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Bücher und Weltlauf

Susana Zapke

„Zwischen den Büchern und der Wirklichkeit ist eine alte Feindschaft gesetzt. Das Geschriebene schob sich an die Stelle der Wirklichkeit, in der Funktion, sie als das endgültig Rubrizierte und Gesicherte überflüssig zu machen.“[1] So formuliert Hans Blumenberg das Verhältnis zwischen Bücherwelt und Weltbuch in seiner Studie Die Lesbarkeit der Welt. Nimmt man das Buch als Metapher für das Ganze der Erfahrbarkeit, so lässt sich ein wachsendes Begehren nach Welterfahrung und Welterkenntnis in der dynamischen Bücherproduktion und -erwerbung erkennen, die im Wien seit der Gründung der Universität 1365 und besonders im 15. Jahrhundert stattfand.

Eine genaue Statistik der im Wien des 14.–15. Jahrhunderts meist rezipierten und disseminierten Bücher ist aufgrund der mangelhaften Bestandüberlieferung zwar nicht möglich, dennoch ist eine approximative Bewertung zulässig. Im Registerband zu Theodor Gottliebs Erschließung der mittelalterlichen Bibliothekskataloge Österreichs nehmen bestimmte Autoren, wie etwa Augustinus, mehrere Eintragsseiten in Anspruch.[2] Diese Feststellung mag unbedeutend erscheinen; allerdings steht der Name Augustinus sowohl in Zusammenhang mit der Thematik von Einheit und Vielfalt der Bücher, als auch mit der Auseinandersetzung mit der Doppelmetapher des Himmels als Buch und des Buches im Himmel mit dem biblischen Gott als schreibenden Gott in enger Verbindung. Die augustinische Auslegung der Prozedur des letzten Gerichts im zwanzigsten Buch des De civitate Dei und seine intensive Rezeption im Rahmen der theologischen Fakultät Wiens ermöglicht eine Verbindung zur determinativen Auseinandersetzung jener Zeit mit der Lösung aus dem Fegefeuer, die sich etwa in der Gestalt von (Seelenmess-)Stiftungen manifestierte.[3] Herrscher wie Untertanen entwickelten ihre sozialen Beziehungen im Rahmen der Jenseitsvorsorge: durch Stiftungen, Bruderschaften und Gebetsverbrüderungen. Die enge Beziehung der Habsburgerherzöge zu den Augustiner-Eremiten ist allein durch ihre Stiftungspolitik ausreichend bezeugt. Dass die Messstiftungen oft mit dem Legat einzelner liturgischer Bücher gekoppelt waren, ist aus der reichhaltigen Stiftungsdokumentation des 14.–15. Jahrhunderts in Wien zu entnehmen. Die liturgischen Bücher der Messe und des Offiziums, die den liturgischen Jahreskreis nachzeichneten und die durch Stiftungen in die Zeremonien der memoria neu eingeordnet wurden, mögen das Sinnbild eines übergeordneten Buches von Weltlauf und Weltende sein.[4] Sie verweisen auf die memoria des letzten Gerichts, die immanenter Gegenstand der zahlreichen Stiftungen war. Die Memorialstiftung der Herzogin Beatrix von Nürnberg (gest. 1414), Mutter Herzog Albrechts IV., ist exemplarisch. Beatrix fand an Petrus, dem Rektor der Pfarrkirche in Mautern, einen großzügigen Förderer der Burgkapelle. Petrus stiftete neben einigen Häusern und Weingärten all seine Bücher, Gewand und Wein „dew ich verspart hab all mein tag“ zur Seelenmesse der Herzogin.[5] 

[1] Blumenberg 1986, 17.

[2] Gottlieb 1915/1974.

[3] Zum Stiftungswesen der Wiener Burgkapelle siehe Wolfsgruber 1905. Vgl. zu musikalischen Stiftungen » D. The Waldauf Foundation» J. Formen der LaienfrömmigkeitStrohm 2009.

[4] Zum Zeitbewusstsein liturgischer Stiftungen vgl. auch Strohm 2014, 22 ff.

[5] Wolfsgruber 1905, 26.