap. „Mehrfacher Sinn“ von Text und Musik der Missa Salve diva parens).

Im Kontext der Königskrönung war diese Stilisierung für Molinet vor dem Grundgedanken der Legitimation von besonderer Relevanz. Er inszenierte Maximilian als Messias: „Der Höchste König der Könige, der Herrscher der Welt, hat uns gnädiglich angeblickt und, um uns aus unserer Gefangenschaft zu retten, eine reine Magd namens Maria ausgewählt, von königlichem Geschlecht, wie eine Lilie unter Dornen, und hat von seinem herrschaftlichen Sitz den Erzherzog Maximilian in unsere Gegend herabsteigen lassen, seinen sehr geliebten Sohn, der, nachdem er sich in diesem mühsamen Jammertal voller Feinde fand, mit Hilfe wohlgesinnter Menschen die Feinde in Bann geschlagen hat […]“.[32] Es folgen eine Vielzahl von Bildern aus dem Leben und Leiden Jesu, unter anderem: Maximilian habe das Kreuz getragen, größtes Leid auf sich genommen, sei auferstanden, mit höchstem Glanz zu seinen Eltern und Freunden aufgefahren und habe zu seinem Vater gesagt: „Pater, manifestavi nomen tuum hominibus.“ (Joh. 17,6).[33]

Molinet beendete seine Berichterstattung von der Königskrönung (einschließlich der Antrittsbesuche in den flandrischen Städten) mit einem umfangreichen, „Le Paradis Terrestre“ betitelten Kapitel, das als Herzstück seiner Chroniques überhaupt angesehen werden darf.[34] Darin vollzieht er eine übergreifende Deutung der Ereignisse und vergleicht den Kaiser (Friedrich III.), den König (Maximilian) und dessen Sohn Philipp mit der Heiligen Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist, wobei bei letzterem freilich die Parallele am schwierigsten ist. Philipp, so Molinet, würde zwischen Vater und Sohn hin- und hereilen und fliegen wie der Heilige Geist. Und damit nicht genug; Molinets Parallelisierung von Kaiser, König und Herzog mit der Dreifaltigkeit ist eingebettet in einen poetischen Gesellschaftsentwurf, den „ciel imperial“ (kaiserlicher Himmel), bei dem Mond, Merkur und Venus als nächststehende Planeten für die Bauern, den Handel und das Bürgertum stehen. Die Sonne, in der Mitte der Planeten, wird mit der Kirche und den alten Kirchenlehrern und Philosophen gleichgesetzt; der Mars mit dem Adel; Jupiter, als Sohn des Saturn und strahlendster Planet, mit den römischen Königen, unter ihnen besonders Maximilian; Saturn schließlich, der am weitesten entfernte Planet, mit dem Kaiser.[35]

In mehrfacher Hinsicht fließen also bereits bei Molinet die Bilder ineinander, indem er für Maximilian sowohl sakrale als auch – in ebenso alter Tradition – mythische Rollen bemüht: Zum einen setzt er Kaiser, König und Herzog mit Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist parallel und stilisiert die burgundische Herzogin Maria analog zur Mutter Gottes als erwählte Frau. Zum anderen vergleicht er die gesellschaftliche Ordnung mit der Ordnung der Gestirne. Die Assoziation „Jupiter“ schwingt, wie oben gezeigt, auch in der Formulierung „rector orbis“ im Text Salve diva parens mit und sie kehrt in der Maximilian-Panegyrik häufig wieder, ganz prominent in Conrad Celtis’ auf Friedrich III. verfassten Dichterkrönungsode von 1487, in der er die gemeinsame Herrschaft von Kaiser und König charakterisiert.[36]

Mithin wurde in Molinets Chroniques bereits die Basis für das geschaffen, was Maximilian als Selbstbild – freilich in Fortsetzung der mittelalterlichen Stilisierung des weltlichen Herrschers zum „christomimetes“ – Zeit seines Lebens mit besonderer Vehemenz vertrat. Er verglich mit Vorliebe, so Hermann Wiesflecker, „die Bürden und Sorgen seines Amtes mit den Leiden Christi, oder mit dem ägyptischen Horus und Osiris oder mit Herkules […]. Unter dem Bild des Herkules Germanicus ließ sich der Kaiser als Erlöser Deutschlands verehren. Gottesgnadentum, Gotteskindschaft und Einheit mit Gott machten in seiner religiösen Vorstellung offenbar keinen wesentlichen Unterschied. Die Wiedergeburt des Menschen zur Gottähnlichkeit entsprach ebenso humanistischen Vorstellungen wie die ,Vergottung‘ den Gedanken der deutschen Mystik.“[37]

[24] Die aktuellen historischen Ereignisse haben ihre Vorbilder im Neuen Testament, die wiederum die heilsgeschichtliche Erfüllung von Ereignissen im Alten Testament darstellen. „Es findet also eine Legitimation des christlichen Herrschers aus dem Alten Bunde statt, die schon in karolingisch-fränkischer Zeit als gleichrangig neben die Legitimation aus dem antiken Imperium gestellt erscheint.“ (Cremer 1995, 88 f.).

[25] Maximilian I.Weißkunig 1888, 47–49.

[26] Müller 1982, 147 f.; Dietl 2009, 37–40.

[27] Ca. 1513/14; Maximilian diktierte das Buch zum Teil und korrigierte es eigenhändig.

[28] » A-Whh Hs. Blau 9 Cod. 24, fol. 38r; dazu Silver 2008, 136 f., ebenda auch die Abbildung.

[29] Cremer 1995, bes. 88–99; Wiesflecker 1971, 65–67.

[30] Silver 2008, 137.

[31] Dazu Müller 1982, 147 f., 333; Wiesflecker 1971, 121, 131 f.; Molinet 1935–1937, Bd. 1, 338.

[32] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 535 (in freier Übersetzung).

[33] „Ich habe Deinen Namen den Menschen geoffenbart, die Du mir aus der Welt gegeben hast.“ Mit diesen Worten bekundet im Johannesevangelium Christus selbst (hier Maximilian!), wessen wahrer Sohn er ist.

[34] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 529–539; dazu Frieden 2013Thiry 1990, 268–270.

[35] Molinet 1935–1937, Bd. 1, 533–539; dazu auch Müller 1982, 147.

[36] Ode 1,1 Caesar magnificis; dazu Mertens 2000, 74 f.; grundlegend zu diesem Themenkomplex: Tanner 1993Seznec 1953.

[37] Wiesflecker 1991, 355 f.