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Liederdrucke

Nicole Schwindt

Hauptverantwortlich für die Verbreitung des deutschen mehrstimmigen Liedes um 1500 war aus Sicht der musikalischen Kommunikationsnetze und aus der Perspektive der Quellentypologie allerdings der neue Notendruck, durch den das Lied in Maximilians letztem Lebensjahrzehnt eine kurzfristige Sternstunde seiner Bekanntmachung erlebte, und zwar in Form mehrstimmiger Liederbücher sowie als Liedflugschriften. Hier konvergierte Maximilians und seiner Entourage mediales Interesse mit einem mittlerweile angehäuften Liedrepertoire und dem Rezeptionswillen einer breit gestreuten Klientel. Als repräsentativ kann das 1512 vom kaiserlichen Drucker Erhart Öglin in Augsburg in Umlauf gesetzte gedruckte Liederbuch (» Aus sonderer künstlicher Art) gelten (vgl. » Abb. Hofhaimer, Ach lieb mit leid); flankiert war es von weiteren Stimmbuchsätzen, die andernorts zwischen 1510 und 1517 die Offizinen von Johann Froschauer (?), Peter Schöffer d. J. und Arnt von Aich verließen.[19] Sie bilden im überwiegenden Kontingent den Liedfundus ab, wie er am kaiserlichen und (zeitweise befreundeten, teils konkurrierenden) württembergischen Hof zur Verfügung stand, also von habsburgischen und Stuttgarter Komponisten. Aber es befinden sich darunter auch Werke von solchen Komponisten wie der kursächsischen Respektsperson Adam von Fulda, dessen Lieder zugleich im musikalischen Reisedossier des Augsburger Chorbuchs und in den Schweizer Quellen vertreten sind. Die Schnittmenge zwischen den polyphonen Sätzen und den überwiegend mit einstimmigen Melodien ausgestatteten, meistens auf Texte oder Tonangaben („zu singen in der Weise von …“) beschränkten Flugblättern ist jedoch vor 1520 gering. Wie die vielen Lieder klangen, die in deutschen Landen ohne größeren polyphonen Aufwand und umgangsmäßig bei den diversen Gelegenheiten gesungen wurden, bleibt allenfalls zu imaginieren.

Konsequenterweise schätzten spezialisierte Drucker den Bedarf an Liedveröffentlichungen im Sinne eines erstarkenden Marktes ein. Doch was hinsichtlich der Flugschriften als merkantile Kalkulation Erfolg hatte, erwies sich für die Herstellung komplexer Liederbücher in Zeiten des Mehrphasen-Drucks anscheinend als zu aufwändig für eine vertretbare Rentabilität. Dieser wirtschaftlichen Kalkulation dürfte es geschuldet sein, dass der letzte erhaltene Druck mit mehrstimmigen deutschen Liedern aus dem Jahr 1517 stammt, bevor dann 1534[20] die optimierte Drucktechnologie unter anderen Vorzeichen eine neue Ära der Liedpublikation im großen Stil eröffnete.